Die Sprache lieben

Die Rechtschreibreform ist ein bürokratischer Akt der Zerstörung, also typisch deutsch. von thomas blum

Neue Rechtschreibregeln einführen zu wollen, war schon deshalb ein von vornherein zur Lächerlichkeit verurteiltes Unterfangen, weil die alte Rechtschreibung insofern kein Problem war, als diese genausowenig von irgendeinem Bürger dieses Landes beherrscht wurde, wie die neue jemals von einem dieser Bürger erlernt oder auch nur annähernd zufriedenstellend verwendet werden wird.

Es verhält sich vielmehr so: Der Deutsche und seine Sprache führen eine Art friedliche Koexistenz. Er weiß nichts Rechtes mit ihr anzufangen, und sie verweigert sich ihm. Denn für seinen Schäferhund und seine Wohnzimmerschrankwand empfindet der Deutsche mehr Zärtlichkeit als für seine Sprache, und sie zahlt es ihm heim, indem sie ihm im Munde zerfällt wie modrige Pilze. Auch künftig wird das so sein.

Als würden im munter täglich fortschreitenden Niedergang der Sprache, der von Reklame, Journalismus und Politik erbarmungslos vorangetrieben wird, irgendwelche Regeln, seien sie nun gut oder schlecht, noch irgendeine Rolle spielen. Schon heute spricht jeder ohne jedes Schamgefühl wie Dieter Bohlen, und um das Zeug ohne auch nur ein einziges richtig gesetztes Komma aufzuschreiben, hat man Leute wie die von der taz.

Bereits die Bezeichnung »Rechtschreibreform« sollte einen empfindsamen Menschen aufschrecken lassen. Wenn irgendetwas »Reform« heißt in Deutschland, sind übelwollende Spießgesellen am Werk, um eine Sache, die zuvor einigermaßen erträglich war, rücksichtslos zugrundezurichten. Mit der sogenannten Rechtschreibreform, deren Name schon einen Hinweis darauf gibt, daß sie in den Köpfen deutscher Verwaltungsbeamter geboren worden ist, und die, wie jede von oben verordnete Neuerung, nichts anderes ist als ein weiterer Schritt bei dem beständigen Versuch, das Niveau einer Gesellschaft noch weiter zu senken, ist es ebenso.

Nicht genug damit, daß, um die deutsche Sprache kaputtzubeschließen, eine Kommission nach der anderen berufen wird, allesamt bestehend aus unentwegt aktenwälzenden Squareheads und ahnungslosen Technokraten, die mit der Sprache umgehen wie ein Schlachtermeister mit den Schweinehälften. Der ignorante Deutsche und der ihm und seinem Leitzordnerdenken stets zu Willen seiende Rechtschreibreformer wollen auch nichts von der Sprache wissen, also tun sie das einzige, was sie können: sie simplifizieren und reglementieren sie, und weil ihnen die deutsche Sprache hierzu nicht reicht, vergreifen sie sich auch an anderen. Aus einem Wort wie »Portemonnaie« wird so »Portmonee«. Was widerstrebt, wird mutwillig zerstört und auf brutalstmögliche Art zwangsumgeschrieben und eingedeutscht. Und weil keiner das Wort »Bourgeoisie« richtig zu schreiben weiß, werden sie wohl demnächst »Buschwassi« daraus machen.

Niemals lege man deshalb einen Gegenstand wie die Sprache, der einem lieb und teuer ist und aus dem große Kunst entsteht, in die Hände deutscher Beamter oder gar Universitätsprofessoren, denn er wird dort unweigerlich zuschanden gehen. Der Beamte, der Politiker, der Professor, sie wissen nichts von der Schönheit. Alles, was sie interessiert, ist die Zweckmäßigkeit. Zeigte man ihnen einen raffiniert und stilvoll mit antiken Möbelstücken ausgestatteten Salon, in welchem alles in der bestmöglichen Anordnung zueinander sich befindet, sie würden nichts erkennen als einen mit allerlei Sperrmüll vollgestellten Raum, den es aufzuräumen gilt.

Und in derselben Weise gehen sie mit der Sprache um. Nichts haben sie im Sinn, als sie zurechtzustutzen wie ihre Vorgartenhecke, sie einzupferchen, sie auf ihre Zwecke zuzurichten, sie ihrer sinnvollen Regeln zu berauben und sie um neue sinnlose Regeln zu erweitern, sie fortwährend zu vereinfachen, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen und dabei zu verhackstücken, mit dem Ziel, daß hernach jeder stammelnde Kretin sich straflos ihrer bedienen kann. Nicht allein, daß sie derart bloß Verwirrung stiften, wo zuvor keine war. Es ist noch fürchterlicher: Sie zerstören Kulturgeschichte. Als würde man sie dabei beobachten, wie sie aus einem Museum für moderne Kunst die Werke Cézannes und Van Goghs auf die Straße werfen mit der Begründung, diese alten Schinken seien nicht mehr modern genug.

Mit dem nationalistischen Gequengel und dem fanatischen Sprachreinerhaltungswahn selbsternannter »Sprachschützer« und ihren völkischen Sprachschrebergartenvereinen hat das nichts zu tun. Ginge es nach ihnen, würden sie die Sprache in einen großen Eichenschrank einsperren und sie dort archivieren.

Eine Sprache aber, welche auch immer, lebt, und wie ein schönes, wahres, noch unvollendetes und stetig im Wachsen begriffenes Werk will sie, daß man ihr mit wachen Sinnen, Neugier und Leidenschaft begegnet. »Reformieren« läßt sie sich ebensowenig wie ein 30 Jahre alter Whisky von der schottischen Westküste.