Hippes B an der Spree

Ein toller Vertrag und günstige Mieten lockten MTV Central nach Friedrichshain. Die Stadt setzt große Hoffnungen auf das junge, dynamische Unternehmen. von bernhard hummel

Wenn zwei Verhandlungspartner das gleiche wollen, kann es nicht schwierig sein, einen Konsens zu finden, denkt sich der Laie. Genauso war es mit MTV und dem Land Berlin. Bloß brachte der Berliner Senat umfangreiche Morgengaben mit, während MTV nur seinen Namen und seine jugendliche Ausstrahlung beitrug.

Seit Anfang Mai sendet MTV Central sein deutschsprachiges Programm aus den neuen Studios am Berliner Osthafen im Bezirk Friedrichshain. Das ehemalige Hafengelände wird unter dem Namen »Media-Spree« zu einem wichtigen Standort der deutschen Medienindustrie umgewandelt. Nebenan liegt die von der Alster an die Spree gezogene Deutschlandzentrale von Universal Music im denkmalgeschützten ehemaligen Eierkühlhaus, wo nach Angaben der Welt gekränkte Hamburger Landespolitiker ein Grab für 35 Subventionsmillionen vermuten. Zahlreiche weitere Projekte sind geplant.

Im Dezember 2002 entschied sich MTV, einen Mietvertrag mit der landeseigenen Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft mbH (Behala) für das vom Senat angebotene ehemalige Lagerhaus zu unterschreiben. Das Werben um einen attraktiven, jugendlich frisch wirkenden Investor, das unter dem Wirtschaftssenator Gregor Gysi begann, hat sich gelohnt. München als Konkurrent wurde ausgestochen. Eine Firma mit einer Belegschaft, die durchschnittlich 28 Jahre alt ist, passt in das gewünschte Bild vom neuen, kreativen Berlin.

MTV wollte sein Geschäft in Deutschland zentralisieren, um Kosten zu sparen und die Kommunikation zu verbessern. Nicht die öffentliche Förderung sei entscheidend für den Umzug gewesen, sagte Catherine Mühlemann, die Geschäftsführerin von MTV Central bei der Eröffnung in Berlin, sondern die Nähe zur Kreativszene, zu Entscheidungsträgern und zur Musikindustrie sowie die niedrigeren Lebenshaltungskosten für die Mitarbeiter. Allerdings habe Berlin bei der Suche nach dem neuen Sendegebäude »die Türen weit geöffnet«, ergänzte Verena Adami, die Pressesprecherin des Unternehmens.

Im 1907 bis 1913 erbauten Lagerhaus entstanden unter großem technischen Aufwand und für zwölf Millionen Euro Baukosten 7 900 Quadratmeter Nutzfläche. Im September 2003 begann der Umbau, der schon im April 2004 abgeschlossen sein musste. Liebevoll wurden zahlreiche Details denkmalschutzgerecht wieder sichtbar gemacht oder erneuert. Großzügige Büros, Archiv- und Technikräume wurden eingerichtet sowie zwei neue Studios mit modernstem technischen Standard. Um diese erschütterungsfrei zu halten, entkernte die Behala das Gebäude in diesem Bereich und baute praktisch ein neues Haus in das alte Gebäude, getrennt durch zahlreiche Dämmschichten.

Für das speziell auf die Bedürfnisse des Senders zugeschnittene Gebäude hat MTV nur einen Mietvertrag über fünf Jahre unterzeichnet, mit einer Option auf weitere fünf Jahre. Statt der sonst üblichen Zuschüsse sei die Morgengabe des Landes an MTV möglicherweise der günstige Mietvertrag mit einer landeseigenen Gesellschaft gewesen, spekulierte die Welt: »ein Prestigeobjekt, beinahe zu jedem Preis«. Hingegen sprach Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) auf dem Podium des Senders von gleichen Konditionen wie bei jeder Neuansiedlung eines Unternehmens.

Sprecher von MTV und Behala bezeichneten den Mietpreis gegenüber der Jungle World als »angemessen« bzw. »marktüblich« mit Einschränkungen, ohne genauere Angaben zu machen. Der Welt zufolge rechne sich die ganze Angelegenheit für die Behala nicht, sei aber politisch gewünscht. MTV bezahle eine eher symbolische Miete für die neuen Studios. »Sollte MTV freilich frühzeitig die Koffer packen, hätte die Behala ein Problem … Als Bürohaus wäre das Lagergebäude quasi unvermietbar.«

Mietzins und Aufwand stünden in keinem vernünftigen Verhältnis, räumte sogar der Geschäftsführer der Behala, Horst Schuberth, in der Berliner Morgenpost ein. Diese Aussage wollte er auf Nachfrage zwar »so nicht ganz« stehen lassen, verwies aber darauf, dass man mit dem Vertragspartner MTV Stillschweigen vereinbart habe.

Neue Arbeitsplätze für Berlin wurden kaum geschaffen. Fast alle der 115 Angestellten bei MTV arbeiteten vorher an den anderen Standorten des Senders. Einen Betriebsrat kennen sie nicht, und »Tarifvertrag« ist für sie ein Fremdwort. »Wir haben eine andere Grundphilosophie«, erklärte Adami. Sollte jemand ein Problem haben, so stehe ihm auch bei der Chefin jederzeit die Tür offen.

Mit »Video Killed the Radio Star« begann der Sender 1980 sein Programm. Heute ist MTV vollständig im Besitz des US-amerikanischen Medienkonzerns Viacom, zu dem unter anderem auch der US-Sender CBS, die Paramount Studios und die Videokette Blockbuster gehören. Viacom strich im Jahr 2003 bei 25 Milliarden Dollar Umsatz einen Gewinn von zwei Milliarden Dollar ein. MTV ist ähnlich profitabel, ohne eigene Zahlen herauszugeben. Der Umsatz in Deutschland stieg im vergangenen Jahr um 16 Prozent. Als neues Geschäftsfeld wurden die Kommunikationsdienste der Mobilfunkbetreiber entdeckt. Bereits ein Fünftel des Umsatzes und die höchsten Zuwachsraten erzielt MTV mit Musikübertragungen auf Handys, Internetdiensten und Klingeltönen, während die Plattenindustrie über den Rückgang des Geschäftes mit käuflichen Tonträgern jammert, die Werbeetats kürzt und weniger Videoclips produziert. Der Sender passe sich an die sich wandelnden Bedürfnisse seiner Zielgruppe an, schrieb die Financial Times.

In Deutschland haben MTV und MTV2Pop bei den 14- bis 29jährigen einen Marktanteil von 4,1 Prozent. Wiederkehrende Gerüchte von einer Übernahme des in die roten Zahlen gerutschten Konkurrenzsenders Viva werden zwar nicht kommentiert, es steht aber schon ein Übernahmeangebot durch den Mutterkonzern Viacom für 300 Millionen Euro im Raum, der mit dem Kauf eine Monopolstellung bei den Musiksendern einnähme.

Von Berlin aus strebt MTV die Eroberung Osteuropas an. Der nun neben MTV Central in Berlin ansässige Geschäftsbereich »Emerging Markets« produziert das englischsprachige Programm für die Länder Osteuropas von Tschechien bis Georgien. Russland und Polen haben schon eigene MTV-Niederlassungen. Regionalisiert werde, wenn es anfange sich zu rechnen, wie die Sprecherin Adami sagt.

Völlig unpolitisch sei der Sender, betont sie. Es werde von Lied zu Lied entschieden, was gesendet werde. Gehypt werden kommerzielle Erfolge, wie umstritten sie auch sein mögen. So standen die Böhsen Onkelz auf der Playlist, als sie erfolgreich waren, ebenso wie jetzt die machistischen Ergüsse Sidos. Doch es sei eine Social Campaign gegen Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland geplant, berichtet Adami, die die Jugendlichen ermutigen solle, ihr Schicksal mitzubestimmen – was immer das auch heißen mag.

Für die Belegschaft hat sich der Umzug schon gelohnt. »Berlin ist so viel billiger«, schwärmt Geschäftsführerin Mühlemann. Sie selbst werde ihre Wohnung in Zehlendorf bald gegen eine in Friedrichshain tauschen. Weitere Großverdiener dürften ihrem Beispiel folgen und den Verwertungsdruck in den umliegenden »Szenevierteln« Friedrichshains und Kreuzbergs verstärken sowie die Verdrängung einkommensschwacher Schichten vorantreiben. Immobilienmakler werben schon für die bis vor kurzem verschlafene Schlesische Straße und den Wrangelkiez als »Mediaviertel Kreuzberg«.