Hybrid ist nicht Multikulti

Erstmalig sind die Arbeiten des postkolonialen Künstlers Yinka Shonibare im deutschsprachigen Raum zu sehen. von jens kastner

Zwei unter der Decke hängende Astronauten, bekleidet mit Raumanzügen aus traditionell afrikanisch anmutenden Stoffen: Statt Muster mythologischer Symbole sind auf dem Anzug des einen Bilder der US-amerikanischen Popband The Delfonics zu finden, die schon durch die Wiederentdeckung in Quentin Tarantinos Film »Jackie Brown« zu postmodernen Ehren gekommen ist. Ein Detail, das ikonographisch eigentlich bedeutungslos ist und dennoch einiges aussagt. Denn wer den nigerianisch-britischen Künstler Yinka Shonibare als Urheber der beiden Spacewalker, deren Raumschiff auch noch »Martin Luther« heißt, auf identitätspolitische Aussagen festlegen will, läuft ins Leere. Schon Shonibares bei der Documenta 11 gezeigte Anordnung adliger Figuren beim Gruppensex, die, kopflos und lebensgroß, Gewänder aus bunten Stoffen tragen, hatten Interpretationen hervorgerufen, die auf eine angenommene westafrikanische »Verwurzelung« des Künstlers Bezug nahmen.

Dass Shonibare als schwarzer Künstler beinahe automatisch auch schwarze Ethno-Kunst machen muss, gerade dagegen wehren sich jedoch die Arbeiten Shonibares. In jedem Stoffgeschäft seien seine verwendeten Materialien zu kaufen, betont er, und sie würden eben gerade keine Eingeborenen-Geschichten erzählen. Nicht afrikanische Identität, sondern warholsche Pop-Art ist somit die Referenz, auf die die Arbeiten Shonibares hier Bezug nehmen.

Ein anderer Rekurs ist seine Methode der Irritation durch ironischen Bruch und die Verunsicherung durch Fake. In der fünfteiligen Fotoserie »Diary of a Victorian Dandy« (1998) setzt sich der Künstler selbst in Pose inmitten eines viktorianischen Ambientes, umgeben von Dienstmädchen und anderem Personal mit weißer Hautfarbe. Macht die verfremdete Selbstinszenierung einerseits Anleihen bei feministischen Werken der neunziger Jahre à la Cindy Sherman, stellt die fotografische Serie sich gleichzeitig in den Kontext derartig dokumentarischer Arbeiten, die mit Hilfe der Fiktion westliche Wahrheitsregimes in Frage stellen.

Seiner ästhetischen Präferenz für viktorianische Kostüme kommt Shonibare auch in der aus zwölf großformatigen Fotos bestehenden Bebilderung von Oskar Wildes Buch »Dorian Gray« nach. Auch hier projiziert sich der Künstler in die Geschichte der westlichen Hochkultur. Selber die Hauptrolle spielend, koppelt er die literarischen Motive dekadenter Lebensweisen und aristokratischer Ausschweifungen mit dem der kulturellen Unsichtbarkeit schwarzer Subjekte.

Was Shonibares Rolle im Kunstbetrieb betrifft, so sieht er sich als »postkolonialen Hybriden« und damit als eine Figur, die in den Cultural Studies als Subversionsmodell ausgearbeitet worden ist. Der Theoretiker Homi Bhabha hat Hybridität einerseits als eine Praxis subversiver Aktion im kulturellen Feld beschrieben, andererseits als Bestandteil einer Kulturtheorie, die sich den Machtverhältnissen post- und neokolonialer Situationen widmet. Ausgerechnet in Deutschland scheint sich dieser Diskurs gerade von der Kritik an Machtverhältnissen zu verabschieden, und Hybridität mit dem fröhlichen Durch- und Nebeneinander des Multikulturalismus zu übersetzen. Zwar geht es auch bei Shonibare farbenfroh und lustig zu, von einer potenziellen Kritik will er sich deshalb jedoch nicht verabschieden.

Offenbaren seine Skulpturen, vor allem so wie sie jetzt in der Wiener Kunsthalle präsentiert werden, nämlich in der Zusammenschau mit den Fotos, die künstlerische Strategie Shonibares, kommen die politischen Aspekte seiner Arbeiten nicht zu kurz. Denn allein bei Bezügen zur westlichen Kunstgeschichte bleiben die Werke Shonibares nicht stehen. Begnügt sich die Methode des Regisseurs Tarantino mit dem Rekurs auf kulturelles Terrain, weisen die Issues von Shonibares Kunst über dieses hinaus. Was wir also bei seinen Arbeiten als traditionell afrikanisch identifizieren, ist als kultureller Ausdruck in Wirklichkeit ein Produkt kolonialer Handelspolitik. In England und Holland für den Export nach Indonesien gefertigt, konnten etwa die Wachsbatiken, auf die Shonibare rekurriert, erst viel später zu Symbolen westafrikanischen Selbstbewusstseins werden.

Auf die Frage, warum er, Shonibare, gerade das viktorianische Zeitalter als Hintergrund für seine Arbeiten gewählt habe, um den von der Kolonialgeschichte geprägten rassistischen Blick zu thematisieren, antwortet Shonibare trocken: »Mir gefällt die Kleidung.« Als ein weiteres zentrales Thema in den humorigen Arbeiten Shonibares erweist sich also, dass und inwiefern Kleider Leute machen. Um zu verstehen, dass das eine Frage der Politik ist, braucht man weder Mode- oder Kolonialismusexperte noch Pierre Bourdieu zu sein. Der hiesigen Theoriedebatte, in der der deutsche Kolonialismus eine so marginale Rolle spielt, können die Themen des in London geborenen und in Nigeria aufgewachsenen Künstlers also nur bereichernde Anregung sein.

Yinka Shonibare. Kunsthalle Wien, noch bis zum 5.September 2004.