Auf der
Überholspur

Das Rennen um die billigsten Arbeitsplätze in der Automobilindustrie geht in die nächste Runde. Am Start: Volkswagen und Opel. von steffen falk

Spätestens seit der diesjährigen Tarifrunde in der Metallindustrie sollte klar sein, dass Tarifverhandlungen nicht dazu da sind, die finanzielle Lage der Arbeiter zu verbessern. Die Vertreter der Lohnabhängigen haben auf die Bedürfnisse ihrer Vertragspartner zu reagieren, nicht umgekehrt.

Nach der Aussage von Peter Hartz, des Personalvorstands von Volkswagen, sei nicht überall Hartz drin, wo Hartz drauf stehe. Der Sieben-Punkte-Plan, den er vorgelegt hat und der die Ertragskraft des Unternehmens stärken und die Beschäftigung sichern soll, bietet jedoch den unverfälschten Hartz. Wer den nationalen Arbeitsmarkt für den globalen Wettbewerb tauglich machen kann, darf nicht hinten anstehen, wenn es darum geht, das konzerneigene Personal zu verbilligen.

Das erklärte Ziel des Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG, Bernd Pischetsrieder, ist es, bis ins Jahr 2011 die jährlichen so genannten Lohnkosten des größten Automobilkonzerns Europas von 6,8 auf 4,8 Milliarden Euro zu reduzieren. Dafür sollen zunächst die 103 000 Beschäftigten in den westdeutschen Werken für die kommenden zwei Jahre auf eine Gehaltserhöhung verzichten, Bonusleistungen sollen vom Gewinn des Unternehmens abhängig gemacht werden, langfristig sollen 30 Prozent des Gesamtlohns variabel sein. So steht es geschrieben. »Variabel« soll dabei bedeuten, dass der Lohn jederzeit gesenkt werden kann, wenn die wirtschaftliche Entwicklung des Betriebes es verlange.

Ab dem Jahr 2005 sollen sich alle neu hinzukommenden Beschäftigten in »Job-Familien« wiederfinden. Dahinter stecken nicht zusammengelegte Ich-AGs unter der Obhut des Autoherstellers, sondern ein neues Vergütungssystem. Der technische Zeichner oder die Lackiererin etwa, die am selben Modell arbeiten, hängen dann von dem variablen Lohnanteil ab, der sich am Verkaufserfolg des Modells bemisst. Wenn sich das Modell gut verkauft, kann die Unternehmensleitung Mehrarbeit verlangen, bei schlechtem Absatz weniger. Arbeitszeitkonten sollen eine Schwankungsbreite der Arbeitszeit von 400 Stunden im Jahr ermöglichen. Mehrarbeitszuschläge sollen so endgültig eingespart werden.

Da aber mit dem ganzen Leben eines Lohnarbeiters kalkuliert wird, führt VW das Konzept der »Lebensarbeitszeit« ein. Junge, unverbrauchte Arbeitskräfte sollen mehr arbeiten als alte. »Jung kaputt spart Altersheim«, hat sich Peter Hartz offenbar gedacht. Wer gesund und munter ist, soll nicht auf die Idee kommen, seine Kraft mit zu viel Freizeit zu vergeuden. Nicht einfach länger arbeiten lassen, sondern dann länger arbeiten lassen, wenn es sich auch lohnt, das ist die Devise.

Um nicht den Eindruck zu erzeugen, bei VW ruinierten die Menschen an den Fließbändern ihre Gesundheit, sieht das Konzept auch einen »Gesundheitsbaustein« vor. Den Arbeitern werden betriebliche Zusatzversicherungen, etwa zum Zahnersatz, angeboten. Die Unkosten, die durch Krankheitsfälle entstehen, sollen durch Mehrarbeit oder durch Lohnkürzungen ausgeglichen werden. Ob Alter oder Krankheit, die Risiken ihres Arbeitslebens sollen die Mitarbeiter selber tragen.

Wie sehen dagegen die Forderungen der IG Metall aus? Der bestehende Tarifvertrag wurde Mitte August von der Gewerkschaft gekündigt. Ihr Katalog umfasst nur vier Punkte. Erstens fordert die IG Metall eine Lohnerhöhung von vier Prozent bei einer Laufzeit des Tarifvertrages von einem Jahr, zweitens eine Arbeitsplatzgarantie, drittens die Übernahme des so genannten Entgeltrahmen-Tarifvertrags, und viertens soll die Belegschaft »gesund in Rente« gehen können.

Die Argumente, die diesen Forderungen Gewicht verleihen sollen, haben es in sich. Ganz im Sinne volkswirtschaftlicher Vernunft wird mehr Geld für die Leute mit dem eng sitzenden Gürtel gefordert. Denn das, wovon sie sich nach getaner Arbeit satt essen, so lautet die konstruktive Logik, haben sie zuvor gekauft, und somit kurbeln sie den Aufschwung an.

Dass es den Drohgebärden von beiden Seiten und aller Panikmache in der bürgerlichen Presse zum Trotz nicht zu harten Auseinandersetzungen kommen dürfte, ist absehbar, wenn die IG Metall fordert, »dass unsere heutigen Arbeitsplätze auch für unsere Kinder und Enkel erhalten bleiben«. Wolfgang Schulz, der erste Bevollmächtigte der IG Metall Wolfsburg, sagte der Jungle World: »Wir wollen Arbeitsplatzsicherheit. Dafür sind wir auch bereit, etwas zu tun.«

Ganz im Interesse des Standortes äußern die Verwalter der Arbeiterrechte auch ihre Kritik an der Verlängerung der Arbeitszeit. »Beschäftigungsfeindlich« und »ökonomisch unsinnig« sei die geforderte Mehrarbeit, das Konzept könne bis zu 10 000 Arbeitsplätze kosten, kritisiert Hartmut Meine, der Bezirksleiter des IG Metall in Wolfsburg und Verhandlungsführer der Gewerkschaft.

Es scheint, als müssten sich die Vertreter der Gewerkschaft entscheiden. Wollen sie eine Beschäftigungsgarantie in Form eines zweifelhaften unternehmerischen Versprechens, oder fordern sie mehr Lohn und riskieren so Entlassungen? Zum tarifpartnerschaftlichen Realismus gehört es zwar, die Forderungen des Gegenübers als unrealistisch und überzogen abzuweisen. Doch erwartbar ist auch, dass die Gewerkschaft das, was sie erreicht, hinterher als das einzig Machbare darstellen wird.

Was nichts Gutes für ihre Mitglieder bedeutet. »Die Gelegenheit ist günstig«, so realistisch kommentiert Wolfgang Schulz den Angriff des Unternehmens auf die Belegschaft. Er erwartet, dass die am 15. September beginnende Verhandlungsrunde hart wird. Die angekündigte Nullrunde bei den Gehältern der Manager des Konzens als Gegenleistung für den gewerkschaftlichen Realismus soll daran nichts ändern.

Schulz sagte der Jungle World, die Manager sollten zwar mit gutem Beispiel vorangehen, das falle ihnen aber auch leichter bei ihren Gehältern. Vielleicht bemerkt die IG Metall ja auch eines Tages, dass dies nur eine flankierende Maßnahme des Managements ist, um Lohnsenkungen durchzusetzen.

Bei Opel im südhessischen Rüsselsheim setzte man indes am vorigen Freitag zum Überholmanöver an. Die »schlechte Ertragslage«, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährde, erfordere nach den Worten des Vorstandsvorsitzenden von Opel, Hans Demant, einen Lohnverzicht, das Streichen von Sozialleistungen und unbezahlte Mehrarbeit. Wenn anderswo die Menschen härter und länger arbeiten müssten, dann auch in der krisengeschüttelten Automobilbranche.

Die Klage über zu hohe Löhne zeigt allerdings auch, woraus die Gewinne der Unternehmer und die Attraktivität des Standortes resultieren. Die Produktivität ist derzeit kaum noch zu steigern, höhere Gewinne können die Unternehmen am schnellsten durch Lohnkürzungen erzielen. »Die Welt ist nun mal so, wie sie ist«, besagt ein weiterer Aphorismus des Sozialdemokraten Peter Hartz.