Ich tausch mir was

Die in ganz Deutschland existierenden Tauschringe geben vor, eine Alternative zum Kapitalismus zu sein. Dabei helfen sie nur, das Elend zu verwalten. von peter bierl

Du schneidest mir die Haare, ich passe auf deine Kinder auf. Ich repariere dein Fahrrad, dafür hilfst du mir beim Umzug. Das ist gegenseitige Hilfe. Die Tauschringe, die es überall in der Bundesrepublik gibt, funktionieren jedoch anders.

Ihre Transaktionen werden durch Geld vermittelt, wobei statt in Euro in virtuellen Phantasiewährungen abgerechnet wird. Angeboten werden u.a. Musik- und Sprachunterricht, Horoskope, Massage und Reiki, Computerkurse, Fahr- und Betreuungsdienste, sehr gefragt sind auch handwerkliche Arbeiten. Die jeweiligen Beträge werden auf Konten des Tauschrings gebucht, als Haben für den Verkäufer und Soll für den Käufer.

Wer mittauschen will, muss zuvor einem als Verein organisierten Tauschring beitreten. Die Mitglieder zahlen eine Gebühr, meist in harten Devisen, um eine Zentrale zu finanzieren, die über eine Zeitung oder das Internet Angebot und Nachfrage vermittelt und für jeden Teilnehmer ein Konto führt.

Die Stadt Witten in Nordrhein-Westfalen etwa kooperierte mit dem örtlichen Tauschring. Dessen Mitglieder trafen sich in städtischen Räumen und bezahlten Miete in ihrer Phantasiewährung, von dem Guthaben bezahlte die Stadt Mitglieder des Tauschrings, die die Räume renovierten. Anders gesagt: Bürger mussten für die Nutzung städtischer Infrastruktur bezahlen, und die Stadt etablierte einen Niedriglohnsektor für die Renovierung.

Einige Tauschringe, etwa in Halle oder Worms, verlangen für Guthaben auf den Konten Zinsen. Dies entspricht der Idee des deutsch-argentinischen Kaufmanns Silvio Gesell (1862–1930), dem Mentor der Tauschringe, ein so genanntes Schwundgeld einzuführen, also Geld, das ständig an Wert verliert. Gesell und seine Nachfolger behaupten, Geld sei wertbeständig und werde von Geldbesitzern gehortet, um Zinsen zu erpressen. Dadurch würden Wirtschaftskrisen ausgelöst.

Jede Inflation belegt, dass diese Annahme falsch ist. Gesell behauptet, nur bei hohen Zinsen würden die Geldbesitzer investieren. Dagegen beschwört etwa die OECD gerade die Staaten der EU, die Zinsen zu senken, um die Konjunktur anzukurbeln. Entgegen der vulgärökonomischen Zinsknechtschaftslehre, die von der Ausbeutung in der Produktion nichts wissen will, halten Banken auch bei niedrigen Zinssätzen das Geld nicht zurück. Jeder Blick in den Wirtschaftsteil einer Zeitung zeigt, dass Gesells Lehre unhaltbar ist.

In Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie in den angelsächsischen Ländern beziehen sich aber die meisten Tauschringe auf Gesell. Der erste wurde 1983 in Kanada gegründet. In Deutschland entstanden 1994 die ersten Gruppen. Derzeit existieren hierzulande über 200 Tauschringe mit etwa 20 000 Mitgliedern. Ihre Verfechter behaupten, es handle sich um ein Gegengewicht zur »Globalisierung der Geldwirtschaft« auf lokaler Ebene, wie etwa Klaus Reichenbach in der Internetzeitung Tauschsystemnachrichten schreibt. Der geldvermittelte Tausch bedeute Selbstverwirklichung, fördere Gemeinschaft und Solidarität. Tauschringe seien Teil einer »gesamtgesellschaftlichen Umorientierung« und »Experimentierfelder für Gemeinwesenarbeit«, meint die »Arbeitsgemeinschaft bundesdeutsche Tauschsysteme«.

Mitglieder von Tauschringen mischen an vielen Orten auch in Attac-Gruppen und Sozialforen mit. Auf den europäischen Sozialforen in Florenz im Jahr 2002 und in Paris 2003 stellten sie ihre Projekte als neue Form lokaler, sozialer und nachhaltiger Ökonomie vor. Auch in Argentinien hatten die Tauschringe großen Zulauf.

Der Verlag Assoziation A hat ein Buch mit dem Titel »Que se vayan todos. Krise und Widerstand in Argentinien« veröffentlicht. Die Autoren von der Gruppe Colectivo Situaciones schwärmen darin von einer neuen Entwicklungsdynamik, die die argentinischen Tauschringe eröffnet hätten, von einer »wirklichen materiellen Vergesellschaftung des eigenen Tuns«, die unabhängig vom Kapitalismus im Hier und Jetzt »alltäglich und konkret die soziale Reproduktion« gewährleiste. Es handele sich um eine solidarische Ökonomie und »alternative Praktiken im Umgang mit Geld und Waren«.

1995 wurde der erste Tauschring von drei Anhängern Silvio Gesells in der Provinz Buenos Aires eröffnet. Im Jahr 2000 existierten etwa 450 Gruppen mit über 370 000 Mitgliedern, die eine eigene Währung, den Credito, ausgaben. Schätzungen und Umfragen zufolge beteiligten sich bereits im Sommer 2002 etwa zehn von 36 Millionen Argentiniern am Tauschringsystem. Die vermehrte Ausgabe von Creditos kurbelte jedoch nicht die Produktion an, wie die Aktivisten der Tauschringe und einige Linke vorhergesagt hatten. Es blieb beim Mischen von potenzsteigernden Kräutertees, wie die Neue Luzerner Zeitung berichtete, während es an Nahrungsmitteln fehlte. In »Que se vayan todos« wird auch beschrieben, wie Tauschringhändler billigen Zucker im Supermarkt kauften und mit Aufpreis in Creditos verkauften oder umgekehrt mit Creditos auf dem Tauschmarkt günstig einkauften und ein paar Straßen weiter für offizielle Währung mit Gewinn wieder verkauften.

Mitte des Jahres 2002 tauchten insgesamt 260 Millionen gefälschte Scheine auf. Die Folge war eine rapide Inflation des Credito. Im Herbst 2002 brach das System zusammen und schrumpfte bis März 2003 auf 200 000 Teilnehmer.

Was einige Linke hier verklären, ist eine Überlebensstrategie, die zu einem sehr bescheidenen Auskommen beitragen mag, aber Teil der kapitalistischen Ökonomie bleibt. Werden obendrein Strafzinsen verhängt oder wird Schwundgeld eingeführt, besteht keine Möglichkeit, für Zeiten der Krankheit oder das Alter durch Sparen vorzusorgen.

Das entspricht Gesells eugenischem Ziel. Er wollte einen Manchesterkapitalismus ohne Zins und Bodenrente einführen und glaubte, dass die Menschen mit den besten Erbanlagen wirtschaftlichen Erfolg hätten und sich am stärksten fortpflanzen würden. Dadurch würde es zu einer »Hochzucht« der Menschheit kommen, während die »Minderwertigen« verschwänden.

Tauschringe bedeuten Armutswirtschaft und Elendsselbstverwaltung. Sie dienen als propagandistisches Vehikel für Utopien vom Schwundgeld und Phantasien von der »Zinsknechtschaft«. Während Industrie- und Finanzkapital untrennbar verflochten sind, unterschied Gesell zwischen bösen Geldbesitzern und guten Unternehmern. Die Nationalsozialisten prägten dafür die Parole »raffendes versus schaffendes Kapital«, wobei sie die »Raffer« als die Juden identifizierten. Auch Gesell bewegte sich in einem völkischen Milieu. Einer seiner Anhänger, Rolf Engert, notierte 1919: »Völkisches Empfinden duldet keine Zinsknechtschaft.«