Idylle mit Neonazis

Am kommenden Samstag will die Antifa in Pirna gegen den rassistischen Konsens in der Stadt demonstrieren. Neonazis wollen die Demo stören. von peter conrady

Pirna hat viel von dem, was andere ostdeutsche Kleinstädte sich wünschen. Einen liebevoll sanierten Stadtkern, die Nähe zur Landeshauptstadt Dresden und die großartige Kulisse der Sächsischen Schweiz. Die Stadt bezeichnet sich auch gern als »Tor zur Sächsischen Schweiz«. Alles Friede, Freude, Eierkuchen in der Touristenidylle, wäre da nicht die gut organisierte Neonaziszene, die seit Jahren das Image einer »sauberen und fremdenfreundlichen« Region stört.

Für den kommenden Samstag, den 12. Juni, ruft die Antifa Pirna (AFA13) zu einer Demonstration auf unter dem Motto: »Kein schöner Land – linke Strukturen stärken!« Der »alltägliche Naziterror« beherrsche die Region, es gebe eine »rechte Hegemonie in der Jugendkultur« und einen »rassistischen Konsens in der Gesellschaft«. Erwähnt werden der »Fall Joseph« in der nahe gelegenen Stadt Sebnitz aus dem Jahr 2000 (Jungle World, 51/00) und das Treiben der Organisation Skinheads Sächsische Schweiz (SSS), die inzwischen verboten ist und deren Mitgliedern vor dem Landgericht Dresden der Prozess gemacht wird. »Die Nazistrukturen in der Sächsischen Schweiz sind im besonderen Maße gesellschaftlich verankert und die Nazis als Teil der Volksgemeinschaft vollkommen integriert«, schreiben die Antifas.

Die Pirnaer Aktion Zivilcourage, ein bürgerliches Bündnis gegen Rechte, kritisiert die Demonstration, vor allem den Aufruf. »Es ist prinzipiell immer gut, gegen Rechtsexstremismus zu demonstrieren, auch in der sächsischen Schweiz hat das seine Berechtigung«, sagte ein Sprecher zur Jungle World. »Aber es gibt in Pirna keinen rassistischen Konsens, wie es in dem Aufruf heißt. Wenn man unterstellt, dass alle hier so sind, dann ignoriert man die Bemühungen vor Ort.« Die Aktion Zivilcourage setze vor allem auf Arbeit in den Schulen und auf konkrete Hilfe für Migranten.

Zusammen mit anderen Initiativen veranstaltet sie jährlich am 8. Mai einen »Markt der Kulturen« mit afrikanischen Trommlergruppen, Roma-Musik und lappländischem Bier. Aber auch wenn die Stadt Pirna inzwischen versucht, sich ein weltoffenes Flair zu geben, kann dies nur schlecht über die Realität hinwegtäuschen.

Denn die andere Seite dieser Weltoffenheit musste etwa die türkische Familie Sendilmen kennen lernen. Sie kam Ende der neunziger Jahre nach Pirna und eröffnete hier den anfangs gut gehenden Antalya-Grill. Dann begannen Neonazis aus dem Umfeld der SSS, den Laden in steter Regelmäßigkeit anzugreifen. Insgesamt kam es zu mindestens 13 Angriffen auf den Imbissladen, der mitten in der Fußgängerzone in der Innenstadt lag. Manchmal setzten sich die Sendilmens auch gegen die Angreifer zur Wehr, was ihnen jedoch nur Anfeindungen aus der Bevölkerung einbrachte (Jungle World, 9/02).

Im November 2000 fand dann eine Demonstration gegen Rassismus und für Zivilcourage in Pirna statt. Diese Demonstration wurde von etwa 70 Neonazis mehrfach mit Wurfgeschossen angegriffen und teilweise gestoppt. Danach griffen die Neonazis mit Steinen das Haus und den Laden der Sendilmens an. Gleichzeitig liefen die etwa 600 Demonstranten 50 Meter von dem Haus der Sendilmens entfernt vorbei. Ein Redner rief dazu auf, die Neonazis zu »ignorieren«, das ärgere sie am meisten.

Noch heute steht damals anwesenden Antifas die Wut ins Gesicht geschrieben, wenn sie davon erzählen. Alexa Anders aus Dresden war in Pirna dabei. »Von vorn hallten in der engen Gasse die Ausländer-raus-Rufe der Nazis, die die Familie Sendilmen angriffen, und hinter mir lief die Demonstration vorbei, als wäre nichts. Wir versuchten, die Demo aufzuhalten und sagten, ihr könnt jetzt nicht weitergehen. Dort gibt es gerade einen rassistischen Angriff. Aber die liefen einfach weiter. Dann versuchten wir, eine Hand voll Antifas, der Familie zu Hilfe zu eilen.« Die Familie Sendilmen verließ schließlich im Jahr 2002 die Stadt.

Trotz des Verbotes der SSS und der damit angeblich verbundenen Verunsicherung der Szene sind ihre Akteure nach wie vor aktiv. Sie veranstalten Konzerte, und immer wieder kommt es zu Übergriffen. Sie versuchen auch, bei den bevorstehenden Kommunalwahlen erfolgreich zu sein. Andre Malheur aus Heidenau, ein Mitbegründer der SSS, kandidiert ebenso wie die Väter der verurteilten SSS-Mitglieder Thomas Rackow und Ferry Weihs für die NPD.

Ihre Aktionsfähigkeit wollen die Neonazis auch am 12. Juni unter Beweis stellen. Aus dem Umfeld der Hammerskins und der SSS wird dazu aufgerufen, »Deutschlands Feinde zu begrüßen«. »Bildet Gruppen und greift die Antifas an!« heißt es. »Wer die Antifas nicht direkt angreifen will, der beschränke sich aufs Fotografieren.« Dazu meldete die Junge Landsmannschaft Ostpreußen (JLO) eine Kundgebung in der Innenstadt an, die als legaler Treffpunkt für die Neonazis dienen soll. Damit sie »in der Stadt rumlaufen« und es sich »gemütlich« machen und »den Schmutz begrüßen« können. Die anreisenden Neonazis werden aufgefordert, faules Obst mitzubringen und in »alternativer« Kleidung zu erscheinen.

Karsten Scholz, ein Pirnaer Neonazi mit guten Verbindungen zur regionalen Neonaziszene, gilt in örtlichen Antifakreisen als einer der Drahtzieher hinter den Aufrufen. Er soll demnach unter dem Kürzel »ka« im Internet über die geplanten Neonaziaktionen schreiben. Es gelte, »einfach mal ein wenig Stärke zu zeigen und die Linken ›willkommen‹ zu heißen. Ich hoffe ihr werdet alle kommen!!!« Erst am 8. Mai versuchten rund 30 Neonazis am Rande einer Demonstration der Jungen Landsmannschaft in Dresden, Antifas und ein Fest vor der Neuen Synagoge anzugreifen.

Doch die Organisatoren der Antifademo lassen sich nicht beirren. Lisa Schubert sagte: »Wir lassen uns von den Drohungen der Neonazis nicht einschüchtern und erwarten eine entschlossene Demonstration, die ein Zeichen gegen den rassistischen Alltag in der Region und gegen die rassistische Politik der NPD setzen soll.«

12. Juni, Pirna: Demonstration »Kein schöner Land – Linke Strukturen stärken!« 15 Uhr, Bahnhof Pirna; Treffpunkt zur gemeinsamen Anreise: 13.30 Uhr, Bahnhof Neustadt in Dresden; http://afa13.antifa.net/