Begegnung aus dem Effeff

In Frankfurt an der Oder folterten Neonazis stundenlang einen Jugendlichen. Die Stadtverwaltung sieht keine politischen Hintergründe der Tat. von jessica konrad

Wenn ein Neonazi einen Autounfall baut, ist das kein rechtsextremer Übergriff. Das meint zumindest der Pressesprecher der Stadt Frankfurt an der Oder, Heinz-Dieter Walter. Mit dieser banalen Feststellung hat er wohl Recht. Er wurde jedoch nicht nach seiner Meinung zu Neonazis, die nicht Auto fahren können, gefragt, sondern zu einem rechten Übergriff, der an Brutalität kaum zu übertreffen ist.

Anfang Juni wurde ein junger Mann im Frankfurter Stadtteil Neuberesinchen von fünf jungen Leuten auf offener Straße entführt, regelrecht »von der Straße weggefangen«, sagt die Frankfurter Staatsanwaltschaft. Er wurde in eine Wohnung gebracht und dort stundenlang schwer gefoltert, misshandelt und vergewaltigt. Er überlebte nur Dank einer Notoperation und musste zunächst in ein künstliches Koma versetzt werden. Inzwischen konnte er das Krankenhaus verlassen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wird er bleibende Schäden davontragen.

Dennoch ist Walter der Meinung, dass man nun wirklich nicht »über jeden Stock springen« müsse, der einem im Zusammenhang mit rechter Gewalt hingehalten werde. Schließlich gelte zunächst die Unschuldsvermutung, sagte er der Jungle World. Und überhaupt sehe er keinen politischen Hintergrund der Tat. Deshalb habe die Stadtverwaltung es auch nicht für notwendig gehalten, sich zu äußern. »Wer behauptet, die Stadt unterdrücke Nachrichten und verharmlose rechte Gewalt, betreibt Brunnenvergiftung«, sagt Walter.

Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen beteiligten sich drei Männer und zwei Frauen an der Folter. Nach Informationen der linken Gruppe Kritik & Praxis Berlin sind zumindest die beteiligten Männer in Frankfurt an der Oder als Neonazis bekannt. Inzwischen konnten drei der mutmaßlichen Tatbeteiligten festgenommen werden, teilte Ulrich Scherding von der Staatsanwaltschaft Frankfurt der Jungle World mit. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen gefährliche Körperverletzung, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung vor. Gegen einen weiteren mutmaßlichen Beteiligten, Ronny B., läuft eine bundesweite Fahndung. Über B. könne »man ohne viel Phantasie sagen, dass er ein Rechter ist«, sagte Scherding. Der Staatsanwaltschaft zufolge habe er die »ganze kriminelle Palette« rechtsextremer Straftaten aufzuweisen.

In Frankfurt an der Oder will man aber von einem politischen Hintergrund nichts wissen. Auch deshalb organisierte die Autonome Antifa Frankfurt an der Oder (Aafo) vor zwei Wochen eine Demonstration, an der sich rund 350 Personen beteiligten. Sie richtete sich gegen rechte Gewalt und den Umgang der Stadt mit diesem Problem. »Die Stadtoberen (…) strafen die massiven rechtsradikalen Übergriffe der letzten Zeit immer öfter mit Desinteresse und Ignoranz, ohne sich klar gegen Nazis zu positionieren«, heißt es in dem Aufruf. Der Oberbürgermeister von Frankfurt, Martin Patzelt (CDU), distanzierte sich postwendend in einer Presseerklärung von der Demonstration. Er sei nicht der Meinung, dass der Protest »in erfolgversprechender Art und Weise« rechtsextremem Denken und Handeln begegnen werde.

Besonderen Anstoß nahm er am Motto der Demonstration: »Dem Grauen ein Ende setzen – Während die Anständigen nur aufstehen, greifen wir an.« Hiermit werde zu einem »gewaltsamen Vorgehen« aufgerufen; die DemonstrantInnen setzten sich ins Unrecht. Seit Jahren werde in Frankfurt den Neonazis »mit spürbarem Erfolg« von den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt die Stirn geboten, betonte er. Ein Aktivist der Aafo hingegen sagte der Jungle World, angesichts der zahlreichen Gewalttaten der letzten Zeit stelle sich die Frage, »wo der Erfolg zu sehen sein soll«.

Zwar seien nach Einschätzung der Aafo in Frankfurt die Strukturen der NPD nahezu zusammengebrochen, dafür gebe es eine Organisierung auf der Ebene der neonazistischen Kameradschaften. Allerdings werde der abendliche Gang durch Frankfurt nicht nur wegen organisierter Neonazis oft zu einem Spießrutenlauf. Ebenso machten einem »besoffene Autoprolls« das Leben schwer.

Dass diese rechte Grundstimmung für viele eine generelle Bedrohung darstellt und ein rechter Übergriff nicht erst einer ist, wenn er von einem organisierten, »Sieg Heil« rufenden Neonazi begangen wird, ist bis zu den Verantwortlichen der Stadt offenbar noch nicht vorgedrungen. Über eine der vielen Schlägereien zwischen deutschen und ausländischen Jugendlichen aus der jüngsten Zeit sagt Walter, die Jugendlichen hätten sich »in Wirklichkeit um ein Mädchen gekloppt«.

Die Angst um einen Imageverlust der Stadt ist spürbar. Während der so genannte Aufstand der Anständigen im Sommer 2000 einerseits Projekte gegen rechte Gewalt und Opferberatungen zumindest zeitweise stärkte, war er andererseits auch Ausdruck der Angst von Städten und Unternehmen, dass rechte Umtriebe Investitionen behindern könnten. Frankfurt an der Oder kann sich als deutsch-polnische Grenzstadt und Sitz der Europa-Universität Viadrina einen Ruf als browntown nicht leisten.

Die Stadt hebt in ihrer Selbstdarstellung die Europa-Universität besonders hervor. Dank ihr werde Frankfurt zur »Bildungsbrücke zwischen Ost und West«, was durch die Lage an der Grenze zu Polen begünstigt werde. Gerade dadurch werde die knapp 70 000 EinwohnerInnen zählende Stadt zu einer »europäischen Begegnungs- und Kommunikationsstadt«, die für die gesamte Grenzregion von Bedeutung sei. Die Universität sieht nach eigenem Bekunden eine ihrer Aufgaben darin, das Zusammenwachsen Europas zu fördern.

Die Kampagne »FF – Freundliches Frankfurt« soll das klare Bekenntnis der Stadt gegen Rechtsextremismus und Gewalt verdeutlichen. Mit Aufklebern und T-Shirts der Kampagne könnten Bürgerinnen und Bürger ein »sichtbares Zeichen (…) für Toleranz und Gastfreundlichkeit« setzen, heißt es auf der Homepage der Stadt.

Die Aafo vermutet hinter diesem Engagement allerdings eher Imagearbeit als eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in der Stadt. Zudem hätten sich bis hin zur PDS Verbände und Initiativen von der Demonstration distanziert. Die städtische Kampagne diene letztlich auch dazu, linksradikale antifaschistische Arbeit zu delegitimieren, meint der Aktivist der Aafo.

Nach wie vor vergeht kaum ein Monat ohne rechte Angriffe in der Stadt. Bei einem der brutalsten Übergriffe prügelten im März 2003 drei Neonazis einen Punk in seiner Wohnung zu Tode. Im April diesen Jahres schlugen acht junge Männer einen Asylbewerber aus Sierra Leone so lange, bis er ins Koma fiel. Die Polizei meldete den Vorfall nicht der Öffentlichkeit, weil sie von einer »harmlosen Kneipenschlägerei« ausging. Der Verein Opferperspektive machte den Vorfall schließlich bekannt.