Einsam in der Kantine

Möglichkeiten des Widerstands von anton landgraf

Die Frage beschäftigte lange Zeit bestenfalls kleine Theoriezirkel: Wie lässt sich eine massenhafte Kritik an den Arbeitsverhältnissen organisieren? Tatsächlich stehen wir vor einem paradoxen Problem. Die Bedingungen gleichen sich an, doch jeder nimmt sie für sich anders wahr. Selbst ein Ort kollektiver Debatten ist kaum mehr zu finden. Der Fabrikhof, die Kantine, selbst die Großküche im besetzten Haus sind längst Treffpunkte einer verschwindenden Minderheit.

Die Wut über die prekären Zustände ist so individualisiert wie die Verhältnisse. Und paradoxer Weise hat die Kritik an den Arbeitsverhältnissen zu diesem Zustand beigetragen. Die heutige Misere ist ohne die Rebellion gegen die fordistische Arbeitsgesellschaft, die in den sechziger Jahren begann, kaum zu verstehen. Sie kritisierte den Produktionsprozess, den monotonen Takt von der Schule bis zum Fließband. Gegen die regulierte Alltagswelt entwickelte sie eine Subkultur, die mit eigenen Codes und autonomen Strukturen eine so genannte Gegenkultur etablierte.

Die Rebellion war auf eine groteske Weise erfolgreich. Die Kritik an den regulierten Arbeitsverhältnissen entpuppte sich als Motor für eine beschleunigte kapitalistische Entwicklung. Selbstverwaltete Betriebe wurden zum Prototyp der deregulierten Produktion, aus ehemaligen Rebellen wurden kreative Unternehmer. Norditalien, wo die Kämpfe gegen die Fabrikgesellschaft besonders heftig geführt wurden, gehört heute zu den produktivsten Regionen in Europa. Die Produktion läuft in Tausenden von selbständigen Kleinbetrieben, die perfekt vernetzt sind, wie es modellhaft die Firma Benetton praktiziert.

Aus den leitenden Angestellten formierte sich eine Schicht von »Luxusprekären« vor allem in der Kommunikationsbranche. Und aus der ehemaligen Fabrikarbeiterschaft rekrutierte sich das prekäre Proletariat der Dienstleistungsgesellschaft, von den ausgelagerten Abteilungen großer Unternehmen bis zu den Formen moderner Sklaverei als Leiharbeiter.

Während sich die einzelnen Zellen der Arbeitsgesellschaft differenzieren, wird der soziale Aufstieg schwieriger, der freie Fall nach unten jedoch leicht gemacht. Es wird mehr gerackert und weniger verdient. Und die Bereitschaft zur individuellen Identifikation wächst. Nur wer bereit ist, das eigene Leben nach betriebswirtschaftlichen Kriterien zu organisieren, hat die Chance, zu den »produktiven Elementen« der Gesellschaft zu gehören.

Noch gibt es keine Antwort auf diese Entwicklung. Selbst die fortschrittlichste Bewegung, die französischen Intermittents, verdanken ihre Stärke einem fordistischen Relikt. Sie kritisieren zu Recht, dass die völlige Identifikation der Kulturbeschäftigten mit ihrer Arbeit eine Ausbeutung schafft, die bis in die letzten Winkel ihres Lebens eindringt und damit eine Intensität der Wertschöpfung ermöglicht, die früher nicht denkbar war. Ihre gemeinsamen Forderungen finden sie jedoch in der Verteidigung sozialstaatlicher Garantien aus der fordistischen Ära.

Auch wenn ihre Ziele noch defensiv sind, ist ihre Kritik auf der Höhe der Zeit. Sie zeigt, was bereits heute möglich ist: eine Verweigerung von Identitäten, die nur die Hierarchie des Elends reproduzieren.