Wir feiern den Deutschland-Day

Die Teilnahme des Bundeskanzlers an den Feierlichkeiten zum D-Day ist ein weiterer Schritt zur Normalisierung Deutschlands. Der nächste könnte die Einnahme eines Sitzes im Uno-Sicherheitsrat sein. von jörg kronauer

Etwas überfällig«, findet Winfried Nachtwei, war die Einladung wirklich. Da arbeite man nun seit Jahrzehnten in der Nato und der EU zusammen, mokiert sich der sicherheitspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, und doch durften führende Repräsentanten Deutschlands bisher nicht am Gedenken zum so genannten D-Day, dem Tag der Landung der US-Truppen in der Normandie, teilnehmen. Ein merkwürdiger Zustand. Denn eigentlich sei es doch ganz »normal, dass deutsche Repräsentanten bei einer Befreiungsfeier dabei sind«, sagte Nachtwei der Jungle World.

Nachtweis »Normalzustand« war am vergangenen Neujahrstag bekannt gegeben worden. »Bundeskanzler Gerhard Schröder ist vom französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac für Juni zu den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Alliierten-Landung in der Normandie eingeladen worden«, meldete das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung zufrieden. Schon vor Weihnachten habe man den Schritt miteinander abgesprochen, hieß es. Die erste Einladung eines deutschen Kanzlers zum D-Day wurde als Neujahrsgeschenk in Berlin und Paris verkündet: gute Vorzeichen einer anbrechenden neuen Zeit.

Neu ist es, dass ein deutscher Kanzler am D-Day-Gedenken teilnehmen darf, normal ist es eben noch nicht. Normal soll es aber werden. Die alliierten Sieger des Zweiten Weltkriegs feierten bisher stets ohne den Rechtsnachfolger des deutschen Aggressors. Er bemüht sich schon lange, dabei sein zu dürfen, um den üblen Ruf des Nationalsozialismus abzustreifen und sich den Siegermächten gleichzustellen.

1984 war die Lage noch aussichtslos. Ein deutscher Kanzler habe »nichts verloren«, wo tausende deutsche Soldaten elend zugrunde gegangen seien, betonte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl. Zehn Jahre später sah alles anders aus. Deutschland war osterweitert und um 17 Millionen Menschen gewachsen, die ersten Auslandseinsätze der Bundeswehr zeichneten sich ab. Kohls Verlangen, nun an den Gedenkfeiern zum 50. Jahrestag der Landung in der Normandie teilnehmen zu dürfen, wurde damals jedoch noch klar vom französischen Staatspräsidenten François Mitterrand zurückgewiesen. Alles sei nur ein »Missverständnis« gewesen, redete Kohl sich hinterher heraus.

Und er ging in die Offensive. »Die Ausstellung ›Gegen Hitler: Deutscher Widerstand gegen den Nationalsozialismus 1933–1945‹ wird am 15. Juli eröffnet«, verkündete der Pressestab der Washingtoner Library of Congress Anfang Juli 1994. Die hektisch geplante Ausstellung war ein deutsches Projekt. Ihre an Washington gerichtete Botschaft lautete: Auch Deutsche kämpften gegen den Nationalsozialismus. »Man brauchte eine Antwort auf den D-Day«, sagte ein hoher deutscher Beamter der Washington Post. »Man war so betroffen, dass man aus all diesen Gedenkfeiern herausgehalten wurde.«

Heute sind derlei Aktionen nicht mehr nötig. Bundeskanzler Gerhard Schröder wird am kommenden Wochenende gemeinsam mit den Staats- und Regierungschefs der Alliierten des Zweiten Weltkriegs die Schlussoffensive gegen Nazideutschland feiern. Einen Akt von »enormer symbolischer Bedeutung«, erkannte der stellvertretende Regierungssprecher, Thomas Steg, bereits im Januar. Schröder selbst gibt sich »sehr berührt und geehrt«. »Meine Damen und Herren, diese Gesten betrachte ich als einen Beweis für das tiefe Vertrauen, das unsere europäischen Freunde Deutschland und damit den Deutschen heute entgegenbringen«, sagte er am 25. März vor dem Bundestag.

Tiefes Vertrauen? Im internationalen Kampf um Macht und Einfluss spielen Gefühlsregungen eine untergeordnete Rolle. Die Ursache liegt woanders, meint auch Winfried Nachtwei. Der Anfang 2003 vollzogene enge Schulterschluss zwischen Deutschland und Frankreich habe die Einladung in die Normandie erst ermöglicht, sagte der grüne Sicherheitspolitiker am Rande der Parlamentarischen Versammlung der Nato in Bratislava in der vorigen Woche. Der strategische Versuch, gemeinsam mit Deutschland eine Weltmachtposition zu erreichen, hat Paris zum Nachgeben gegenüber Berlin veranlasst.

Dass die USA und Großbritannien nicht gegen die Anwesenheit des deutschen Kanzlers protestierten, hat ebenfalls machtpolitische Gründe. Angesichts der großen Probleme im Irak und der ehrgeizigen Umgestaltungspläne für den Nahen und Mittleren Osten will man es sich mit dem deutsch-französischen Machtblock nicht verderben. Drei Tage nach dem D-Day-Gedenken wollen sich die Staats- und Regierungschefs der vier Staaten beim G 8-Gipfel im US-Bundesstaat Georgia, drei Wochen später beim Nato-Gipfel in Ankara treffen. Weit reichende Beschlüsse sind geplant, die USA und Großbritannien müssen daher Zugeständnisse machen.

Die Bundesregierung ist sich dessen bewusst. Nicht zufällig hat die Regierung kürzlich zu verstehen gegeben, sie sei »finster entschlossen«, einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu erlangen. Das »Zeitfenster« dafür werde sich nächstes Jahr wieder schließen, heißt es im Auswärtigen Amt. Offenbar rechnet man mit neuen transatlantischen Konflikten, Eile ist also geboten. Die Kalkulation könnte aufgehen. Presseberichte orakeln, US-Präsident Bush werde die Feiern zum D-Day nutzen, um seine Zustimmung zu dem deutschen Verlangen zu verkünden.

Die deutsche Machtbasis ist in den vergangenen Jahren gewaltig gewachsen, der Zeitpunkt ist ebenfalls günstig. Konsequent arbeitet die rot-grüne Bundesregierung an der Stärkung der deutschen Position. Die D-Day-Feiern sichern sie symbolisch ab und stellen einen weiteren Schritt zur Normalisierung Deutschlands im internationalen Gefüge dar. »Mit meiner Anwesenheit wird deutlich«, erklärte der Kanzler jüngst dem Focus, »dass wir jetzt darauf bauen können, akzeptiert zu werden bei den ehemaligen Kriegsalliierten: Akzeptiert als gleichberechtigter Partner.«

Gleichzeitig beklagen sich Konservative über die historische Gleichmacherei. »Wird mit der Teilnahme des Bundeskanzlers an diesem Festakt nicht ein weiterer Schritt getan in Richtung auf die Einebnung wichtiger geschichtlicher Ereignisse?« Diese Frage stellt ausgerechnet der Rheinische Merkur. Das extrem konservative Blatt macht sich Sorgen um das Ansehen der Wehrmachtssoldaten. Der Auftritt des Kanzlers in der Normandie lasse sie »nicht mehr als organische Teile der deutschen Geschichte« erscheinen, »sondern lediglich als Repräsentanten eines verbrecherischen Systems«.

Genau dies kennzeichnet jedoch die perfide Technik, mit der SPD und Grüne die Normalisierung Deutschlands vorantreiben. Nicht den Holocaust relativieren, sondern mit Auschwitz deutsche Angriffskriege begründen: Joschka Fischer zeigte beim Überfall auf Jugoslawien, wie man deutsche Verbrechen mit dem deutschen Zivilisationsbruch legitimiert. Nicht indem er die Wehrmacht in Schutz nimmt, sondern indem er ihre Niederlage gemeinsam mit den Alliierten des Zweiten Weltkriegs feiert, erreicht der deutsche Kanzler gleiche Augenhöhe mit den Siegern.

Die Methode ist erweiterbar. Am 1. August will Schröder in Warszawa gemeinsam mit der polnischen Staatsführung des Aufstands von 1944 gedenken. Für den 11. November sind gemeinsame deutsch-französische Erinnerungsveranstaltungen zum Andenken an das Ende des Ersten Weltkriegs geplant. Offen bleibt vorerst der 8. Mai, der in Frankreich ein wichtiger Feiertag ist. Vielleicht werde Paris ihn streichen, spekuliert die taz, um der Wirtschaft einen Gefallen zu tun und die arbeitsfreien Tage zu verringern. Ansonsten hat Winfried Nachtwei vielleicht einen Vorschlag parat. Schließlich ist es ja »normal, dass deutsche Repräsentanten bei einer Befreiungsfeier dabei sind«.