Selbst denken oder durchdrehen

Über die höchst bedauerliche Fehlrezeption Robert Anton Wilsons in Deutschland. von daniel kulla

Wenn es Robert Anton Wilsons Absicht gewesen wäre, seine Ideen zu einem Geheimwissen zu machen, das nur wenigen Initiierten bekannt ist, während es gleichzeitig von einer Fassade umgeben ist, die deutlich anderes vermittelt – es wäre ihm zumindest in Deutschland prima gelungen. Vieles spricht allerdings gegen diese Annahme, viel mehr spricht für Wilsons aufklärerischen Drang, der als Initiation ja nichts weiter verlangt, als seine Bücher wirklich zu lesen.

Es ist schwer einzuschätzen, wie verdreht oder angemessen die Rezeption beim US-amerikanischen Publikum gewesen ist. Immerhin ist er dort erheblich bekannter als hier, viele seiner Themen waren von vornherein gründlicher eingeführt, und allgemein scheint ein großer Teil der Öffentlichkeit mit Widersprüchen und Gedankenspielen besser umgehen zu können.

Der in der BRD wahrgenommene Wilson ist ein verstümmelter und auf gefährliche, ja lebensgefährliche Weise missverstandener. Wurde er in Amerika als ein integraler Bestandteil der Sechziger-Revolte (durch seine Sex-Aufklärung) und der Siebziger-Bewusstseinsrevolution (durch seine Zusammenarbeit mit Timothy Leary) begriffen, begannen einige Ökos und Hacker hier im Grunde erst ab dem Deutschen Herbst »Illuminatus!« in Auszügen zu lesen. Dabei sorgten mehrere Umstände dafür, dass das Ungünstigste passierte, was einer Mindfuck-Prosa wie dieser passieren kann: Sie wurde zu ernst genommen. Die verschwörungstheoretischen Anteile waren hierzulande nicht mit breiten Diskussionen wie der über die Kennedy-Ermordung in den USA grundiert; das diesbezügliche Spekulieren hatte viel weniger Tradition, und wenn, dann beinahe ausschließlich im rechtsradikalen Lager.

Von den meisten seiner zahlreichen Bücher gibt es bis heute keine Übersetzungen, die Ausgaben sehen aus wie Perry-Rhodan-Hefte (»Und die Erde wird beben«, erschienen im Sphinx-Verlag) oder wie Eighties layout gone wild (»Schrödingers Katze«) – beibehalten wurde die in den Vereinigten Staaten zur Verkaufsförderung eingerissene Macke, jeden Titel auf irgendeine Weise mit den Illuminaten zu verlinken, was zusammen mit der Aufmachung einen Nachgeschmack von all den iterierten Softsexfilm-Titeln hinterlässt (die Illuminaten-Chroniken, die letzten Geheimnisse der Illuminaten, die Masken der Illuminaten, die Einlegesohlen der Illuminaten usw.)

Vor allem die Hacker benutzten Wilson als Folklore und schmückten sich mit seinen Slogans ebenso wie mit der Zahl 42 von Douglas Adams. Hatte Wilson Verschwörungen vor allem entmystifizieren und erklären wollen, wie sie funktionieren, und schließlich ihre Weisheiten – so vorhanden – abzüglich der Unterwerfung in den Dienst individueller Emanzipation stellen wollen, fixte er dennoch tragische Figuren wie den Hannoveraner Hacker Karl Koch erst auf die Paranoia an. Koch benannte sich nach dem »Illuminatus!«-Helden Hagbard Celine und schritt, getrieben von seinen tatsächlichen Geheimdienstverstrickungen, in eine Welt davon, in der Adam Weishaupt wirklich anstelle von George Washington auf der Dollar-Note zu sehen ist und die Illuminaten wirklich ihre Taten mit versteckten Zahlenspielen auf der Grundlage der 23 begingen. Dass Koch am 23. Mai 1989 ums Leben kam, ist im Glaubenssystem seiner näheren Umgebung ein Beleg für die Triftigkeit der Paranoia, spricht aber eigentlich eher für seine eigene Besessenheit.

Die 23, die Wilson in seinen Büchern immer wieder auftauchen lässt, um die er Mythen rankt und mit der er die Fünfheit im Gegensatz zum dialektischen Dreitakt setzt, wurde in einer völlig bekifften Session der Kurzgeschichte »23 Skidoo« von William S. Burroughs entlehnt, in der die Zahl einen bedeutungsvollen Zufall »markiert«.

In der jüngeren Vergangenheit benutzte Mathias Bröckers Wilson als eine der Hauptreferenzen seines konspirologischen Brainstormings zum 11. September 2001 und machte einen noch erheblich weiter vereinfachten Wilson Tausenden von Lesern bekannt. Hier ist nicht der Ort, auf Bröckers’ Geschmacklosigkeiten und blinde Flecken im einzelnen einzugehen, es erschreckt jedoch im ganzen Buch, wie weit Bröckers seine als Spekulationen meist völlig klargehenden Gedanken zügig als Grundlage für offenbar ernst gemeinte Schlussfolgerungen benutzt. Im berüchtigten ersten WTC-Artikel, der unmittelbar nach dem Anschlag bei telepolis und in der taz erschien, errechnet er eine falsche Quersumme aus dem Datum, die dann überraschenderweise eine 23 ist. Die Schnodderigkeit, mit der er das tut, ist in der unmittelbaren Nähe des Ereignisses kaum fassbar. Der Artikel beginnt so:

»Da es der 11. September 2001 war – 11+9+2+0+0+1=23! –, ist für Verschwörungstheoretiker der Fall eigentlich klar. Seit die Romantrilogie »Illuminatus« von Robert A. Wilson und Robert Shea Mitte der siebzigerer Jahre auf die absurde Beziehung der Zahl 23 mit verschwörerischen Phänomenen hinwies, ist die 23 gleichsam das Signum der Illuminaten, der geheimen Weltverschwörer.«

In seinem Nachkommentar für die Buchausgabe setzt er gleich noch einen drauf: »Das war mir aber erst aufgefallen, nachdem ich unbewusst schon falsch gerechnet hatte und eine nachträgliche Korrektur mir den schönen Einstieg in den Text völlig vermasselt hätte.«

Ob es Dummheit oder Berechnung ist, die US-amerikanische Gegenkultur gegen die gegenwärtige Politik auszuspielen und sich – und natürlich den Leser – als re-educated german zum besseren Amerikaner zu erklären, ist schwer zu sagen. Immerhin wurde Bröckers noch 1999 von Wilson in einem Interview darauf hingewiesen, dass Hitler seinerzeit mithilfe einer gigantischen Verschwörungstheorie an die Macht gekommen sei, zu einer Zeit, als in Deutschland viele arbeitslos waren und die Welt nicht mehr verstanden. Wilson hatte ferner darauf bestanden, dass große und umfassende Verschwörungen heute angesichts der Widersprüchlichkeit der Interessen und der Verbreitung des Internet schwer denkbar seien.

Wilson macht sich in seinen Dutzenden Veröffentlichungen über nahezu alles ständig lustig, seine eigenen Überzeugungen eingeschlossen. »Illuminatus!« war an der Oberfläche vor allem eine Parodie auf all die kursierenden Verschwörungstheorien, von denen in der Illuminatus-Trilogie viele wiedergegeben, am Ende noch mehr entdeckt und ins Barockeste ausgewalzt werden. Das Ausdenken oder Verfolgen von Verschwörungen funktioniert bei Wilson als Gehirngymnastik zur Öffnung des Wahrnehmungshorizontes, noch häufiger jedoch als Träger für seine endlosen Content-Orgien, ähnlich Stanislaw Lems Benutzung von Zukunftsszenarien für seine philosophischen Traktate.

Wer Wilsons Aneignungen von Zen-Humor, von wissenschaftlichen Utopien oder auch von Pornographie kennt, wird beim Blick auf die Vorbilder verwundert sein, was dort alles noch nicht drin steckte. Immer ist der Horizont breiter, immer ist es erheblich durchtriebener und abgründiger als das Original. Wilsons Pornographie integriert Diskussionen über Quantenmechanik in sexuelles Vorspiel, macht sich über religiöse Prüderie lustig und demonstriert ebenso viel Begeisterung für die organische Schweinerei wie für die tantrische Ekstase. Der Trick dabei ist, dass er sich keiner Theorie im Sinne eines Glaubenssystems verschreibt. Der Weg dahin war jedoch lang:

»Gerade dem marxistischen Realitätstunnel entschlüpft, schwor ich Hingabe an die Prinzipien des Individualismus, des freien Denkens und des Agnostizismus. Von jetzt ab, sagte ich mir, werde ich mich nicht mehr von Gruppen hypnotisieren lassen: er werde selbst denken. Natürlich verbrachte ich die folgenden 20 Jahre damit, verschiedenen politischen und intellektuellen Moden zu folgen, immer in der Überzeugung, dass ich zu guter Letzt der Gruppenkonditionierung entkommen war und begonnen hatte, ›wirklich‹ selbst zu denken. Ich bewegte mich vom Agnostizismus wieder zurück zum dogmatischen Atheismus und dann zum Buddhismus; ich sprang vom Existenzialismus zum Aktivismus der Neuen Linken und zum Mystizismus des New Age und zurück zum Agnostizismus. Das Karussell drehte sich immer weiter, und ich kriegte erst raus, wie ich anhalten und aussteigen könnte, als ich auf die 40 zuging und so viel Acid genommen hatte, dass mir nur die Wahl blieb, entweder wirklich selbst zu denken oder durchzudrehen.«

Als wichtigstes Denkwerkzeug nutzt Wilson die Multimodelltheorie, die verschiedene Erklärungsansätze für die gleichen Phänomene zulässt und in der vergleichenden Erprobung dieser Ansätze versucht, ihre Geltungsbereiche zu umreißen. Die größte Popularisierung dieses Denkens erreichte Wilson mit der Trilogie »Schrödingers Katze«, in der er jedem Buch je eine Interpretation der Quantenmechanik zugrunde legte.

So sind denn auch die wissenschaftlichen Konzepte, die er erläutert und zum Teil propagiert, für ihn selten mehr als Modelle, die einiges erklären, das meiste jedoch nicht. Das erlaubt es, sehr abgedrehte Theorien zumindest gründlich zu untersuchen und versuchsweise anzuwenden. Dies sorgte schließlich dafür, dass Wilson einige Modelle als besonders nützlich anzusehen begann, die normalerweise als »nuts« gelten. Dazu gehören vor allem Timothy Learys Modell der Neuroevolution, Buckminster Fullers Technologie, Aleister Crowleys Psychologie und Wilhelm Reichs Beschreibung der Massenneurose und ihrer körperlichen Verankerung. Wilson baut diese und andere Theorien – auch solche, die er für völlig verstrahlt hält – in seine Witze ein, er verwendete sie auf einer Punkplatte und in Theaterstücken wie »Wilhelm Reich in Hell«, einer fiktiven surrealen Gerichtsverhandlung, in der Reich nach seinem Tod sein Handeln verteidigt.

Ähnlich seinem Umgang mit wissenschaftlichen Konzepten ist auch sein politisches Denken. Manchmal besorgniserregend tief in rechtsextreme Ideen versenkt, findet er letztlich nicht nur wieder aus diesen heraus, was seinem ehrlichen Kummer über Ausbeutung und Armut zuzuschreiben ist, sondern bringt Erkenntnisse mit. In »Illuminatus!« lässt er Hagbard Celine eine Reihe von Definitionen verfassen, die zunächst wirtschaftliche Grundbegriffe betreffen, gipfelnd in: »Anarchismus. Die Organisation der Gesellschaft, in der der Freie Markt frei wirkt, ohne Steuern, Wucher, Adel, Zölle oder andere Formen von Zwang oder Privilegien. Rechte Anarchisten sagen voraus, dass die Menschen von sich aus auf dem Freien Markt eher in Wettbewerb treten würden als zu kooperieren. Linke Anarchisten erwarten, dass die Menschen auf dem Freien Markt von sich aus eher kooperieren würden als in Wettbewerb zu treten.«

Seine Kritik am Marxismus ist libertär und weist blinde Flecken auf, die auch in anarchistischen Kreisen feststellbar sind, etwa die Unterscheidung von »schaffendem« und »raffendem« Kapital (allerdings folgt er hier Buckminster Fullers Unterscheidung in Real Capital und Money Capital), und er äußert Sympathien für den Begründer der völkischen Freiwirtschaftslehre Silvio Gesell (allerdings offenkundig in Unkenntnis von dessen ideologischen Verbindungen).

Insgesamt ist sein politisches Denken den Marx Brothers näher als Marx, aber auch von einem hohen Vertrauen in die Wissenschaft bestimmt. Als er sich 1980 die Präsidentschaftskandidaten vornimmt, tendiert er zunächst zum Hippie-Helden Wavy Gravy, der unter dem Namen »Nobody« antritt und Aufkleber wie »Nobody will cut your taxes«, »Nobody can represent you better than you can represent yourself«, »Nobody makes better apple pie than Mom« oder »Nobody is perfect« verteilt. Seiner Ideologie zufolge müsste er eher für den Kandidaten der Libertarian Party stimmen, doch er gehört »nicht zu dieser Art von Libertären, wirklich nicht; ich hasse arme Leute nicht.« Letztlich ärgert er sich darüber, dass nicht der von ihm später favorisierte Kandidat Dr. Commoner die Wahl gewann. »Wahrscheinlich, weil ich schon immer die tiefe Überzeugung hegte, dass 99 Prozent dessen, was mich an Washington abstößt, auf die dort herrschende umfassende Unkenntnis der Wissenschaften zurückgeht.«

Seine Kritik an der Umweltbewegung wiederum ist marxistisch inspiriert: »Ob sie nun vom Club of Rome oder von den Freunden der Erde geäußert wird, hat diese Ideologie eine soziale Hauptwirkung: Menschen, die in Elend und Unterversorgung leben, die sich sonst vielleicht organisieren würden, um sich ein besseres Leben zu verschaffen, werden dazu verleitet, fortgesetzten Mangel hinzunehmen, für sich und ihre Kinder. Dass solch stoische Resignation angesichts von Armut, Krankheiten, Elend und Hunger für die herrschenden Klassen nützlich ist, wurde von Marxisten zum vor-ökologischen Mystizismus regelmäßig angemerkt… Und gibt es irgendeine Rechtfertigung für solchen Mittelalterkult auf einem Planeten, auf dem – wie Fuller gezeigt hat – 99,99999975 Prozent der Energie bisher gar nicht genutzt werden?«

Überhaupt hat Wilson ein erheblich besseres Verständnis von Marx als die meisten seiner deutschen Leser, als die meisten der »rechten Anarchisten« hierzulande, weil er dessen Thesen wie jedes Modell ernst nimmt und aus der Anwendbarkeit beurteilt. In seinem historischen Roman »Der Sohn der Witwe« über die Zeit unmittelbar vor der Französischen Revolution geht er so weit, vormarxistischen Materialismus als das eigentliche Geheimwissen der Zeit darzustellen. Einen Mitstreiter Robespierres namens Luigi Duccio lässt er in der Rückschau schreiben:

»Heutzutage diskutieren die Menschen in den Wirtshäusern darüber, warum die Revolution ausgebrochen ist… Die meisten Zeitgenossen machen noch immer König Ludwig XVI. verantwortlich … Andere sind der Ansicht, die Revolution sei das Ergebnis aristokratischer Machenschaften … Und dann gibt es natürlich eine (größtenteils katholische) Minderheit, die … die Schuld auf Komplotte allseits bekannter Geheimgesellschaften wie Freimaurer oder Illuminaten schiebt.« Sicher, da ihn alle für verrückt erklären oder – schlimmer noch – beim Wort nehmen werden, besteht er darauf, »dass die Revolution ein Produkt okkulter Mächte war – unsichtbarer Kräfte, die kein Sterblicher sehen oder verstehen kann… Ich meine die Göttin der Fruchtbarkeit … Nach langem Studium der Statistiken bin ich zu folgendem Schluss gekommen: Wenn viele Menschen Arbeit suchen, fallen die Löhne; wenn es nur wenige sind, steigen sie.« Duccio führt weiter aus, dass die Preise bei wachsender Bevölkerung steigen und dass bei steigenden Preisen und fallenden Löhnen Revolutionen unvermeidlich sind. Aber er weiß: »Die Menschen interessieren sich für ›gut‹ und ›böse‹, für ›Weise‹ und ›Narren‹. Sie kümmern sich weder um Geburtenraten, noch um Brotpreise.«

Später legt Wilson Duccio sein Bekenntnis in den Mund: »Ich bin überzeugt, dass die Französische Revolution ›gescheitert ist‹, und dass alle ähnlichen Revolutionen unwiderruflich scheitern werden, bis der Tag kommt, an dem die neuen Wissenschaften die Industrie dermaßen verändert haben werden, dass das, was die heutigen Revolutionäre nur zu träumen wagen, möglich sein wird, nämlich Nahrung, Kleidung und Behausung für alle Bürger zu garantieren … Mit anderen Worten: Wenn es von allem mehr als genug für alle gibt.

Dies, ich wiederhole es, wird nur dann erreichbar, wenn das Christentum und anderer Aberglauben zerstört ist – wenn Diderots letzter sabbernder Pfaffe von einem Stein der letzten bröckelnden Kirche erschlagen wurde – und Mädchen und Jungen im ganzen Land nach den Gesetzen von Wissenschaft und Logik erzogen werden.«

Die Aufklärung, die bürgerliche Revolution ist für Wilson noch nicht abgeschlossen. Die Bewusstseinserweiterung, die Gehirngymnastik, die anarchistische Propaganda, die Mindfucks sind vor allem dazu da, diesen Prozess voranzubringen. Die reaktionäre Komponente, die diesen Themen in ihrer Darreichungsform als Esoterik, New Age und Tribalismus in Amerika oft und in Deutschland fast ausschließlich eigen ist, kann Wilson weder zur Last gelegt werden, noch lässt er sich damit ernsthaft vereinbaren. Seine Kritik an der Wissenschaft soll eindeutig zu ihrer Rettung dienen; er möchte durchaus lieber Hirne verbiegen, die nicht sofort und vollständig nachgeben. Oder um es mit Harald Schmidt zu sagen: »Haschisch erweitert das Bewusstsein. Aber nur bei denen, die schon eins haben.«

Lange vor den Neocons oder Lyndon LaRouche war Wilson in den fünfziger Jahren erst Anhänger der Trotzkisten (später wurde er wegen bürgerlicher Ideen ausgeschlossen, obwohl er das einzige Arbeiterkind in der Zelle war), dann Anhänger der antikommunistischen Kapitalismus-Predigerin Ayn Rand (»Ich dachte, die Trots und die katholischen Priester wären dogmatisch gewesen, aber Ayn Rand ließ beide Gruppen als Vorbilder für Toleranz erscheinen«), bis er die oben beschriebene Odyssee durch weitere Gedankengebäude fortsetzte. Nach der Wilson-Lektüre fällt es leicht, amerikanische Politik weniger als Ausdruck monolithischer Interessenballung wahrzunehmen und vielmehr in Betracht zu ziehen, für wie wichtig das autonome Individuum grundsätzlich gehalten wird. Als Übung sei der Versuch zu empfehlen, Ernst und Spaß auf der Homepage von Wilsons eigener neuer Partei, der Guns And Dope Party, auseinanderzuhalten.

Wir sind damit jedoch noch nicht sehr weit in die Wilson-Matrjoschka vorgedrungen. Wilsons große literarische Leistung, die Stilrevolutionen des 20. Jahrhunderts zu vereinen, also sowohl Joyce – in »Masken der Illuminaten« – als auch Burroughs – besonders in »Illuminatus!« –, ist nie richtig gewürdigt worden. Er arbeitete mit Filmschnitt, Graffiti und Comics, war darüber hinaus ein profunder Kenner englischsprachiger Lyrik und arbeitete gerne mit Verweisen und Zitaten. Learys Sätze werden etwa in »Schrödingers Katze« Freud in den Mund gelegt, Mussolini wird aus seiner Zeit als Anarchist zitiert, Hitler taucht unter anderem Namen als Chef einer spirituell-ökologischen Partei der siebziger Jahre wieder auf und verfolgt Wissenschaftler, weil sie »Mathematik sprechen«. Immer wieder stößt der Leser auf Seiten, auf denen nichts weiter steht als die Inschrift »the Farben works still intact« oder auf Zitate wie »If God hadn’t wanted us to eat pussy, he wouldn’t have made it look so much like a Taco« (»The Earl of Nines«).

Das Ärgernis besteht weiter: Es gibt keinen mit Robert Anton Wilson vergleichbaren deutschen Autor, keinen Versuch, ähnlich komplexe Erzahlungen aus den unterschiedlichsten Genre-Bruchstücken zu schaffen. Das liegt natürlich daran, dass alles auch ohne Verschwörungen schon schlimm genug ist, aber wohl auch am hiesigen Mangel von Vernunft und Humor.

Wenn es also Wilsons Absicht gewesen wäre, mit seinen Ideen Sympathien für die Antideutschen zu erzeugen – es wäre ihm zumindest in meinem Fall prima gelungen.