Was hat Herrn C. so wütend gemacht?

Chronik eines angekündigten Skandals auf den Kurzfilmtagen in Oberhausen 1968. Über Hellmuth Costards »Besonders wertvoll«. von wilfried reichart

Aggressiv schweinisch obszön dilettantisch pornographisch pubertär primitiv schmutzig beleidigend skandalös unflätig vulgär geistlos übel geschmacklos kompromisslos langweilig unkünstlerisch grässlich zynisch …

Die empört getippten Adjektive der internationalen Presse lassen nicht unbedingt auf einen besonders wertvollen Gegenstand schließen, über den die Leser informiert werden sollen. Es ging damals im April 1968 auch eher um eine Warnung, um die Warnung vor einem Film, der elf Minuten lang ist und eintausendneunhundertfünfundsechzig Mark kostete. Der Protagonist dieses Films ist ein erigierter Penis, was doch eigentlich ein sehr wertvoller Gegenstand ist. Doch ist er auch gut für Skandale, das wissen wir. Das wusste auch Hellmuth Costard, als er sich wütend seinen kleinen Film ausdachte, ihm den Titel »Besonders wertvoll« gab und ihn nach Oberhausen zu den XIV. Westdeutschen Kurzfilmtagen schickte.

Dort hatten, sechs Jahre zuvor, 26 junge Regisseure, Autoren und Kameramänner, die man später Rebellen nannte, Papas Kino für tot und in einem Manifest ihren Anspruch erklärt, den neuen, deutschen Spielfilm zu schaffen, einen Film, der neue Freiheiten von den branchenüblichen Konventionen braucht und vor allem Freiheit von der Bevormundung durch Interessengruppen. Oberhausen war also der richtige Ort für den kleinen Mann von Hellmuth Costard.

Ingmar Bergman übrigens (eine kleine Abschweifung sei gestattet) hatte 1966 ein ähnliches Problem mit einem erigierten Penis. Er hat es der Filmzeitschrift Positif erzählt: »Wie Sie wissen, gibt es zu Beginn jeder Filmkopie ein winziges Stück Film zum Scharfstellen nur für den Vorführer, und für den Film ›Persona‹ hatte ich einen erigierten Penis dafür genommen. Das waren nur zwei, drei Einzelbilder, und da der Film mit 24 Bildern pro Sekunde durch den Projektor zieht, können Sie sich vorstellen, wie lange dieser Penis auf der Leinwand zu sehen war … eine Sechstelsekunde! Aber man hat es entdeckt! Der Film hat großes Interesse erregt außerhalb Schwedens und wurde überall gezeigt, aber überall war der verdammte Penis weggeschnitten! Also habe ich das Negativ geprüft, und – Sie mögen es glauben oder nicht – auch da war der Penis nicht mehr! Zum Glück habe ich dann eine noch intakte Kopie gefunden, wo das Stück vollständig war, und ein neues Negativ ziehen lassen – als Grundlage für neue Kopien. Aber diese Entdeckung hat mich wirklich aufgerüttelt!«

Doch nun der Reihe nach. Oder wäre jetzt ein numerischer Aspekt interessant? Costard lässt seinen erigierten Penis acht Minuten 20 Sekunden auftreten, das sind 12 000 Einzelbilder, 4 000-mal sooft wie Bergmans Penis. Doch drei Bilder oder 12 000, das spielt für verantwortungsvolle Zeitgenossen keine Rolle, wenn es gilt, im Namen des gesunden Volksempfindens Schaden abwenden zu müssen.

Schnell noch eine Abschweifung. Sie führt nach Salzburg. Dort sollte im Sommer 2003 vor dem Museum der Moderne eine Skulptur präsentiert werden, die einen nackten Mann mit erigiertem Penis zeigt. Schon während des Aufbaus aber empörten sich Passanten und Politiker über die Darstellung. Auf Betreiben des Bürgermeisters wurde die Skulptur verhüllt.

Das alles überrascht uns nicht. Und so können wir davon ausgehen, dass Hellmuth Costard wusste, was ihn erwartete, als er im April 1968 mit »Besonders wertvoll« nach Oberhausen kam. Was hatte ihn so wütend gemacht?

Einen Monat zuvor hatte die Filmförderungsanstalt in Berlin ihre Arbeit aufgenommen, und damit konnte das Gesetz über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films realisiert werden. Gefördert sollte werden, was Kasse macht, und das brachte alle auf die Palme, die den Film als Kultur begriffen. »Schnulzenkartell« nannte es Alexander Kluge: »Mit der marktverzerrenden Macht von 30 Millionen Mark Filmgroschen soll das alte aufwändige Unterhaltungsfilm-Ideal der fünfziger Jahre wiederhergestellt werden.« Und da gab es noch diese Sittenklausel (Paragraf 7, Absatz 5): »Nicht zu fördern sind Filme, die gegen die Verfassung oder die Gesetze verstoßen oder das sittliche oder religiöse Gefühl verletzen.« Und in dem Erlass des Innenministeriums über die Förderung des deutschen Films stand: »Gefördert werden können nur Filme, Filmvorhaben, Drehbücher und Drehbuchentwürfe, die angemessen Rücksicht auf die von der Verfassung geschützten Werte, die Gesetze und das religiöse und sittliche Empfinden nehmen.«

Das hatte den damals 28jährigen Jungfilmer zornig gemacht. Sich von Funktionären vorschreiben zu lassen, was ein Film darf und was nicht, das war in diesen ausgehenden sechziger Jahren der antiautoritären Aktivitäten unvorstellbar. Costard hatte schon drei Kurzfilme gedreht, witzige Spielereien mit verblüffenden Pointen, einer davon (»After Action«) wurde von der Filmbewertungsstelle mit dem Prädikat »Wertvoll« ausgezeichnet, ein anderer (»Warum hast du mich wachgeküsst?«) bekam beim Experimentalfilmfestival in Knokke einen Preis. Und er gehörte mit Helmut Herbst, Thomas Struck, Werner Nekes, Dore O., Klaus Wyborny und Heinz Emigholz zu den Gründern der Hamburger Filmmacher Cooperative, die mit Filmen des New American Cinema und eigenen gegen den »Schwachsinn der etablierten Filmindustrie« antraten.

Während sich andere linke Filmfreunde aufregten und zur Feder griffen oder wie Alexander Kluge den Überzeugungsmarsch durch die Institutionen antraten, schnitt Hellmuth Costard schnell einen Film zusammen, den der Spiegel so beschrieb: »Während eine Stimme mit fremdländischem Akzent die störende Sittenklausel rezitiert, bewegt sich in Großaufnahme die Öffnung eines Penis wie ein zahnloser Mund; zu barockem Trompeten-Schmettern masturbiert sodann eine Mädchenhand sachverständig das Glied; zum Schluss rückt eine Afteröffnung ins Bild und löscht, mit natürlichem Geräusch, eine Kerze. Dazwischen tritt Costard auch ganz hervor und fragt den einmontierten Filmförderer Toussaint: ›Schämen Sie sich gar nicht?‹« Die Neue Welt am Sonnabend hatte es so gesehen: »›Hauptdarsteller‹ des Filmes ist ein bestimmter männlicher Körperteil, der riesig (in Farbe) auf die Leinwand kommt, der ›hüstelt‹ und ›spricht‹ und von einer Frauenhand berührt wird. Zum Schluss wird eine Kerze ausgef … Scheußlich! Scheußlich!«

Wie konnte ein solcher Film in den Wettbewerb der XIV. Westdeutschen Kurzfilmtage Oberhausen gelangen, die unter dem Motto »Weg zum Nachbarn« standen?

Es war ein demokratischer Weg über eine unabhängige Auswahlkommission, die am frühen Morgen des 18. März 1968 gegen den erbitterten Widerstand der in der Kommission vertretenen Leitung des Festivals den Film für den Wettbewerb nominierte. Positiv votierten die Journalisten und Filmkritiker Wolfram Schütte (Frankfurter Rundschau), Enno Patalas (Filmkritik), Werner Kließ (Film), Christian Rischert (Verband deutscher Dokumentar- und Kurzfilmproduzenten) und Uwe Nettelbeck (Die Zeit), dagegen waren neben den Festivalleitern die Vertreter des Deutschen Volkshochschulverbandes, des Landesverbandes der Volkshochschulen in NRW und Michael Lentz als Vertreter der Arbeitsgemeinschaft der Filmjournalisten. Das Pari-Ergebnis, fünf Stimmen dafür, fünf dagegen, galt nach dem Reglement als positives Votum. Hilmar Hoffmann, der Leiter der Westdeutschen Kurzfilmtage, akzeptierte diese Entscheidung, obwohl er wusste, dass die Produzentin von Costards Film Petra Krause hieß und die Ehefrau des Auswahlkommissionsmitglieds Nettelbeck war.

Der blieb weiter am Ball und veröffentlichte zwei Tage vor Eröffnung der Kurzfilmtage, als ob er befürchtete, »Besonders wertvoll« würde in der Oberhausener Stadthalle über die Leinwand flimmern und keiner würde merken, welcher Sprengstoff da gelegt war, einen Dreispalter in der Zeit mit einer Gebrauchsanweisung für den Film, »der sich nicht in unseren Kulturbetrieb integrieren lässt, der die andere Seite zwingt, Farbe zu bekennen, nicht liberal zu reagieren, wie sie möchte, sondern autoritär, wie sie muss, wenn es ernst wird. Der Film ›Besonders wertvoll‹ ist eine klaren Verstandes ausgesprochene und präzise formulierte Beleidigung.«

Der Ernst, mit dem Nettelbeck antrat, war eigentlich nicht Costards Sache. Sein Auftritt in Oberhausen hatte dadaistische Qualitäten und war dem Happening näher als der politischen Demonstration. Sein Film war ein Witz, ein verzweifelter, ein satirischer Meisterschuss vor den Bug der etablierten Institutionen. Schon der Titel parodierte die Prädikatisierungspraxis der Filmbewertungsstelle, das Goethe-Zitat zu Beginn des Films (»Nur die perverse Phantasie kann uns noch retten«) war frei erfunden; und wenn Costard sich direkt an den Bundestagsabgeordneten Dr. Toussaint (CDU) wandte, der zusammen mit Dr. Lohmar (SPD), Dorn (FDP) und anderen den Antrag für das Filmförderungsgesetz eingebracht hatte, und ihn fragte: »Schämen Sie sich gar nicht?«, dann tat er das maliziös lächelnd, wissend, dass sein Film ein Tabu übertreten hatte und dass er mit genau dieser Frage in Oberhausen konfrontiert werden würde.

Nettelbecks Artikel war eine Kampfansage; eine Kampfansage an die politischen Funktionäre, die das Filmförderungsgesetz verabschiedet hatten, eine Kampfansage an diejenigen, die jetzt den »geschäftlich erfolgreichen filmischen Stumpfsinn« herstellen konnten, und eine Kampfansage an das kunstfeindliche Filmklima in der (damaligen) BRD. Es ging nicht mehr darum, Argumente auszutauschen, Verbesserungen zu diskutieren, miteinander zu reden. Nettelbecks Artikel war eine Aufforderung zum Kampf und Costards Film seine Waffe. Und der flog nun wie ein Pfeil ins Herz der filmpolitischen Finsternis.

Die andere Seite ließ sich provozieren und reagierte postwendend. Um die Gäste der Westdeutschen Kurzfilmtage »vor der Verwirklichung des Tatbestandes der Beleidigung zu schützen«, entschieden die Stadt Oberhausen und die Festivalleitung, den Film im Festivalprogramm nicht vorzuführen.

Und so kam es, wie es kommen sollte: Die meisten deutschen Regisseure zogen aus Protest ihre Filme aus dem offiziellen Programm zurück, Peter Handke verließ die Jury, Festivalbesucher unterschrieben Resolutionen und Solidaritätserklärungen, ausländische Delegationen versicherten ihre Sympathie mit dem Festival, die Festspielleitung erklärte, durch gezielte Veröffentlichung in eine Zwangslage gebracht worden zu sein, Theodor Kotulla, der seinen Film auch zurückgezogen hatte, prangerte den »wirrköpfigen Artikel« von Uwe Nettelbeck an, Werner Herzog zog seinen Film »Letzte Worte« nicht zurück, die Arbeitsgemeinschaft der Filmjournalisten e.V. konstatierte »wirrköpfige Provokation anstatt konstruktiver Kritik«, Hilmar Hoffmann bot seinen Rücktritt als Festivalchef und Kulturdezernent der Stadt Oberhausen an, womit er die Oberbürgermeisterin Luise Albertz erpresste, einer Pressevorführung des Films zuzustimmen, worüber sich alle übrigen Festspielgäste aufregten, die den Film auch gerne gesehen hätten, und so mietete Hilmar Hoffmann fünf Busse und karrte das ganze Festival zur Ruhr-Universität Bochum, auf nicht öffentliches Wissenschaftsgebiet, wo ein Vorführraum für »Besonders wertvoll« gefunden worden war (»Die Rechnung wurde mir nach Frankfurt nachgeschickt«) und der angekündigte Staatsanwalt den Film nicht konfiszieren konnte.

Die meisten lehnten den Film ab, dabei hatte Costard den richtigen Ton getroffen, um auf etwas aufmerksam zu machen, was die meisten auch für höchst fragwürdig hielten: Das Filmförderungsgesetz und seine Sittenklausel. Darüber wurde nun leider in Oberhausen nicht diskutiert, und das ist das einzige, was man diesem Meisterwerk des Genres Filmpamphlet vorwerfen kann; zu sehr war das Festival mit der Form der Provokation beschäftigt, als dass es sich mit ihrem Inhalt hätte auseinandersetzen können. Alle verhielten sich wie erwartet, keiner machte gute Miene zum bösen Spiel, die linken Kritiker protestierten gegen Zensur, die liberalen Journalisten bemängelten die ästhetische Qualität des Films, die bürgerlichen Berichterstatter störten sich an seiner Geschmacklosigkeit, die verantwortungsbewussten Offiziellen mussten ihre Gäste schützen, den ambivalenten Filmschaffenden ging es um die Rettung des verdienten Festivals, und die Extremisten eines anderen Kinos stürmten voller Verachtung die Festung des etablierten Kulturbetriebs.

Die Festung hielt stand, das Festival ging weiter (im Gegensatz zu Cannes, das einen Monat später nach politischen Protesten abgebrochen werden musste), vergab Preise (den Spezialpreis für das beste und vielseitigste Länderprogramm, das die jungen deutschen Regisseure verdient gehabt hätten, erhielt Jugoslawien), und natürlich fanden ein Jahr später die Westdeutschen Kurzfilmtage zum 15. Male statt, als ob nichts passiert wäre. Die Sittenklausel übrigens steht heute noch wie vor über dreißig Jahren im Filmförderungsgesetz.

Und Hellmuth Costard? Er wurde in den siebziger Jahren, als die Zeit für innovative Filmarbeit besser war als heute, der Protagonist eines anderen Kinos. Schon ein Jahr nach dem Eklat produzierte der WDR »Die Unterdrückung der Frau ist vor allem am Verhalten der Frauen selber zu erkennen«, in dem ein Mann den Part der Hausfrau spielt. Dann »Fußball wie noch nie«, der 90 Minuten lang nur den Fußballstar George Best auf dem Spielfeld verfolgt. In »Und niemand in Hollywood versteht, dass schon zu viele Gehirne umgedreht wurden« folgt die Kamera nur dem Drehbuchtext. Costards Einfälle waren verblüffend und fanden genau den Punkt, der Einsichten in gesellschaftliche und künstlerische Strukturen öffnete. Man nannte ihn den »kleinen Godard«, doch anders als dem großen gelang es ihm nicht, sich im Dschungel der öffentlichen Förderungsmechanismen zurechtzufinden. Die Förderinstitutionen, die Kommissionen, Ausschüsse und Vergabejurys machten ihm das Produzieren schwer. Sein antiautoritäres, anderes Kino gehörte nicht zur wild geförderten Kategorie des so genannten Neuen deutschen Films.

In seinen letzten Jahren bastelte der Filmemacher, von manchen belächelt, an seiner Sunmachine, einer Maschine zur Umwandlung direkter Sonnenstrahlung in elektrische Energie. Und er baute mithilfe befreundeter Techniker und Wissenschaftler ein kleines Solarkraftwerk, das im Mittelpunkt seines letzten Films steht, eines Agententhrillers, der nach seinem Tode an Pfingsten 2000 auf der Festplatte seines Schnittcomputers im Filmbüro NW in Mülheim gefunden wurde. Hellmuth Costard spielt in diesem Film mit dem Titel »Vladimir Günstig« eine Doppelrolle, den deutschen Filmemacher Hellmuth und den russischen Agenten Vladimir. Er nennt seine Filmgroteske »eine trojanische Affäre«, sein hölzernes Pferd ist die Sunmachine, mit der er den Graben zwischen Kunst und Wissenschaft überwinden wollte.