Die falschen Papiere

Die Pressefreiheit in Algerien wird immer stärker eingeschränkt. Das zeigt auch der Fall des Journalisten Mohammed Benchicou, der angeblich wegen eines Wirtschaftsdelikts verurteilt wurde. von bernhard schmid

Ohne weiteren Kommentar fiel das Urteil: zwei Jahre Haft ohne Bewährung. Damit bestätigte das Berufungsgericht von Algier am Mittwoch voriger Woche den Richterspruch aus erster Instanz, der Mitte Juni dieses Jahres im hauptstädtischen Bezirk El-Harrasch gefällt worden war. Mohammed Benchicou, der Herausgeber der postkommunistisch-republikanischen Tageszeitung Le Matin, bleibt damit in Haft.

Der Fall ist exemplarisch dafür, wie das algerische Regime jene seit eineinhalb Jahrzehnten herrschende reale Pressefreiheit aushebeln will, die es so in keinem anderen arabischsprachigen Land – vielleicht mit Ausnahme des Libanon – und in keinem anderen afrikanischen Staat mit Ausnahme Südafrikas gibt. Bereits im Juni 2001 hatte das algerische Parlament ein restriktives Pressegesetz verabschiedet, das vor allem horrende Geldstrafen sowie drei- bis zwölfmonatige Haft für die Beleidigung des Präsidenten oder der Staatsorgane vorsieht. Daraufhin häuften sich vor allem im vorigen Jahr die Prozesse, die durch Klagen des Verteidigungsministeriums ausgelöst wurden. Der berühmte, den Militärs ebenso wie den Islamisten und dem Präsidenten gegenüber respektlose Karikaturist Ali Dilem etwa wurde im Herbst 2003 in polizeilichen Gewahrsam genommen und vorgeladen. Diese Verfahren sorgten für Aufsehen.

Wohl deshalb verfuhr man mit Benchicou anders. Er wurde nicht etwa wegen eines Presse- oder Meinungsdelikts, sondern unter dem Vorwand eines Finanzvergehens angeklagt und verurteilt. Ende August 2003 war Benchicou anlässlich seiner Rückkehr aus Paris am Flughafen von Algier von der Grenzpolizei festgehalten worden. Dabei wurden bei ihm so genannte bons de caisse gefunden, Bankobligationen, mit denen man sich eine festgelegte Summe am Bankschalter auszahlen lassen kann. Einen »Verstoß gegen die Wechselgesetze«, die den illegalen Kapitalexport behindern sollen – die von Angehörigen der algerischen Oligarchie allein in Schweizer Banken deponierten Summen sollen die hohen Staatsschulden des Dritte-Welt-Landes übersteigen –, stellte die Grenzpolizei deswegen angeblich fest.

Allerdings wurden die Bankpapiere, die der Chefredakteur bei sich trug, nicht bei der Ausreise, sondern bei der Rückkehr nach Algier in seiner Aktentasche gefunden. Er kann also kaum Gelder illegal außer Landes geschafft haben. Außerdem sind die Obligationspapiere in algerischen Dinar abgefasst und deswegen in keinem anderen Land einlösbar. Wahrscheinlich trug Benchicou die Papiere nur aus Unachtsamkeit oder Bequemlichkeit bei sich.

Tatsächlich dürften politische Gründe zum Prozess und seiner Verurteilung geführt haben. Die jetzige politische Führung fühlt sich durch den postkommunistischen Publizisten gestört. Erstens zählt er zu jenem Flügel des algerischen Establishments, der politischen Klasse und der Armee, der einen strikt antiislamistischen Kurs verfolgt. Und der dem jetzigen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika seit dessen Amtsantritt 1999 vorwirft, den im Bürgerkrieg unterlegenen Islamisten zu viele Zugeständnisse gemacht zu haben, namentlich in Form des Amnestiegesetzes vom Sommer 1999, mit dem die islamistischen Guerillagruppen zum Niederlegen der Waffen bewegt werden sollten. Vor der Präsidentschaftswahl vom April dieses Jahres fuhr Le Matin eine erbitterte Kampagne gegen Staatschef Bouteflika, die teilweise groteske Züge annahm, da die Zeitung behauptete, der amtierende Präsident wolle aus Algerien eine Islamische Republik machen.

Zum Zweiten hat Benchichou einige pikante Informationen über Angehörige der politischen Führung veröffentlicht, namentlich über Innenminister Yazid Zerhouni, der in mehrere Folterskandale verwickelt sein soll. Zerhounis Dementi bestand aus der öffentlichen Ankündigung, er werde Benchicou »bezahlen lassen«.

Drittens aber hat Benchicou im Februar dieses Jahres, wenige Wochen vor der Wahl, eine Biografie Bouteflikas mit dem Untertitel »Une imposture algérienne« (Eine algerische Hochstapelei) in Paris und Algier gleichzeitig veröffentlicht. Eine durchaus verzichtbare Lektüre: Benchicou betreibt darin den Versuch einer persönlichen Abrechnung mit Bouteflika. Im besonders peinlichen Schlusskapitel präsentiert er einige selbstgebastelte psychoanalytische Erklärungen für den »Größenwahn« des Präsidenten und taucht ein in das Verhältnis Bouteflikas zu seiner Mutter, zu seinem Vater, zum »Übervater« in Gestalt des früheren Präsidenten Houari Boumedienne … Dass Bouteflika daraufhin Rache schwor, kann man sich unschwer vorstellen.

Seit Anfang August musste denn auch Benchicous Zeitung Le Matin ihr Erscheinen einstellen. Finanzämter hatten Steuerrückstände geltend gemacht, die in der Vergangenheit de facto von dem Regime bei den privaten Zeitungen nie eingetrieben wurden, die aber nun, in angespannteren Zeiten, zu einer Waffe gegen die Zeitungen zu werden drohen. Die Behörden setzten eine extrem kurze Zahlungsfrist und leiteten alsbald in Rekordzeit die Zwangsversteigerung des Redaktionsgebäudes von Le Matin ein. Die Redaktion fand sich ohne Sitz und ohne Geld, dafür mit Schulden wieder. Anfang des Monats erschien die letzte Druckausgabe.

Doch Benchicou und seine Redaktionskollegen sind keineswegs die einzigen algerischen Journalisten, die derzeit Probleme haben. Der Korrespondent mehrerer algerischer Tageszeitungen und Aktivist einer Menschenrechtsvereinigung im 300 Kilometer südlich von Algier gelegenen Djelfa, Ghoul Hafnaoui, etwa wurde am 9. Juni zu einer zweimonatigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt, weil er örtliche Honoratioren beleidigt habe. Er hatte auf Versäumnisse aufmerksam gemacht, die zum Tod von 13 Säuglingen in einem örtlichen Krankenhaus führten. Im Berufungsverfahren im Juli wurde die Strafe auf drei Monate erhöht; zugleich wurden 39 weitere Klagen von Nomenklaturisten und Honoratioren eingereicht. Seit Anfang voriger Woche befindet Hafnaoui sich im Hungerstreik.

Am 28. Juni wurde in Oran der Direktor der Zeitung Er-Rei El-Aam (Die öffentliche Meinung), Ahmed Bennaoum, festgenommen und inhaftiert, weil Honoratioren eine Anzeige gegen ihn erstattet hätten. Bennaoum ist ein »moderater« Islamist, der früher Präsident Bouteflika unterstützte, aber dann umschwenkte und ab dem Sommer 2003 den späteren Gegenkandidaten Bouteflikas, Ali Benflis, unterstützte. Damals begannen seine Probleme: Er erhielt Zahlungsaufforderungen der öffentlichen Hand, die seit August 2003 das Erscheinen seiner Zeitung verhinderten. Und am 30. Juni schließlich entzog die algerische Regierung dem in Qatar ansässigen Fernsehsender Al-Jazeera die Akkreditierung im Land. Das Regime störte sich an Diskussionssendungen, in denen unwahre Behauptungen über Algerien verbreitet worden seien.