Kein Herz für Herzl

Aus Anlass seines 100. Todestags wurde in Wien ein kleiner Platz nach Theodor Herzl benannt. Dagegen protestierten Rechtsextremisten, Antiimperialisten, Islamisten, arabische Nationalisten und eine ultraorthodoxe jüdische Sekte. von heribert schiedel, wien

Der kleine, kaum wahrnehmbare Theodor-Herzl-Platz liegt vor den Redaktionsräumen der konservativen Tageszeitung Die Presse, die zu Herzls Zeiten Neue Freie Presse hieß. Für sie hat der Mitbegründer des Zionismus zunächst als Korrespondent in Paris und dann als Feuilletonchef gearbeitet. Nur ein paar Schritte weiter thront ein Denkmal des antisemitischen ehemaligen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger in der Mitte des 1926 nach ihm benannten Platzes. Der Vergleich der beiden Gedenkorte macht deutlich, dass Wien bis heute die Stadt Luegers ist.

Am 2. Juli wurde der neue Herzl-Platz eingeweiht. Bereits am 26. Juni demonstrierten auf Einladung der Palästinensischen Gemeinde in Österreich etwa 50 AntizionistInnen gegen die Ehrung Herzls. Im Glauben, so den Vorwurf des Antisemitismus abwehren zu können, ließ man in der ersten Reihe sechs Aktivisten der »Naturei Karta« marschieren. Bei dieser ultraorthodoxen Splittergruppe handelt es sich um vermeintlich thoratreue Juden, die den Zionismus und den Staat Israel als Gotteslästerung bekämpfen. In ihren Augen stellt die Shoah eine göttliche Strafe für den Abfall vom wahren Glauben dar. Der nur von seinesgleichen als solcher anerkannte »Oberrabbiner« Moshe A. Friedman führt diese Sekte in Österreich an. Unterstützt wird er dabei von Rechtsextremen, Islamisten und arabischen Nationalisten, die ihn immer wieder für ihre antisemitische Agitation instrumentalisieren.

Friedman, dem aufgrund psychischer Probleme vom Gericht ein Sachwalter beigestellt worden ist, kennt dabei keine Berührungsängste. So gab er schon mal der rechtsextremen Deutschen Nationalzeitung ein Interview. Auch die österreichische Version der Jungen Freiheit, das vom FPÖ-Europaabgeordneten Andreas Mölzer redigierte Wochenblatt Zur Zeit, lässt Friedman das sagen, was man selber (noch) nicht sagen darf. In der Ausgabe 48/03 bezeichnete er die palästinensischen Gebiete als »riesiges Konzentrationslager« und Herzl als »geistigen Vater jener Entwicklung, die zum Holocaust führte«. Friedman, der alle Juden und Jüdinnen, welche nicht seine kruden Ansichten teilen, zu »gottlosen Zionisten« erklärt, behauptet weiter, diese betrieben »international aus Geschäfts- und Machtinteressen die Holocaust-Industrie«.

Zur Demonstration gegen die Ehrung Herzls, der dort als »Mörder und Faschist« beschimpft wurde, hatte neben der sattsam bekannten israelfeindlichen Antiimperialistischen Koordination (AIK) auch eine proislamistische Zusammenrottung ehemaliger Linker namens »Sedunia« aufgerufen. Letztere zeichnete schon im vergangenen November für die Störung einer Gedenkveranstaltung anlässlich des NS-Pogroms in Wien verantwortlich. »Sedunia« nennt den Herzl-Platz »ein politisches Geschenk für den zionistischen Apartheidstaat Israel«. In einem Protestbrief an die Stadtregierung ist einmal mehr die Rede vom israelischen »Vernichtungskrieg«.

Neben diversen AntiimperialistInnen, der FPÖ und der Arabischen Liga protestierten vor allem in Österreich lebende Palästinenser gegen die Ehrung, worüber unter anderem das neonazistische Stoertebeker-Netz zustimmend berichtete. Die Palästinensische Gemeinde habe »sehr zur jüdischen Entrüstung« die Ehrung für den Mitbegründer des Zionismus als »Verhöhnung aller palästinensischen und arabischen Opfer der zionistischen Ideologie« bezeichnet. Den diesbezüglichen Protestbrief von George Nicola, einem führenden Palästinenserfunktionär mit Kontakten zum Rechtsextremismus, veröffentlichten die Neonazis gar in vollem Wortlaut.

Theodor Herzl hat einen großen Teil seines Lebens in Wien verbracht. Es war zunächst die Dreyfus-Affäre in Frankreich, welche Herzl 1894 unsanft aus seinem Traum von der Assimilation und dem Ende der Verfolgungen weckte. Als sich ausgerechnet im Mutterland der politischen Gleichstellung der Antisemitismus so gewaltsam äußerte, wurde das ganze Ausmaß der Gefahr für Juden und Jüdinnen in Europa deutlich. Der überwältigende Sieg der antisemitischen Christlich-Sozialen unter Karl Lueger 1895 in Wien tat das Übrige zu Herzls Desillusionierung. Als dann zwei Jahre später Kaiser Franz Joseph seinen Widerstand aufgab und Lueger als Wiener Bürgermeister bestätigen musste, wurde nicht nur Herzl schmerzlich bewusst, wie prekär der Status als »Schutzjuden« der Habsburger ist. Angesichts der immer deutlicher werdenden Unmöglichkeit für Juden und Jüdinnen, sich in christlichen Mehrheitsgesellschaften – und seien sie noch so säkular – zu emanzipieren, erkannte Herzl die Notwendigkeit eines eigenen jüdischen Nationalstaates. Nur in einem »Judenstaat«, so der Titel seines 1896 erschienenen Buches, seien Juden und Jüdinnen sicher.

Zunächst beschränkten sich die Pogrome auf Osteuropa, was vielerorts, vor allem unter den Assimilierten, als blutiges Ausklingen des Mittelalters missverstanden wurde. Während Herzl den Träumen der bedrängten Ostjuden und -jüdinnen vom sicheren Leben in einem eigenen Staat visionäre Kraft verlieh, lehnten die assimilierten, vor allem der Linken und dem untergehenden Liberalismus zuzurechnenden Juden und Jüdinnen mehrheitlich seine Ideen ab. Mit Spott und Hass begegneten sie den jüdischen Flüchtlingen aus Osteuropa und ihrer personifizierten Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit, lief doch die zionistische Idee ihren Träumen von der erfolgreichen Assimilation zuwider.

Obwohl einige unter ihnen noch rechtzeitig ihren Irrtum erkannten und ihre Position zum Zionismus revidierten, setzte sich die Einsicht in die Notwendigkeit eines jüdischen Staates erst nach Auschwitz endgültig durch: »Meinen Antizionismus, der auf meinem Vertrauen in die europäische Arbeiterbewegung basierte oder, allgemeiner, auf meinem Vertrauen in die europäische Gesellschaft und Zivilisation, habe ich natürlich längst aufgegeben, denn diese Gesellschaft und diese Zivilisation haben es Lügen gestraft. Wenn ich in den zwanziger und dreißiger Jahren, statt gegen den Zionismus anzugehen, die europäischen Juden aufgefordert hätte, nach Palästina zu gehen, hätte ich womöglich geholfen, einige Menschenleben zu retten, die später in Hitlers Gaskammern ausgelöscht wurden.« Wer heute hinter diese selbstkritische Erkenntnis des kommunistischen Schriftstellers und Journalisten Isaac Deutscher zurückfällt und Israel als jüdischen Staat von der Landkarte gestrichen sehen will, arbeitet mit an der Vollendung des antisemitischen Vernichtungswerkes. Nichts anderes als der Wunsch nach neuerlicher Vogelfreiheit der Juden und Jüdinnen drückt sich auch in der Ablehnung der Ehrung für den mittelbaren Gründer des »Judenstaates« aus.

Nennenswerten Protest gegen den antizionistischen Aufmarsch in Wien gab es übrigens nicht. Lediglich 20 AntifaschistInnen fanden sich am Rande zu einer kleinen Kundgebung zusammen.