Radioaktive Neutralität

Der Iran hat die mit europäischen Außenministern geschlossene Vereinbarung gekündigt und sein Atomprogramm wieder aufgenommen. von wahied wahdathagh

Was wir tun, ist nicht illegal«, meint der iranische Außenminister Kamal Kharrazi. »Es ist das natürliche Recht des Iran, wieder mit dem Aufbau und der Herstellung von Zentrifugen zu beginnen«, und dies geschehe »unter der Überwachung durch die Internationale Atomenergiebehörde« (IAEA).

Die Zentrifugen dienen der Anreicherung von Uran, das nach offiziellen Angaben allein für die Brennelemente von Atomkraftwerken verwendet werden soll. Wird der Anreicherungsprozess jedoch weiter fortgeführt, kann auch atomwaffenfähiges Material hergestellt werden. Ende Juni hatte das iranische Regime in einem offiziellen Brief an die IAEA angekündigt, wieder mit dem Bau von Zentrifugen zu beginnen und sie auch zu »testen«, nicht aber zu benutzen. Am Dienstag der vergangenen Woche beschloss der Fars News Agency zufolge die Fachgruppe der Kommission für Nationale Sicherheit des islamistischen Parlaments (Majless) die Wiederaufnahme der Urananreicherung.

Vertreter des iranischen Regimes wie Hassan Rohani, Vorsitzender des nationalen Sicherheitsrates, werden nicht müde, den »friedlichen Charakter des iranischen Atomprogramms« und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der IAEA zu betonen. Die Atombehörde in Wien »bedauert« jedoch in einer im Juni veröffentlichten Erklärung die unkooperative iranische Haltung.

Mohammadresa Bahonar, stellvertretender Vorsitzender des Majless, sieht dennoch die Möglichkeit, dass der Iran ein Zusatzprotokoll unterschreibt und der IAEA auch unangemeldete Inspektionen gestattet. Allerdings müsse sie auch ihren Verpflichtungen gegenüber dem Iran nachkommen und die Urananreicherung akzeptieren. Die iranische Propaganda bezeichnet des Bau von Atomwaffen als Verstoß gegen religiöse Prinzipien. Widersacher hätten immer wieder behauptet, dass Staat und Religion getrennt werden müssten, um Sicherheit zu gewährleisten, klagt Bahonar. Doch »in der Islamischen Republik, die eine der transparentesten und populärsten Regierungen der Welt ist, wird keine Gewalt angewendet«.

Wenn die seit 25 Jahren betriebene Politik härtester Gewalt und der Verfolgung der eigenen Bevölkerung als gewaltfrei bezeichnet wird, lässt das auch Rückschlüsse darauf zu, was das iranische Regime unter einem friedlichen Atomprogramm versteht. Der Iran besitzt nach Saudi-Arabien die zweitgrößten Ölvorräte der Welt. Dennoch besteht das Regime darauf, Atomkraft als Energiequelle zu nutzen. Obwohl nur ein einziges Atomkraftwerk gebaut wird, will man einen geschlossenen Kreislauf von der Anreicherung des Urans bis zur Wiederaufarbeitung von Brennelementen – den beiden Schlüsseltechnologien für den Bau von Atombomben – im eigenen Land aufbauen.

Für die Ayatollahs ist die nukleare Rüstung die konsequente Fortsetzung des Strebens nach Hegemonie in der Region. Und insbesondere europäische Politiker und Experten wollen dem Iran mittlerweile die Rolle einer starken Regionalmacht zuerkennen. Die Regierung glaubt man in einen »Dialog« einbinden zu könnnen, der auch ihre unerwünschten nuklearen Ambitionen bremst.

So fordert eine Studie der hessischen »Stiftung Friedens- und Konfliktforschung« eine Politik der Umorientierung auf die pragmatische konservative Fraktion, die »auf Diplomatie und nicht auf Gewaltanwendung und Feindbildkonstruktion setzt«. Die Autorin Samiramis Akhbari würdigt die khomeinistische Diktatur »als Stabilitätsfaktor in der Region«, der eine wichtige Rolle für den wirtschaftlichen Aufschwung spielen könnte.

»Das Fehlen eines charismatischen Revolutionsführers und die Etablierung einer bürokratisch-pragmatischen Elite machen die Transformation des Herrschaftscharakters und zugleich die Legitimationsdefizite des Staates deutlich«, bedauert Akhbari. Doch ungeachtet aller Defizite fordert sie, »Iran als einen wichtigen Hegemon anzuerkennen«.

Solche Erkenntnisse der Friedensforschung, die anscheinend keinen Diktaturbegriff mehr kennt, harmonieren mit den Interessen der deutschen Wirtschaft. Volkswagen lässt Fahrzeuge in der Sonderwirtschaftszone Arge Jadid montieren. Die iranische Wasserversorgung wird von deutschen Firmen für 800 Millionen Euro aufgebaut, was der Bundesregierung als Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung gilt.

Weniger Interesse zeigt man an der nachhaltigen Entwicklung der iranischen Demokratie. Die von der EU propagierte Politik des »Dialogs« bedeutete immer eine Akzeptanz der Diktatur. Im Gegenzug akzeptierte der Iran die Existenz der Demokratie im Westen. Es ist aus der Sicht der Ayatollahs nur konsequent, wenn nun auch erwartet wird, dass der Westen die iranische Atompolitik ebenso akzeptiert wie der Iran die westliche Atommacht.

In Südafrika und Südkorea wurden die militärischen Atomprogramme nach der Demokratisierung aufgegeben. Die totalitäre Diktatur des Iran dagegen hält an ihren Plänen fest. Die Ayatollahs sehen in der Atombombe eine Garantie des Machterhalts und ein geeignetes Mittel für ihre Außenpolitik, die im offiziellen Sprachgebrauch als »aktive Neutralität« bezeichnet wird.

Der religiöse Führer, Ali Khamenei, drohte am Montag der vergangenen Woche mit militanten Aktionen gegen die »feindlichen Staaten«, die die iranischen Interessen bedrohen. Man werde die Interessen eines solchen Staates, der gegenüber dem Iran zu »frech werde«, weltweit angreifen. Im Mai hatte die iranische Nachrichtenagentur Rouydad über geheime Pläne der Revolutionsgarden zur Vernichtung von »29 sensiblen Zielen« im Westen durch Raketen oder Selbstmordattentäter berichtet.

Die Ayatollahs, die mit Sanktionen und sogar militärischen Gegenmaßnahmen rechnen müssen, gehen immer wieder taktische Kompromisse ein. Im Februar vereinbarten sie mit den Außenministern Deutschlands, Großbritanniens und Frankreichs eine vorläufige Beendigung des Urananreicherungsprogramms. Das informelle Abkommen wurde nun von iranischer Seite aufgekündigt. Die europäische Politik ist damit gescheitert. Allerdings hat auch die US-Politik der Eindämmung die iranischen Pläne bislang nicht behindert.

Der Iran hat seine politischen Konsequenzen längst gezogen und eine neue Aufrüstungsspirale in Gang gesetzt. Die Türkei und Saudi-Arabien werden sich ebenfalls zur atomaren Aufrüstung gedrängt fühlen, außerdem steigt die Gefahr der Weitergabe von hoch angereichertem Uran an terroristische Gruppen, die für den Iran als legitime Widerstandsbewegungen gelten. Kurz, die Atombombe in den Händen einer totalitären religiösen Diktatur wäre eine große Gefahr für die gesamte Region.