Keine intakte Welt

Selbstmord in Abschiebehaft. Der Fall des Ukrainers Juri Palienko. Von Heike Herzog und Eva Wälde

Juri Palienko war ein vielseitig interessierter Mensch. Er war handwerklich und technisch sehr begabt. Von Beruf war er Schlosser. In der Ukraine arbeitete er als Qualitätskontrolleur bei der Herstellung von Kinoapparaturen und als stellvertretender Direktor eines Kaufhauses. Bevor er 1990 in die BRD floh, war er als Kraftfahrer in einer Kooperative tätig.

In seiner freien Zeit forschte er auf dem Gebiet der Raumfahrt. Es gelang ihm eine Erfindung: einen Flugkörper, der »revolutionär für die Raumfahrt« (1) sei. Noch in der Ukraine nahm er deshalb Kontakt mit verschiedenen Unternehmen auf, u.a. mit der Rüstungsfirma Messerschmidt-Bölkow-Blohm. Den detaillierten Plan und die technischen Zeichnungen wollte er sich in der BRD patentieren lassen.

Juri Palienko war ein Anhänger der »Volksbewegung Ruch« gewesen, die für die Unabhängigkeit der Ukraine von der Sowjetunion eintrat. Ende der achtziger Jahre wurden die staatlichen und politischen Unabhängigkeitsforderungen in der Ukraine immer lauter. Politisch verfolgt wurde Palienko, als er im Juni 1989 bei einer Kundgebung im Sportstadion von Odessa eine Rede hielt. Dabei kritisierte er die Machtübernahme der Kommunisten bei der russischen Februarrevolution von 1917, die er als Ursache für die aktuellen Probleme der Ukraine ansah.

Er wurde zusammen mit weiteren TeilnehmerInnen der Kundgebung festgenommen. Beim Verhör drohte man ihm, seine politischen Aktivitäten an seinem Arbeitsplatz in der Kooperative zu verraten. Mit der Aufforderung, sich nicht mehr politisch zu betätigen, wurde er freigelassen.

Aus Angst vor Verfolgung unterließ Palienko die politische Arbeit. Seit seiner Inhaftierung erhielt er einige Vorladungen des Militärkommissariats, denen er nicht Folge leistete. Vermutlich sollte er zur Armee eingezogen werden, nachdem ihm schon einmal mit einem Verfahren wegen Verweigerung des Militärdienstes gedroht wurde.

Große Erwartungen hegte Palienko wegen seiner technischen Erfindungen, die man ihm zufolge als Militärgeheimnisse hätte einstufen können. So befürchtete er weiterhin, von der Regierung unter Druck gesetzt zu werden und verließ schließlich das Land.

Das Asylverfahren

Palienko reiste am 29. August 1990 mit einem Visum in die BRD ein. Er wurde in einem Flüchtlingslager in Isen, etwa 40 Kilometer östlich von München, untergebracht. »Er war ein Mensch voller Elan, voller Begeisterung für Deutschland« (2), beschrieb ihn eine Freundin, die ihn damals über einen Dolmetscher für Russisch kennen lernte. Palienko sei optimistisch und hoffungsvoll gewesen.

Er fand sich schnell zurecht. Seinen erlernten Beruf als Schlosser konnte er gut einsetzen. Im Flüchtlingslager wurde er bei technischen Problemen immer wieder um Hilfe gebeten. (3) Im Sommer 1991 fand er in einer Fabrik in Isen Arbeit. Später konnte er mit dem verdienten Geld eine Dreizimmerwohnung in einem Haus renovieren, das abgerissen werden sollte. Palienko zog aus dem Flüchtlingslager aus, was ihm, wie vielen anderen Flüchtlingen auch, vermutlich sehr viel bedeutete.

Nach der Renovierung wohnte er mit seiner inzwischen aus der Ukraine nachgekommenen Lebensgefährtin und deren Kind zusammen. Sein neues Leben in der BRD schien in glücklichen Bahnen zu verlaufen.

Das Glück trog. Allmählich wurde die Illusion einer intakten Welt zerstört, so ein Freund Palienkos. Zum einen ging bei den Anträgen auf Patentierung seiner Flugkörper nichts voran. Für ihn sei dies eine Riesenenttäuschung gewesen. Zum anderen lief das Asylverfahren. Am 10. Juni 1992, fast zwei Jahre nach der Einreise, erfolgte die Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl). Einen Tag vor Weihnachten im Jahr 1993 erfuhr Palienko, dass sein Asylantrag als »offensichtlich unbegründet« abgelehnt wurde. Die staatliche Verfolgung wurde vom BAFl als zu gering eingeschätzt, als dass sie asylrelevant sein könnte.

Was in den folgenden Jahren geschah, konnten wir im Detail leider nicht herausfinden. Tatsache jedoch ist, dass Palienko trotz der Ablehnung des Bundesamtes in der BRD bleiben konnte.

Dem Bayerischen Flüchtlingsrat (4) zufolge hatte Palienko am 26. Juni 1995 einen Termin im Landratsamt Erding. Da sein Reisepass Anfang Juli abgelaufen wäre, wurde er auf dem Ausländeramt aufgefordert, sich ein Rückflugticket nach Odessa in der Ukraine zu besorgen. Palienko, der die Hoffnung auf einen weiteren Verbleib in der BRD bereits aufgegeben hatte, legte einen Tag später dem Amt in Erding das Rückflugticket vor.

Nach Aussagen von Michael Stenger vom Bayerischen Flüchtlingsrat kam es daraufhin zum persönlichen Einsatz des Sachbearbeiters Wanka vom Ausländeramt Erding. Wanka habe nicht nur beim ABR-Reisebüro telefonisch das Datum des Fluges um eine Woche vorverlegen lassen, damit Juri Palienko garantiert nicht länger in der BRD bleiben könne, als es sein Pass zuließ. Der Sachbearbeiter habe zudem Palienkos damaligem Arbeitgeber fälschlicherweise mitgeteilt, dass dieser schon abgereist sei und er die Arbeitsstelle anderweitig vergeben könne. (5)

Die Konsequenz: Palienko war plötzlich arbeitslos.

Was diese Situation für ihn bedeutete, bezeugen die Aussagen seiner Freunde und Bekannten: Sein körperlicher und seelischer Verfall sei immer offenkundiger geworden. Die Angst vor einer Abschiebung und der Arbeitsplatzverlust wurden als Ursachen für den späteren Suizid angesehen.

Juri Palienko unterzog sich schließlich im Frühjahr 1996 einer psychiatrischen Behandlung. Aufgrund einer möglichen Selbstgefährdung musste er im April 1996 nach zahlreichen schweren Depressionen für eine stationäre Behandlung ins Krankenhaus.

Gleichzeitig wurde ein Antrag auf die Durchführung eines Folgeantrages gestellt. Dieser wurde am 8. Mai 1996 vom Verwaltungsgericht Ansbach abgelehnt. Darin wurde erstmals von offizieller Seite auf einen eventuellen Verfolgungswahn bei Juri Palienko hingewiesen. (6) Ein weiterer Versuch seines damaligen Rechtsanwaltes in Berufung zu gehen, wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am 10. Juni 1996 abgelehnt. Das Asylverfahren war somit endgültig abgelehnt.

Die Rückreisevorbereitungen

Juri Palienko beantragte von sich aus die nötigen Dokumente für die Rückreise beim ukrainischen Konsulat. Am 18. Juni 1996 erhielt er ein so genanntes Rückkehrzertifikat, das bis zum 18. September 1996 gültig war. Das Landratsamt Erding verkürzte die Grenzübertrittsbescheinigung auf den 30. August 1996.

Dem Ausländeramt erklärte Juri Palienko, dass er der Ausreisepflicht Anfang Juli 1996 nachkommen würde. Deswegen hatte er bereits seine Tochter Olga in der Ukraine verständigt. Sie sollte ihn mit einem Kleintransporter zurückfahren. Er allein traute sich die etwa 2000 Kilometer lange Fahrt nicht mehr zu, »da er psychisch krank war und dreimal am Tag Medikamente einnehmen musste«, schrieb uns Hubert Heinhold, Palienkos Rechtsanwalt aus München.

Auch sein damaliger Anwalt bestätigte dem Ausländeramt am 25. Juni 1996, dass sein Mandant ausreisewillig sei. Vom Ausländeramt kam nie eine Antwort, sodass das Schreiben als akzeptiert galt.

Juri Palienkos Ausreise stand nun unmittelbar bevor. Um die Einzelheiten noch einmal zu klären, sprach er am 4. oder 5. Juli 1996 in Begleitung einer Dolmetscherin erneut beim Ausländeramt Erding vor. Der für Palienko zuständige Sachbearbeiter war nicht anwesend. Die Vertreterin teilte mit, dass Palienko am Anfang der folgenden Woche noch einmal kommen sollte. Er musste sich damit zufrieden geben.

Der nötige Visumsantrag für Palienkos Tochter Olga, um in die BRD einreisen zu können, war inzwischen abgelehnt worden. Die Gründe konnten wir nicht in Erfahrung bringen. Stattdessen durfte der Freund der Tochter und dessen Bekannter einreisen, um Palienko abzuholen.

Die Abschiebehaft

Für Dienstag, den 9. Juli 1996, verabredete sich Juri Palienko mit seinem Freund, der ihm beim Kauf eines Transporters für die Rückreise behilflich sein sollte. Es kam jedoch ganz anders. Frühmorgens klingelte die Polizei an Palienkos Wohnungstür in Isen und nahm ihn fest. Die zwei Männer, die aus der Ukraine angereist waren, um ihm bei der Rückreise zu helfen, schliefen im Nebenzimmer. (7) Diese Situation muss für Palienko ein solcher Schock gewesen sein, dass er sogar vergaß, seine Medikamente einzupacken.

Palienko kam zunächst in Polizeigewahrsam. Von der Polizeistation im zehn Kilometer entfernten Dorfen rief er eine Betreuerin an und bat verzweifelt um Hilfe. (8) Aus dem Polizeigewahrsam wurde Juri Palienko in die Justizvollzugsanstalt Erding gebracht. Eine Eingangsuntersuchung wurde unterlassen. »Eine solche ärztliche Behandlung hätte sich jedoch aufgedrängt«, kritisierte Rechtsanwalt Hubert Heinhold in seinem Brief, »da der elende psychische Zustand offenkundig war.«

Die Abschiebehaft war von Palienkos zuständigem Sachbearbeiter Wanka vom Ausländeramt Erding veranlasst worden. Sechs Wochen vor dem Ende der Ausreisefrist hatte er die Haft beantragt: »Es besteht der dringende Verdacht, dass der Betroffene sich der Abschiebung entziehen will. Bereits im Jahre 1995 hat er die vereinbarte Ausreisefrist nicht eingehalten, sondern zunächst wahrheitswidrige gesundheitliche Beeinträchtigungen vorgeschützt.« (9)

Der Sachbearbeiter stützte sich auf eine angeblich gefälschte Reiseunfähigkeitsbescheinigung. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass er selbst eine Untersuchung auf Reisefähigkeit durch das Gesundheitsamt verhindert hatte. (10) Auch der Vorwurf, dass Palienko sich der Abschiebung entziehen wolle, war nicht haltbar, da er noch am 4. oder 5. Juli 1996, als die Ausländerbehörde die Festnahme beantragte, das Ausländeramt aufsuchte. (11)

Die Anwälte von Juri Palienko legten Beschwerde gegen die Abschiebehaft ein. Der zuständige Richter Grimm vom Amtsgericht Erding lehnte diese mit der Begründung ab, Juri Palienko habe sich »offensichtlich in Widersprüche verwickelt«. (12) Groteskerweise wertete er Palienkos psychische Verfassung als »Indiz für seine Unglaubwürdigkeit«. (13)

Am Donnerstag, zwei Tage nach Juri Palienkos Inhaftierung, besuchten ihn zwei Bekannte und der Freund seiner Tochter. »Der Besuch der drei Personen wurde von einem Beamten der Justizvollzugsanstalt überwacht«, berichtete uns Rechtsanwalt Heinhold. »Die ihn besuchende Frau gewann aus dem Gespräch mit Herrn Juri Palienko den Eindruck, dass dieser akut suizidgefährdet sei. Er war völlig niedergeschlagen und hoffnungslos – und machte einen elenden Eindruck. Während ihre beiden Begleiter mit Juri Palienko sprachen, wandte sich die Frau an den Justizvollzugsbeamten. Sie versuchte, ihm klar zu machen, dass der Abschiebehäftling ein gebrochener Mann und krank sei. Die Frau wies ihn daraufhin, dass sie den Eindruck habe, Juri Palienko wolle sich etwas antun.«

Weil sie sich nicht ernst genommen sah, so Hubert Heinhold, wiederholte sie diese Warnung mehrfach und teilte dem Beamten mit, dass Palienko auch eine Schere von ihr verlangt habe. Außer einem »ja, ja« erhielt sie keine Reaktion. Daraufhin sprach sie einen anderen Beamten an. Von diesem erhielt sie die Antwort: »In Ordnung, machen wir.«

Ein weiterer Freund Juri Palienkos versuchte am gleichen Tag, ihn zu besuchen. Er wurde mit der Begründung nicht vorgelassen, dass der Abschiebegefangene bereits drei Besucher hatte. Auch dieser Freund wies auf die psychische Erkrankung und auf die Einnahme der Medikamente hin. »Diese Warnungen – obwohl eindringlich erklärt – wurden von dem Beamten ebenfalls mit einem ›ja, ja‹ entgegengenommen, was den Bekannten veranlasste, nochmals auf die Ernsthaftigkeit des Problems hinzuweisen. Gleichwohl hatte er das Gefühl, gegen eine Wand zu sprechen«, meinte Rechtsanwalt Hubert Heinhold.

Dass Juri Palienko nervlich am Ende war, erkannte auch ein Mithäftling, der am Freitag, den 12. Juli 1996, diesen Freund anrief. Er teilte ihm mit, dass es Palienko sehr schlecht gehe, dass er seit Tagen nichts mehr gegessen habe. Er mache sich Sorgen um ihn, und der Freund solle unbedingt etwas unternehmen. Am Samstag rief dieser Freund bei der Justizvollzugsanstalt Erding an. Über das Befinden Juri Palienkos erhielt er jedoch keine Auskunft.

Der Suizid und seine Folgen

Am Montag, den 15. Juli 1996, fand ein Mithäftling Juri Palienko im Freizeitraum. Er hatte sich mit seinem Gürtel am Wasserhahn eines Waschbeckens erhängt. Palienko konnte wiederbelebt werden. Er wurde ins Erdinger Krankenhaus eingeliefert. Als sich sein Zustand wieder verschlechterte, kam er in ein Krankenhaus in München. Im Pressebericht der Erdinger Polizeidirektion war zu lesen: »Er verstarb in der Nacht zum Montag. Vom zuständigen Staatsanwalt wurde eine Obduktion angeordnet. (…) Das Ergebnis bescheinigt zweifelsfrei einen Suizid. Ein Fremdverschulden kann ausgeschlossen werden.« (14)

Anlässlich Juri Palienkos Beerdigung durfte seine Tochter Olga einreisen. Als sie die Hinterlassenschaft ihres Vaters im Gefängnis abholte, fragte sie die Beamten, warum die Warnungen der Besucher und des Mithäftlings offensichtlich nicht beachtet wurden und warum weder eine ärztliche oder psychologische Untersuchung noch eine besondere Betreuung oder Überwachung veranlasst wurde. Auf die Frage, warum ihm nicht wenigstens der Gürtel abgenommen worden sei, erhielt sie die Antwort, so schrieb uns Rechtsanwalt Heinhold, dass so etwas schon lange nicht mehr gemacht würde, da es eine Video-Überwachung gebe.

Hubert Heinhold stellte im Namen der Tochter Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung und Tötung durch Unterlassen. (15) Palienkos Freunde und Bekannte gehen von einer kollektiven Mitschuld der Beteiligten (16) aus: »Wären wir zu ihm gelassen worden, dann wäre er noch am Leben«, fasste Michael Stenger vom Bayerischen Flüchtlingsrat die Aussagen der Freunde und Freundinnen Palienkos zusammen. (17)

Die Staatsanwaltschaft des Landgerichtes Landshut stellte ein Jahr nach dem Suizid das Ermittlungsverfahren gegen die Justizvollzugsanstalt Erding ein. Es wurde eine Beschwerde erhoben. Mit dem Bescheid vom 18. Mai 1998 wurde diese vom Generalstaatsanwalt des Oberlandesgerichtes München zurückgewiesen. Für die Justizvollzugsanstalt ergaben sich die »Hinweise auf einen möglichen Selbstmord des Herrn Juri Palienko lediglich aus dessen eigenen Angaben sowie möglicherweise auch aus den Aussagen der Zeugen. Sonstige Hinweise lagen nicht vor«, zitierte Hubert Heinhold aus der Begründung. Die Behauptung, Justizvollzugsbeamte hätten »durch pflichtwidriges Unterlassen den Tod des Herrn Juri Palienko verschuldet, sei deshalb unbegründet«.

Regierungsdirektor Arnulf Egner, der für die Justizvollzugsanstalt Erding zuständig war, berichtete einen Monat nach dem Suizid in einem Interview, dass die Suizidgefahr bekannt gewesen sei. Um einen Selbstmord zu verhindern, habe man den Abschiebehäftling in einer Gemeinschaftszelle untergebracht, sodass er ständig unter Beobachtung gestanden habe. Eine besondere Beobachtung, bei der ein Häftling mindestens einmal pro Stunde kontrolliert wird, habe man in diesem Fall nicht für notwendig gehalten. Da der Ukrainer im Gespräch auch Pläne für seine Zukunft geäußert habe, sei eine »akute Gefahr für uns nicht erkennbar« gewesen. Auch der Gürtel habe keine spezielle Gefährdung dargestellt. Zum einen könne man die Häftlinge ja nicht in »Papierhöschen« herumlaufen lassen, zum anderen hätte der Ukrainer anstelle des Gürtels genauso gut ein Bettuch zusammenrollen können. (18)

Auch die Strafanzeige gegen das Ausländeramt Erding blieb erfolglos. Am 24. Oktober 1997 wurde das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft eingestellt. Die damalige Sprecherin des Amtes, Eva Hinterwimmer, hielt die Vorwürfe für unbegründet: »Wir wussten nichts von den angeblichen Krankheiten des Mannes.« Außerdem habe man Juri P. vor seiner Festnahme aufgefordert, bis Mitte Juli auszureisen, was er nicht getan habe. (19)

Auch sie stützte sich auf die nach Meinung des Bayerischen Flüchtlingsrates falschen Aussagen des Sachbearbeiters. So habe Juri Palienko im Juni 1995, als er zum Erste Mal ausreisen sollte, »wie vom Gesundheitsamt bestätigt, fälschlicherweise Reiseunfähigkeit geltend gemacht«. (20) Zudem habe nach dem Suizid das Ausländeramt vermittelt, dass »die Erklärung der Ausreisewilligkeit nicht genüge, um von Zwangsmaßnahmen abzusehen«. Dies sei angeblich einer Gehilfin des Anwaltes von Juri Palienko mitgeteilt worden. (21) Ein Anruf, von dem die Angestellten der Kanzlei nichts wissen.

Für die Kosten der Abschiebehaft und für das Begräbnis in Isen, wo Juri Palienko lebte, wurde sein Sparguthaben herangezogen. Michael Stengers Kommentar zum tragischen Ende von Juri Palienko lautet: »Auch dieses Rädchen der Abschiebungsmaschinerie drehte sich im vorgegebenen Rhythmus. Die Verantwortlichen für die Verzweiflungstat sind, was im Normalfall im anonymen Apparat versiegt, in diesem Fall klar auszumachen.« (22) Und weiter: »Man wird es als bedauerlichen Einzelfall beklagen, aber nicht systemimmanent sehen.« (23)

Anmerkungen

(1) »Fremdverschulden kann ausgeschlossen werden«. Süddeutsche Zeitung vom 28./29. September 1996.

(2) Ebd.

(3) Ebd.

(4) Bayerischer Flüchtlingsrat, Presseerklärung vom 17. Juli 1996.

(5) Ebd.

(6) Palienko vermutete, ein Mitglied des KGB sei auf ihn angesetzt gewesen.

(7) Vgl. Heinhold, Hubert: Abschiebungshaft in Deutschland. Eine Situationsbeschreibung. Karlsruhe 1997, S. 143.

(8) Bayerischer Flüchtlingsrat a.a.O.

(9) Bayerischer Flüchtlingsrat, zweite Presseerklärung vom 20. August 1996.

(10) »Behörden angeblich schuld am Tod des Vaters«, Süddeutsche Zeitung vom 23. August 1996.

(11) Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 28./29. September 1996.

(12) Bayerischer Flüchtlingsrat, 17. Juli 1996, a.a.O.

(13) Bürgerinitiative Asyl Regensburg, Presseerklärung vom 21. März 1997.

(14) Süddeutsche Zeitung vom 28./29. September 1996.

(15) Vgl. Heinhold, a.a.O., S. 144.

(16) Bürgerinitiative Asyl Regensburg, a.a.O.

(17) »Strafantrag gegen Erdinger Beamte«, junge Welt vom 24./25. August 1996.

(18) Süddeutsche Zeitung vom 23. August 1996.

(19) »Selbstmord in der Erdinger Abschiebehaft«, tageszeitung vom 23. August 1996.

(20) junge Welt, a.a.O.

(21) Vgl. Ebd.

(22) Bayerischer Flüchtlingsrat, 20. August 1996, a.a.O.

(23) junge Welt, a.a.O.