Vergessen und Verrat

Sechzig Jahre nach der Befreiung Frankreichs fordern die afrikanischen Veteranen die Gleichstellung mit ihren französischen Kollegen. von götz nordbruch, marseille

An Worten der Anerkennung sollte es nicht mangeln. Bei den nationalen Feierlichkeiten in Toulon zur Landung der alliierten Truppen im August 1944 war am 16. August viel von Waffenbrüderschaft und brüderlichem Kampfe die Rede. Und von Gleichheit. In seiner Ansprache vor zahlreichen afrikanischen Staats- und Regierungschefs betonte Präsident Jacques Chirac die Bedeutung der afrikanischen Soldaten der französischen Afrika-Armee bei der Befreiung Frankreichs. Angespornt von den Idealen der französischen Revolution sei die Erfahrung der Gleichheit der Soldaten ein wichtiges Merkmal des gemeinsamen Kampfes gewesen: »Gleichheit im Angesicht des Feuers, als Spur ihres Schicksals. Gleichheit im Angesicht der Angst, der Leiden und des Todes. Gleichheit aber auch in Ruhm und Ehre«, so hieß es in seiner Rede.

Die Beteiligung der afrikanischen Soldaten an der Befreiung Frankreichs steht im Mittelpunkt der diesjährigen Feierlichkeiten anlässlich der Landung in Südfrankreich, die, zehn Wochen nach der Landung der Alliierten in der Normandie, am 15. August 1944 in der Nähe Toulons begann. Von den über 400 000 Soldaten, die daran beteiligt waren, stammten 150 000 aus verschiedenen Teilen des französischen Kolonialreiches. Neben dem Senegal stellten dabei vor allem die nordafrikanischen Länder Algerien, Marokko und Tunesien die Divisionen, mit denen das »kämpfende Frankreich« Charles de Gaulles die Offensive gegen die Deutschen bestritt. Im Frühjahr 1945 beteiligten sich allein über 130 000 Algerier, 70 000 Marokkaner und 26 000 Tunesier an den Kämpfen in Frankreich und Deutschland.

Gegen das Bild eines gemeinsamen Kampfes, der im heutigen Frankreich mit gleicher Anerkennung belohnt werde, wurde allerdings sogar bei den Feierlichkeiten Widerspruch laut. Der senegalesische Präsident Abdoulaye Wade, der am Montag vergangener Woche in Dakar erstmals einen nationalen Gedenktag für die senegalesischen Soldaten der französischen Armee begehen ließ, äußerte kaum verhüllte Kritik an der Benachteiligung der afrikanischen Veteranen, die bis heute eine deutlich niedrigere Rente erhalten als ihre französischen Kollegen. Nach einer kurz vor den Feierlichkeiten von der französischen Regierung beschlossenen Erhöhung erhalten Marokkaner bald jährlich 60 Euro, Senegalesen 210 Euro, Franzosen 420 Euro als staatliche Unterstützung ausgezahlt.

Schärfer noch ist allerdings die Kritik, die von Organisationen wie dem Kollektiv »Discrimination Zéro« in Marseille geäußert wird. Parallel zu den offiziellen Feiern zur Befreiung Marseilles, die in den nächsten Tagen mit verschiedenen Ausstellungen und Paraden abgehalten werden, organisiert das Kollektiv am kommenden 28. August eine Demonstration vom alten Hafen zur Kathedrale Notre Dame de la Garde. Diesen Weg beschritten die nordafrikanischen Soldaten bei ihrem Angriff auf die deutschen Besatzer. Mit dieser Demonstration soll gerade in der Stadt, die am deutlichsten von der französischen Kolonialgeschichte geprägt wurde, auf die Beteiligung der afrikanischen Soldaten hingewiesen werden.

»In den USA hat es wenigstens eine Auseinandersetzung mit dem Vietnamkrieg gegeben«, sagt Samia Chabanais von Discrimination Zéro. Eine ähnliche Beschäftigung mit der Kolonialgeschichte stehe in Frankreich noch aus. Trotz der oft gelobten Integration der maghrebinischen und westafrikanischen Einwanderer aus den ehemaligen Kolonien waren insbesondere die Jugendlichen aus den Banlieues immer von gesellschaftlich relevanten Positionen ausgeschlossen. Vor allem nach dem 11. September 2001 habe sich diese Diskriminierung auf andere gesellschaftliche Schichten der Einwanderer ausgeweitet. Maghrebinische Einwanderer stünden immer mehr außerhalb der Gesellschaft, sagt Chabanais.

Unabhängig von der materiellen Diskriminierung geht es bei dieser Kritik der öffentlichen Erinnerungsfeiern vor allem auch um eine reale gesellschaftliche Anerkennung von Migranten. Die Schändung von muslimischen Gräbern auf einem Soldatenfriedhof in der Nähe Strasbourgs stand wenige Tage vor den offiziellen Zeremonien exemplarisch für das Problem, mit dem sich muslimische Organisationen und Migranteninitiativen konfrontiert sehen. Chérif Lounés, der Sohn eines Veteranen der Afrika-Armee, machte am Tag vor den Ehrungen in Toulon in einem Zeitungsartikel auf einen Umstand aufmerksam, der mit den jüngsten rassistischen Attacken in Strasbourg und auf Korsika (Jungle World, 35/04) verbunden ist: Vor knapp 60 Jahren wurden sowohl das Elsass als auch Korsika maßgeblich von maghrebinischen Soldaten befreit.

In verschiedenen Kommentaren in afrikanischen und arabischen Medien wurde diese Kritik um einen weiteren Aspekt ergänzt. Neben dem Vergessen steht hier der Vorwurf des Verrats. Der senegalesische Filmregisseur Ousmane Sembene hat bereits 1988 in seinem Film »Camp Thiaroye« auf ein Massaker des französischen Militärs aufmerksam gemacht, das die Stellung der afrikanischen Soldaten in der Afrika-Armee deutlich machte. Nach der Demobilisierung der Soldaten und ihrer Unterbringung in einem Übergangslager in der Nähe Dakars im Herbst 1944 protestierten die Insassen des Lagers gegen die schlechte Behandlung und die Nichtauszahlung des Soldes. Das französische Militär reagierte mit einer Bombardierung des Lagers und tötete mehrere Dutzend protestierende Soldaten.

Während in marokkanischen Zeitungen auf eine Erklärung des damaligen Königs Muhammed V. hingewiesen wird, in der die marokkanische Bevölkerung bereits am 3. September 1939 zur Unterstützung Frankreichs aufgerufen wurde, heben andere arabische Medien die damalige Hoffnung der arabischen Soldaten hervor, mit der Befreiung Frankreichs die nationale Unabhängigkeit der Kolonien zu erkämpfen. Die wiederholten Versprechen de Gaulles, nach der deutschen Niederlage werde sich Frankreich zumindest aus Teilen des französischen Kolonialreiches zurückziehen, motivierte zahlreiche Nationalisten aus Tunesien und Algerien, aber auch aus Syrien und dem Libanon, sich der Armee de Gaulles anzuschließen.

Georges Morin, ein französischer Wissenschaftler, der selbst im algerischen Constantine geboren wurde, brachte die fortwährende Enttäuschung dieser Hoffnungen in einem Kommentar für die algerische Zeitung al-Watan zum Ausdruck. Unter der provokanten Überschrift »Als die Algerier Frankreich befreiten« weist er auf die Massaker in den algerischen Orten Sétif und Guelma hin. Bei Angriffen des französischen Militärs auf Demonstrationen am 8. Mai 1945, auf denen die Demonstranten die Unabhängigkeit Algeriens forderten, wurden unterschiedlichen Angaben zufolge zwischen 1 500 und 45 000 Demonstranten getötet.