Der Rekord ruft

Der Mount Everest gilt bei Spitzenbergsteigern schon als »Touristenberg«. Aber die touristische Erschließung schwierigerer Achttausender ist nur eine Frage der Zeit. von bruno engelin

Der nepalesische Bergsteiger Pemba Dorjee hat Ende Mai den Mount Everest in acht Stunden und zehn Minuten bezwungen. Gemessen wird bei diesen in den letzten Jahren populär gewordenen Rekordversuchen die Zeit, die es braucht, um vom Basislager auf 5 200 Metern Höhe bis zum Gipfel auf 8850 Metern und wieder zurück zu gelangen.

Ein anderer nepalesischer Bergsteiger, der sich nur Apa nennt, verbesserte am 17. Mai seinen Rekord der häufigsten Everest-Besteigungen auf die Zahl 14.

Seit am 15. Mai die diesjährige Everest-Saison begann, waren schon 170 Bergsteiger auf dem Gipfel des Everest. Auch das ein Rekord, wie auch die Zahl von 45 kleinen Zeltstädten, die bei diversen Basecamps in Nepal und Tibet errichtet wurden, von denen aus die Expeditionen starten.

»Seit dem Beginn der geführten Aufstiege in den neunziger Jahren«, schrieb jüngst die New York Times, »wurde der Traum, einmal auf dem höchsten Berg der Welt zu stehen, für jeden möglich. Auch für relative Anfänger, solange sie halbwegs fit sind und einen individuellen Bergführer für 65 000 Dollar bezahlen können.«

Vom Mount Everest als »Touristenberg« spricht Peter Habeler, der 1978 zusammen mit Reinhold Messner als erster den Berg ohne Sauerstoffgerät bestieg. Zumindest dann sei er ein Touristenberg, »wenn man ihn zum Beispiel mit dem K2 vergleicht«.

Der mit 8 614 Metern zweithöchste Gipfel der Erde sei ein »Bergsteiger-Berg« und wegen seiner Schwierigkeit noch lange davon entfernt, ähnlich touristisch erschlossen zu werden. Der unter Verwaltung der pakistanischen Regierung stehende K2 wurde vor knapp 50 Jahren von einer italienischen Gruppe erstbestiegen. Seither gab es nur knapp 200 erfolgreiche Besteigungen, während im Vergleich dazu der Everest in den letzten fünfzig Jahren über 1 600 Mal bestiegen wurde, unter anderem schon von einem Blinden und einem Einbeinigen.

Dass am Mount Everest etwa 200 Bergsteiger umkamen, ist relativ wenig im Vergleich zu den etwa fünfzig Bergsteigern, die beim Versuch, den K2 zu besteigen, starben. Schon statistisch ist die Wahrscheinlichkeit, am K2 zu sterben mit 25 Prozent höher als mit zwölf Prozent am Everest. Und erst recht der Umstand, dass es zum K2 keine geführten Expeditionen gibt und sich nur ausgewiesene und erfahrene Extrembergsteiger an den Berg wagen, verweist auf die Besonderheit des K2.

Der etwas ungewöhnliche Name rührt von der Zählweise des britischen Vermessungsoffiziers T.G. Montgomery, der die Gipfel des Karakorum-Gebirges einfach duchnumerierte: K1, K2, K3. Bei den Einheimischen heißt der höchste Berg des Gebirges Chogori, aber international durchgesetzt hat sich das Kurzwort K2.

Die hohen Schwierigkeitsgrade des K2 stellen aber für seine touristische Indienstnahme keine zu undurchbrechbare Schranke dar.

Für Spitzenbergsteiger ist der Mount Everest mittlerweile keine nennenswerte Herausforderung mehr, ja, der Umstand, dass sie sich beim Bewältigen einer der wenigen schwierigen Passagen des Endanstiesgs, der so genannte Hillary Step, in eine Schlange einreihen müssen, wann sie endlich an der Reihe sind, was unter Umständen für das vom Wetter diktierte enge Zeitfenster ungünstig wäre, schreckt sie obendrein ab.

Der K2 hingegen ist ähnlich wie der »deutsche Schicksalsberg« (ZDF) Nanga Parbat beim gegenwärtigen Stand der alpinen Technik und der Beherrschung der dünnen Luft in der so genannten »Todeszone«, die etwa über 7 800 Metern beginnt, noch schwierig genug, dass keine Führungen angeboten werden können.

»Nur mit Sponsoren wird’s schwer«, heißt es bei einer der ambitioniertesten diesjährigen K2-Expeditionen. »Da wär’s schon leichter, wenn der Name Everest auftaucht.« Es ist eine österreichische Gruppe, die Ende Juni den Broad Peak besteigen will, mit 8 047 Metern der zwölfthöchste Berg der Erde und als eher leichterer Achttausender geltend. Unmittelbar danach ziehen die sieben Bergsteiger zum K2, den sie bis spätestens Ende Juli bezwungen haben wollen. Ein Großsponsor fand sich für das bergsteigerisch interessante Projekt, das den ersten Achttausender zur Anpassung an die Höhe für den zweiten Achttausender nutzen möchte, nicht.

Die zwölf K2-Expeditionen dieses Jahres haben sich vielmehr die Sponsoren gegenseitig abspenstig gemacht. Lediglich eine italienische Gruppe konnte sich mit der Tageszeitung Corriere Della Sera einen potenten Geldgeber sichern, die sich ihren Namen auch gleich in den Expeditionsnamen eintragen ließ. Aus Spanien und aus China sind jeweils staatlich finanzierte Expeditionen unterwegs.

Was gegenwärtig noch nicht lukrativ ist, wird sich aber über kurz oder lang auch zum profit center entwickeln. Wenn die Bergindustrie das Besteigen des größten Berges erst zur Routine hat werden lassen – Peter Habeler spricht heute schon von »Peanuts« – wird auch um einen ungleich schwierigeren Berg wie den K2 eine Tourismusindustrie entstehen.

Dass dann nicht nur mit neuen Rekorden, sondern auch mit noch mehr Toten zu rechnen ist, wird dem Ruf des K2 als besonders schwieriger Herausforderung eher gut tun.