Photo Opportunity

Die Degradierung des Gefangenen zum totalen Objekt folgt den Gesetzen der Medienökonomie. von tom holert

Sie sind stets gern gesehene Gäste: Angestellte des Militärs, die ihre Kameras zücken, wenn sich ein hochrangiger Vorgesetzter oder gar der Oberbefehlshaber die Ehre eines Besuchs bei der Truppe gibt. Das mediale Format der »photo op« (Kurzform für »photo opportunity«), der von PR-Spezialisten arrangierte Fototermin, bringt im Kriegsfall regelmäßig Bilder hervor, auf denen Hobbyfotografen in Uniform auftauchen. Besonders die US-amerikanischen Präsidenten zeigen sich gern inmitten von knipsenden Militärangehörigen. Der fotografierende Soldat beglaubigt sichtbar, durch sein Erscheinen im Bild, die historische Bedeutung seiner Begegnungen mit Johnson oder Nixon (1967 und 1969 in Vietnam), Clinton (1999 in Mazedonien) oder George W. Bush (2003 im Irak). Er wird zum historischen Akteur im Sinne des politischen Ereignismanagements.

Mit spektakulären Einsätzen als Jetpilot und Truthahn-Servierer hat der aktuelle Präsident der USA die »photo op« ins Zentrum seiner Kriegspolitik gestellt. Unmittelbar nach dem 11. September verkündete er noch, der Krieg gegen den Terror werde nicht als »photo op war« geführt. Doch seitdem hat sich Bush, von dem Bob Woodward sagt, er sei mehr an der Aussagekraft von Körpersprache als an verbaler Argumentation interessiert, unter anderem im eng sitzenden Top-Gun-Kostüm auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln und als Thanksgiving-Gastgeber in einem Hangar am Flughafen von Bagdad inszeniert. »So was it all about the photo ops?«, fragte Paul Krugman in der New York Times vom 7. Mai 2003. Und tatsächlich, der Krieg gegen den Irak erwies sich schnell als eine, wenn auch inzwischen reichlich ramponierte Bühne für die Produktion von Bildern, auf denen der fotografierende Soldat seine Statistenrolle spielt. Stellvertretend für die Nation soll sich die Truppe ein Bild vom Heroismus und der »body language« ihres Führers machen. Der Fotoamateur im Dienst erfüllt seine Pflicht auch als Chronist der bildförmigen Auftritte seines Präsidenten.

Für Politikberater, Spin-Doktoren und andere Image-Ingenieure ist die »photo op« der Paradefall kontrollierter Bildproduktion. Das Handeln der Politiker wird an den Parametern des Fotogenen ausgerichtet, die Regie der Bilder gegenüber deren Abbildungsfunktion absolut gesetzt. Wie sehr das Prinzip »photo op« aber auch am äußerst brüchigen Phantasma der Macht teilhat, wird deutlich, sobald es sich verselbständigt und gegen die Logistiker des medial-politischen Systems wendet. Die Folterfotos aus dem Gefängnis von Abu Ghraib können als die perverse Kehrseite der Bilder von offiziellen Fototerminen betrachtet werden. Die Aufnahmen der entwürdigenden Körperinszenierungen sind »photo op«-Schnappschüsse, in Eigenregie ausgeführt von militärisch-visuellen Trophäenjägern. Vertraute Bildmuster werden aktiviert. So wie sich Politiker gern als Reisende oder als Familienmenschen präsentieren, herrscht auch auf den Aufnahmen aus dem Kerker eine unheimliche Atmosphäre wie bei einem touristischen Ausflug oder auf einem Familienfest. Es sind Bilder fürs Fotoalbum oder für den »photo blog« im Internet. Doch hat der fotografierende Soldat eine neue, in den Skripten der Politikberater nicht vorgesehene Funktion übernommen. Er ist nicht länger Zeitzeuge eines staatstragenden Fototermins, sondern Erfüllungsgehilfe einer pornografischen PR-Kampagne in der Grauzone der Macht.

Aber ähnlich wie die offiziellen »photo op«-Produktionen demonstrieren auch die 1 600 Bilder, die Militärpolizist Jeremy Sivits und andere Knipser-Voyeure bei Verhören und Misshandlungen im Irak gemacht haben, die Überzeugung, dass ein perfekt arrangiertes Bild ein Zeichen der Souveränität sei. In beiden Fällen, beim spektakulären Fototermin von Politikstars wie bei den spektakulären Fototerminen der Folterer, sind Wahrheit und Kalkül nicht mehr zu unterscheiden. Jedes Mittel ist zulässig, solange es seine Wirkung nicht verfehlt. Wobei der Effekt demoskopisch gemessen werden kann, als Zustimmung oder Ablehnung der Politik-Visualisierungen, aber auch am Grad der Einschüchterung durch Bilder der Unterwerfung – letzteres ein Element der Foltertechnik selbst, jenes »style of getting them to break«, über den Reservist Chip Frederick stolz nach Hause berichtete, als handelte es sich um einen künstlerischen Akt.

Die Wirklichkeit von Kommunikationsverhältnissen, die radikal auf Manipulation und Informationsbeschaffung reduziert sind, ist aber immer noch, trotz aller diesbezüglichen Aufklärung, nur schwer zu begreifen. Vielleicht entsetzt deshalb der offensichtliche Mangel an Scham unter den Folterknechten und –mägden so sehr. Charles A. Graner und Lynndie R. England agierten für die Kamera mit der Selbstsicherheit von kreativen Befehlsempfängern, denen moralische oder andere Zweifel an der Legitimität ihres Handelns fremd zu sein scheinen. Sie wähnten sich im Krieg gegen »Terroristen« und damit im Recht.

Zugleich hielten sie sich an die ungeschriebenen Richtlinien einer Medienlogik, die den Tabubruch längst institutionalisiert hat. Individuen auf ihren Zeichen- und Objektstatus herunterzubrechen, sie ihrer Identität und Humanität zu berauben, folgt dem Wertgesetz der visuellen Kultur der Gegenwart: Danach ist das Bild selbst die Leitwährung, während von den Abgebildeten ebenso mühelos abstrahiert werden kann wie von jeder mündlichen oder schriftlichen Zeugenschaft, die dem Internationalen Roten Kreuz oder anderen Organisationen vorliegen mag. Diese Suprematie des Visuellen macht vor niemandem halt. Selbst der US-amerikanische Präsident gilt letztlich nur so viel, wie sein Image zu einem bestimmten Zeitpunkt wert ist.

Die Anweisung an die Folterer von Abu Ghraib, dem fotografierenden Kollegen interessante, das heißt besonders entwürdigende und Angst einflößende Motive zu liefern, leitet sich aus einer Rechtsauffassung ab, die infiziert ist von den Regeln der Medienökonomie. Denn auch im militärisch geschaffenen und definierten Ausnahmezustand, in dem, was der Publizist Robert Jay Lifton eine »Gräuel produzierende Situation« nennt, lassen sich Züge der Rationalität der Public Relations erkennen. Wie Generalmajor Geoffrey Miller, der nach Bagdad bestellte ehemalige Leiter des Gefangenenlagers Guantánamo Bay, gegenüber dem Abu-Ghraib-Ermittler Antonio M. Taguba mitteilte, sei es »wesentlich, dass die Wachmannschaften aktiv darum bemüht sind, die Bedingungen für eine erfolgreiche Befragung der Internierten zu schaffen.« Nicht nur spricht Miller in diesem Kontext unverblümt von der »Ausbeutung« (»exploitation«) der Gefangenen; er versteht deren Behandlung zudem ausdrücklich in Hinsicht auf die Ermöglichung von Kommunikation. Auch und gerade im Kerker wird der Nachrichtenwert verabsolutiert, die Traumatisierung zur Bildstrategie bei der Erhebung geheimdienstlicher Daten.

Selbst wenn diese Bilder die Machtbasis der Regierung Bush weiter unterminieren sollten, heißt das nicht, dass diese Dokumente der Machtausübung nicht auch an den Praktiken und Protokollen üblicher Öffentlichkeitsarbeit geschult wären. Im Gegenteil, gerade jene Aus-Bildung verleiht ihnen eine besondere Evidenz. Dass die Folterfotos wenige Tage später durch das Video der Enthauptung des US-Amerikaners Nicholas Berg von der Gegenseite schon wieder überboten wurden, relativiert die Bilder aus Abu Ghraib nicht, sondern verankert sie in einem spezifischen Kontext, bestätigt ihre Rolle bei der Entgrenzung der Public Relations.

Doch reichte die eingefleischte Medienkompetenz der Beteiligten nicht weit genug, auch die Konsequenzen des eigenen Treibens vorauszusehen. Die Wiederkehr der Inszenierungsweisen eines obrigkeitlichen Schreckenstheaters in die visuelle Kultur der Gegenwart kollidierte einfach zu heftig mit den wohlfeilen Losungen von »nation building« und »Demokratisierung«. So groß die Neugier auf Gräuelbilder auch sein mag – sie ist nicht gleichzusetzen mit der Akzeptanz des von ihnen Gezeigten.

Donald Rumsfeld und andere Vertreter der Regierung Bush üben sich derzeit in obszöner Kasuistik, unterscheiden unter Berufung auf die Rechtsanwälte des Pentagon zwischen illegitimer »Folter« und legitimer »Misshandlung«. Sie verkennen dabei, dass ihnen die Kontrolle über die Bilder längst entglitten ist. Einstweilen haben sie nur noch Zeugnisse der brutalen Erhebung und Erniedrigung, die sich nicht einfach loswerden noch in politische Triumphe konvertieren lassen.

Der viel beschworene »Krieg« der Bilder ist eine Konkurrenz der Bilder am Nachrichtenmarkt, dessen Akteure nicht verlässlich den Interessen der Regierungen folgen, obwohl sie bekanntlich für allerlei Beihilfen zu haben sind. Woran sie sich sonst halten, wenn nicht an die politisch-polizeiliche Ordnung, darüber lässt sich angesichts der aktuellen Lage trefflich spekulieren. Es scheinen die neuen Formen der Verbreitung und Vervielfältigung von Bildern zu sein, ihre Infrastruktur, welche aktuell das Verhalten am Nachrichtenmarkt bestimmen – der immer schnellere digitale Transport und Transfer, die immer größeren privaten Speicherplätze für Bilddateien. Angesichts der medientechnischen Entwicklungen verändern sich zwangsläufig auch die Vorstellungen über die Kontrollierbarkeit von Bildern. Die Möglichkeiten, die unerwünschten im Stadium der Latenz festzusetzen, sind offenbar begrenzt.

Hatte Bush in seiner Rede zum Kongress vom 21. September 2001 den »Krieg gegen den Terror«, jene »langwierige Kampagne ohne Vergleich«, noch als Prozess auf zwei Ebenen der Sichtbarkeit (»dramatische Schläge im Fernsehen und verdeckte Operationen im Geheimen selbst im Erfolgsfall«) beschrieben, so scheint mittlerweile deutlich geworden zu sein, dass sich die imperiale Politik der Sichtbarkeit nicht unabhängig von der globalen Ökonomie der Sichtbarkeit denken und betreiben lässt. Wenn es nicht einmal den US-amerikanischen Sicherheitsbehörden gelingt, Tausende Folterfotos oder die Farbbilder von der Verladung der Särge gefallener US-Soldaten zu unterdrücken, einfach weil deren unkontrollierbare Präsenz im Internet derartige Maßnahmen hintertreibt, dann ist es um die Reichweite der Militärzensur offenbar schlechter bestellt, als man noch während des Krieges im vergangenen Jahr vermuten musste.

Die Fotografien aus den Gefängnissen im Irak, die der Washington Post und dem Senat vorliegen, sind von unterschiedlichen Digitalkameras aufgenommen, auf CDs gebrannt und unter den Soldaten der 372nd Military Police Company aus Cresaptown, Maryland, herumgereicht worden. Gleichzeitig werden an anderen Orten alle erdenklichen Archive angelegt, die zumindest vorübergehend – das heißt, solange die Copyright-Frage ungeklärt ist, solange nicht der Urheberschutz greift oder die Rechnung von Bill Gates ins Haus flattert – bereits Elemente symptomatischer, vielleicht auch neuartiger Gebrauchsweisen und Praktiken in Bezug auf Bilder und Bildersammlungen sind. Aus dem fotografierenden Zeitzeugen, dem anonymen Forrest-Gump-Zaungast von historischen »photo ops«, ist zusätzlich ein Jpg-Verwalter und Gif-Multiplikator geworden, dessen Verhalten schwer auszurechnen ist, der aber immer schon mitmacht, verstrickt ist: als Mitglied einer Zielgruppe, Publikum, Konsument oder als Komplize, Produzent, Agent, öfters auch in hybriden Mischungen dieser Funktionen.

Diese Verwandlung vom knipsenden Statisten zum Bildermanager düpiert die Public-Relations-Philosophie des »engineering of consent« wie selten zuvor. In den so bizarr-normalen »photo op«-Arrangements aus dem Gefängnis im Irak finden sich noch Spuren des Glaubens an die Machbarkeit und Kontrollierbarkeit von Ereignissen und Meinungen. Doch hört man Rumsfeld zu, scheint angesichts dieser befehlsgemäßen »graphic violence« die Ohnmacht nun zum Kernbestand der Selbstwahrnehmung dieser US-Regierung avanciert: »Es existieren noch viel mehr Fotografien und Videos. Wenn die an die Öffentlichkeit kommen, wird es alles noch schlimmer machen … Ich habe sie mir letzte Nacht angesehen, und sie sind schwer zu glauben.« Manchmal müsste den Soldaten, die man sonst so gerne als knipsende Zeugen der Geschichte ins Bild nimmt, eben einfach das Fotografieren verboten werden.

So aber sind die »ungesehenen Kriege«, nur oberflächlich paradox, selbst zum Bildgegenstand geworden. Letztlich auch deshalb, weil ihre Motivik einschlägig ist. Nichts, was in den letzten Tagen, Wochen und Monaten veröffentlicht wurde, ist ja an und für sich neu oder überraschend. Nicht nur, weil die Dimension von Folter und Erniedrigungen das offene Geheimnis aller Kriege ist. Auch weil von illegalen Snuff-Filmen bis zur zweiten Staffel der erfolgreichen Echtzeitfernsehserie »24« Bilder der Folter proliferieren.

Diese neueren Bildproduktionen können ihrerseits auf tief gestaffelte Bilderarsenale zurückgreifen, in denen spektakuläre Demütigungen als Waffe mittelalterlicher Kriegführung ebenso lagern wie christliche Passionsdarstellungen. Hinrichtung und Folter waren Jahrhunderte lang ein öffentliches und visualisiertes Ereignis. Was die Verbindung von grotesker Marter und sexuellem Genießen, aber auch die zwischen den religiösen Ekstasen (christlicher und islamistischer Fundamentalismen) und Erotik betrifft, kann man etwa auf Georges Batailles Bildersammlung in »Die Tränen des Eros« verweisen. Die Namen Goya und Pasolini fallen, nicht zu Unrecht, in jedem zweiten Feuilletonkommentar zu den Bildern aus Abu Ghraib. Seltener wird an die Gräuel-Knipser der deutschen Wehrmacht erinnert. Und in den USA fordern manche, jedem Bild der eigenen Foltereien Zeugnisse der Folter zu Zeiten Saddam Husseins gegenüberzustellen. Als wollte man die Tradition noch betonen, in der man steckt wie in einem Sumpf.

Auf allen Seiten der »asymmetrischen« Konfliktlage spuken die Insassen der Archive in diesen Inszenierungen der Gewalt. Wenn aber die Bilder so bekannt sind, ist dann alles wie immer? Nicht unbedingt. Die potenzielle Selbstgenügsamkeit und Analogisierungsarbeit ikonografischer Her- und Ableitungen kann im besseren Fall übergehen in ein gänzlich unakademisches Verstehen von Differenz und Kontinuität. Alle Versuche, das Geschehen auf anthropologische Konstanten oder kulturkämpferisch-rassistische Dichotomien (Gut/ Böse, Westen/Osten usw.) festzuschreiben, würden scheitern, wenn es möglich wäre, die jeweiligen Mobilisierungen der Bildarsenale als gleichzeitig traditionell und hyperaktuell, archaisch und futuristisch zu erkennen.

Einen solchen Blick zu etablieren, ist keine leichte Aufgabe. Seine Interesselosigkeit und analytische Distanz müsste gegen ein explosives emotional-ideologisches Gebräu durchgesetzt werden: Der voyeuristische Genuss am Leiden anderer, die Lust an der eigenen Empörung, das Begehren nach der Erschütterung des politischen Systems, der blanke Hass, das sorgende Mitleid, der imperiale Hochmut, das aggressive Nichtverstehen der »Anderen« und weitere Regungen sind nicht zu unterschätzende Faktoren bei der Konstruktion einer Perspektive jenseits von Empörung und Ressentiment, aber auch Rechthaberei.

Andererseits: Je geschulter der Blick, je kenntnisreicher die Kritik, je ambitionierter die Diskussion um Bilderverbot und Aufklärungsgebot, desto stärker das Interesse an Neuem, an weiteren Mutationen der »photo op«. In dieser Hinsicht markieren die Bilder aus den Folterzellen und Hinrichtungskammern weniger eine Grenze als die nächste Stufe in der verschränkten Entwicklung von Trieb- und Medienökonomie. Vielleicht führt sie aus dem Raum der politischen Erpressung durch visuelle Evidenz heraus. Wahrscheinlicher ist, dass man sich auf die erregende Veröffentlichung weiterer Latenzen einstellen muss und entgleiste »photo ops« erneut Bilder der Entgleisung generieren.