Korsen in der Krise

Die nationalistische Autonomiebewegung steckt in der Sackgasse. Gleichzeitig häufen sich rassistische Übergriffe gegen Einwanderer. von bertold du ryon

Wir sind nicht Ihre Untergebenen, sondern Ihre Gegner, und wir sind bereit, Ihre Feinde zu werden, wenn Sie uns durch Ihre Verblendung dazu zwingen.« Diese an »die Pariser Minister« gerichtete Drohung sprach Jean-Guy Talamoni am vorletzten Wochenende beim alljährlich Anfang August stattfindenden korsischen Nationalistentreffen in Corte aus. Der smarte Anwalt aus dem nordkorsischen Bastia führt den »legalen Arm« der Nationalisten im Parlament der Inselhauptstadt Ajaccio an; er gilt eigentlich eher als Realpolitiker. Ferner drohte er den derzeitigen Regierenden in Ajaccio. Talamoni sprach von »Kollaborateuren« Frankreichs und drohte ihnen mit einem »Misstrauensvotum des korsischen Volkes«, das ihnen nicht länger die Ausübung ihrer Funktionen erlaube.

Doch trotz dieser großen Worte kann nichts darüber hinwegtäuschen, dass sich die Nationalisten politisch in einer Sackgasse befinden. In den letzten fünf Jahren hatte ihr legaler Arm an einem Verhandlungsprozess mit dem französischen Staat teilgenommen, der ab 1999/2000 zur Perspektive eines Autonomiestatuts für Korsika führte. Dafür konnten sich in Paris plötzlich auch Konservativ-Liberale begeistern, die darin ein »Labor« für die von ihnen geplante neoliberale Dezentralisierung erblickten. Doch ein Plan für eine damit zusammenhängende Verwaltungsreform, unterstützt vom damaligen französischen Innenminister Nicolas Sarkozy und den korsischen Nationalisten, wurde durch ein Referendum im Juli vorigen Jahres abgelehnt (Jungle World, 38/03).

Der Staat ist seit dem Sommer 2003 zu einer harten Haltung zurückgekehrt und begreift den Umgang mit korsischen Separatisten vorwiegend als polizeiliches Sicherheitsproblem. Sarkozys Amtsnachfolger, Dominique de Villepin, ernannte am 28. Juli dieses Jahres Christian Lambert, den Chef des polizeilichen Elitekommandos Raid, eines Pendants zur deutschen GSG 9, zum neuen Sicherheitsbeauftragten für ganz Korsika. Ein deutliches Signal an die Nationalisten. Ihr »militärischer Arm«, der FLNC-UC (Nationale Befreiungsfront Korsikas – Bund der Kämpfer), hält zwar seit November 2003 eine offizielle Waffenruhe weitgehend ein, auch wenn er sich am 5. Juli zum Anschlag auf eine Gendarmeriestation bekannte. Doch durch in jüngster Zeit neu entstandene Untergrundgrüppchen, wie die Ende Juli aufgetauchte »Armee des korsischen Volkes«, droht eine unkontrollierte Zersplitterung.

Zum Problem der Nationalisten gehört nicht nur die neue Härte des Staates. Bei den Regionalparlamentswahlen im März fielen die Ergebnisse ihres Bündnisses mit den deutlich moderateren »Autonomisten« von 23 Prozent (1999) auf nunmehr 17 Prozent. Am Traditionstreffen in Corte nahmen dieses Jahr knapp 500 Personen teil, vor wenigen Jahren waren es noch über 1 000. Immer mehr Einwohner der Insel wenden sich von den Nationalisten ab, nicht zuletzt, weil in den letzten 15 Jahren eine zunehmende »Mafiotisierung« der Nationalistengruppen eingesetzt hat.

Ferner erweist sich auch die nationalistische »Utopie« als immer reaktionärer. Die in den siebziger Jahren gepflegte Idee von einer korsischen »Schicksalsgemeinschaft«, zu der all jene gehören, die eine Eigenständigkeit der Insel befürworten, wich in jüngerer Zeit der Idee einer »Blutsgemeinschaft«. Seit einem Jahr häufen sich brutale Gewalttaten gegen Einwanderer. Genau zehn Prozent der 260 000 Einwohner sind Maghrebiner, die durch den Aufschwung der Tourismusindustrie nach Korsika kamen. Menschenrechtsgruppen zählten 56 rassistische Gewalttaten in den letzten zwölf Monaten, gegenüber 21 im Jahr davor: Maghrebiner wurden mit Schusswaffen verletzt, aus dem dritten Stock geworfen oder unter Todesdrohungen zur Ausreise aufgefordert. Mehrere der festgenommenen Tatverdächtigen sind nationalistische Aktivisten.