Schröder wird übel

Die kleinen Korrekturen an Hartz IV können die Lage der SPD nicht verbessern. Ihre Wähler verstehen nicht, wieso der Sozialstaat abgebaut werden muss, um ihn zu erhalten. von jörg sundermeier

Die SPD rettet den Sozialstaat. Bundeskanzler Gerhard Schröder, Wirtschaftminister Wolfgang Clement, Finanzminister Hans Eichel und der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering, alle retten, retten, retten. Sie selbst sagen es, wieder und wieder. Gerade mit der Hartz-IV-Gesetzgebung kämpften sie dafür, dass die soziale Marktwirtschaft überhaupt erhalten werden könne. »Hier liegt der Grund für die Veränderungen, die wir eingeleitet haben – spät, aber nicht zu spät«, sagte Schröder am Samstag auf dem Landesparteitag der brandenburgischen SPD in Brandenburg an der Havel.

Nun sind die Sozialdemokraten allerdings mit dem Umstand konfrontiert, dass große Teile der von ihnen so gern als ein Volk gesehenen Masse der Deutschen mit der Politik der Partei nicht einverstanden sind. Die Erretteten fühlen sich nicht gerettet. Denn sie rufen, fast ohne Unterstützung von etablierten politischen Organisationen, zu Demonstrationen auf, die sie dann auch noch Montagsdemonstrationen nennen, so als sei die SPD die neue SED. Diese Leute haben einfach nicht richtig hingehört.

Die CDU und die PDS, die aus wahltaktischen Gründen Verständnis für die Protestierenden zeigen, schalt Schröder am Wochenende heftig. »Wenn man diese neue Volksfront und ihren gnadenlosen Populismus sieht, dann kann einem wirklich übel werden«, sagte er.

Die SPD fühlt sich missverstanden. Man müsse zu einer »sachlichen Debatte« zurückkehren, meint ihr Generalsekretär Klaus Uwe Benneter. Es sei »Quatsch« zu behaupten, den Armen werde es nach Einführung des Arbeitslosengeldes II schlechter gehen, betont Franz Müntefering. Da verwundert es nur, dass bereits das Vorziehen des Auszahlungstermins des Arbeitslosengeldes II von Anfang Februar auf Anfang Januar kommenden Jahres, eines der kleinen Zugeständnisse, das die SPD in der vorigen Woche den Protestierenden machte, nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung 1,4 Milliarden Euro extra kosten soll. Wem hätte dieses Geld gefehlt?

Doch die Mehrheit der Sozialdemokraten steht, wie stets, wenn es darum geht, an der Macht zu bleiben, Gewehr bei Fuß und wirft allen, die gegen die Reform protestieren, »Besitzstandswahrung« vor. Nun ist politisches Handeln ja der Versuch, möglichst seine eigenen Interessen durchzusetzen, in Verhandlung mit den restlichen Teilen einer Gesellschaft. Für dieses Vorgehen jedoch haben die Sozialdemokraten derzeit kein Verständnis, weil die von ihrer Politik Betroffenen so agieren.

»Ich verspüre keinen Druck der Straße«, sagt Wolfgang Clement. Denn die Demonstranten wüssten nicht, wogegen sie demonstrierten, im Gegenteil, offensichtlich sei den Leuten das zwingend notwendige Opfer fürs Ganze nicht klar. Wir haben das wohl nicht richtig vermittelt, sagt die Parteiführung.

Der ehemalige Mitbegründer der SDP, der Vorläuferin der ostdeutschen SPD, der Bundestagsabgeordnete Stephan Hilsberg, räumt in der Märkischen Allgemeinen ein, dass Hartz IV in den neuen Bundesländern für eine Zunahme der Armut sorgen werde. »Die Reformen treffen die Menschen im Osten härter. Darum müssen Populisten gegen die Reformen sein. Auch in der Ost-SPD wurde das intern durchaus diskutiert. Aber wir haben es gelassen, weil die Reformen absolut notwendig sind. Der Sozialstaat ist anders nicht weiter zu finanzieren. Und gerade weil hier viele Menschen von Sozialleistungen abhängig sind, ist es ostdeutsches Interesse, dass der Sozialstaat finanzierbar bleibt. Wir müssen zu den Reformen ja sagen, auch wenn sie uns besonders treffen.«

Dass man verzichtet, ist der Preis dafür, dass man nicht verzichten muss. So einfach ist’s, nur versteht es halt keiner. Da hilft auch keine Informationskampagne des Bundespresseamtes. Als die rot-grüne Regierung die enormen steuerlichen Entlastungen für Unternehmen und Besserverdienende beschloss, war jedenfalls nicht die Rede davon, dass sie nicht finanzierbar seien. Nicht finanzierbar ist immer nur der Sozialstaat.

Jede ernst zu nehmende Kritik an der sozialdemokratischen Reformpolitik wird zurzeit jedoch völlig von einem anderen prominenten SPD-Mitglied überdeckt: vom saarländischen Provinz-Napoleon Oskar Lafontaine. Er weiß, wie er den Protest gegen die Regierungspolitik mediengerecht aufbereiten kann. So ließ er in der vergangenen Woche in einem Gespräch mit dem Spiegel offen, ob er sich, falls sein Rivale Schröder nicht zurücktreten sollte, für die in Entstehung befindliche »neue Linkspartei« engagieren wolle. So unsinnig die Hoffnung ist, dass Schröder derzeit zurücktreten könnte, so wenig überzeugend ist auch die Drohung, dass Lafontaine sich bald in einem neuen Parteiengebilde links von der SPD wiederfinden könnte.

Wie ist diese neue »Linkspartei« beschaffen? Nach einer anderen Gesellschaftsform sucht die Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit jedenfalls nicht. Bislang will sie Hartz IV zurückgenommen wissen, fordert die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und zeigt sich von der Idee einer Tobin-Steuer begeistert. Das ist ein großes Irgendwie. Ein Irgendwie, das sich die Regierungsfreunde beim Spiegel bereits als eine »postsozialistische Brühe« imaginieren und jedes noch so kleine Provinztreffen der Wahlalternative behandeln, als sei es ein bedeutender Parteitag.

Lafontaine, der Buchautor und Kolumnist der Bild-Zeitung, weiß, dass seine Honorare sinken würden, wenn er nicht als der, der die SPD zu zerreißen droht, sondern als Herr über eine kleine Partei, die höchstwahrscheinlich nach ein paar Achtungserfolgen verschwinden dürfte, aufträte.

Die Wahlalternative ist hingegen bereits jetzt von der Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wird, so besoffen, dass sie sich ausgelassen freut, wenn Lafontaine mit ihrer »Unterstützung« kokettiert. Dass sie zurzeit die sozialen Proteste organisiert, kann man ihr jedenfalls nicht nachsagen. Im Gegenteil, in Berlin ist sie gegen Aktionen gegen die in den Bankenskandal verstrickte Bankgesellschaft Berlin, über die Notwendigkeit der Kritik an der unsozialen Politik des rot-roten Senats streitet man sich.

Alle, die Führung der SPD wie Lafontaine und die Wahlalternative, teilen sich derzeit eine Arbeit: Sie suggerieren jenen, die sich jetzt aus Verzweiflung mit Parolen wie »Nie wieder SPD« oder »Wir sind das Volk« auf die Straße trauen, dass es eine »Debatte« gebe. Wohin diese Debatte geführt hat, werden die Leute spätestens Anfang kommenden Jahres sehen, wenn sie ihren Kontostand überprüfen.