Startschuss für die Statusfrage

Ein halbes Jahr nach den März-Pogromen stellen sich die UN auf Verhandlungen über eine Unabhängigkeit des Kosovo ein. von markus bickel, pristina

Mit dem Amtsantritt von Soren Jessen-Petersen an der Spitze der Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen für das Kosovo (Unmik) strebt die Weltorganisation offenbar eine umfassende Neuorientierung ihrer bisherigen Strategie an. So soll der dänische Protektoratschef, der seit Mitte August die 10 000-Mitarbeiter-Administration leitet, einem internen Bericht zufolge »eine robuste Politik von Interventionen und Sanktionen« verfolgen, um Obstruktionen lokaler Amtsträger künftig schon im Ansatz zu ersticken. Dabei orientieren sich die Verfasser des Papiers an den als »Bonn-Powers« bezeichneten weitgehenden Vollmachten, die dem Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina seit der Dayton-Folgekonferenz in Bonn 1997 zustehen.

Außerdem fordert der norwegische Diplomat Kai Eide, der den der Jungle World vorliegenden Bericht im Auftrag von Uno-Generalsekretär Kofi Annan erstellte, eine Abkehr vom bisherigen »Standards vor Status«-Ansatz. Mit diesem wollte die Unmik die Durchsetzung rechtstaatlicher, menschenrechtlicher und marktwirtschaftlicher Normen vor einer Entscheidung über den endgültigen Status der nach internationalem Recht weiterhin zu Serbien-Montenegro gehörenden Provinz – die zwei Millionen Einwohner zählt – erreichen. Michael Steiner, Jessen-Petersens Vorvorgänger und ehemaliger außenpolitischer Berater Gerhard Schröders, hatte diese Strategie vor rund zwei Jahren entworfen, um den anhaltenden Forderungen nach Unabhängigkeit des Kosovo einen institutionellen Riegel vorzuschieben.

Doch nach den pogromartigen Ausschreitungen im März (Jungle World, 14/04) – während dreitägiger Unruhen kamen 19 Menschen ums Leben, mehr als 800 wurden verletzt – geht die einflussreiche Abteilung für Peacekeeping-Operationen in New York offenbar davon aus, dass ein Offenlassen des rechtlichen Status der Provinz nicht länger durchzuhalten ist. »Im Kosovo wird der Druck, die Statusfrage anzugehen, noch intensiver werden«, heißt es in dem 24-Seiten-Papier, das mit Kritik am bisherigen Vorgehen der seit Juni 1999 bestehenden Uno-Protektoratsverwaltung nicht spart: »Das zwingt die internationale Gemeinschaft dazu, in Diskussionen über den Zeitplan der Statusfrage spätestens Mitte 2005 einzusteigen, wenn nicht sogar früher.«

Der Vorsitzende der Neuen Partei des Kosovo, Bujar Bukoshi, begrüßte im Gespräch mit der Jungle World das so genannte Eide-Papier. Zugleich bezeichnete es der frühere Kosovo-Exilpremier für einen Beschluss über den Status als »unerheblich, wer an der Spitze der Uno-Administration steht«. Entscheidend sei vielmehr, dass die Kosovo-Parteien die Zukunft der mit überwältigender Mehrheit nach Unabhängigkeit strebenden Bevölkerung »endlich selbst gestalten«. Die internationale Gemeinschaft müsse dabei »Hilfe zur Selbsthilfe« leisten. Vor einer Klärung der Statusfrage sollten rasch die rechtstaatlichen Voraussetzungen zur Entlassung des Kosovo in die staatliche Selbstständigkeit geschaffen werden. Statt des von Steiner geprägten Slogans »Standards vor Status« könne sich die Unmik dabei an der Formel »Staatlichkeit vor Unabhängigkeit« orientieren.

Der nach den antiserbischen Ausschreitungen im März in Auftrag gegebene Bericht liest sich stellenweise wie eine verspätete Rücktrittserklärung des im Juni nach Finnland zurückgekehrten Harri Holkeri, der Steiner an der Spitze von Kosovo-Mission gefolgt war. So heißt es etwa, dass »eine Umstrukturierung von Unmik unumgänglich« sei: »Unmik wird ohne starke Unterstützung der gesamten internationalen Gemeinschaft nicht länger in der Lage sein, die Kraft und Glaubwürdigkeit aufzubringen, ihre Verantwortung auszufüllen.«

Nach Klärung der Statusfrage müsse deshalb die Europäische Union eine stärkere Rolle in dem Protektorat übernehmen, heißt es in dem Papier. Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) solle vor allem im Polizeibereich Aufgaben übernehmen, die bislang der Uno vorbehalten waren. Zudem solle die während des Bosnien-Krieges gegründete Kontaktgruppe wieder eine stärkere Rolle einnehmen. Zuletzt waren die Vertreter von Großbritannien, Russland, den USA, Frankreich, Deutschland und Italien während des Kosovo-Krieges federführend an der Balkan-Krisendiplomatie beteiligt gewesen.

Während der im Juni zurückgetretene vierte Unmik-Chef Holkeri bis zum Schluss seiner Amtszeit eine Diskussion über den endgültigen Status ausgeschlossen hatte, drängen die westlichen Führungsmächte seit den März-Krawallen auf den Beginn von Verhandlungen zwischen Belgrad und Pristina. Eine Zustimmung der serbischen Regierung zu einer endgültigen Abspaltung der ehemals autonomen Provinz erhoffen sich europäische Diplomaten in Pristina durch die Zusicherung einer weiteren Annäherung an die Europäische Union, wie sie im Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess vorgesehen ist. Neben finanziellen Hilfen soll Belgrad außerdem kurzfristig die Aufnahme in das Nato-Programm »Partnership for Peace« sowie mittelfristig die Mitgliedschaft in dem westlichen Militärbündnis in Aussicht gestellt werden.

Unterstützt wird eine stärkere Rolle der EU auch von den USA, die im August mit Philip Goldberg einen neuen ständigen Vertreter nach Pristina entsandten, der erstmals für zwei und nicht nur für ein Jahr im Kosovo stationiert sein wird – ein weiterer Hinweis auf eine beschleunigte Klärung der Statusfrage.

Ein Modell, wie es von Österreichs Uno-Botschafter in Genf, Wolfgang Petritsch, Mitte August ins Gespräch gebracht wurde, gilt in westlichen Diplomatenkreisen in Pristina als wahrscheinlichste Option für das technische Verfahren zur Aufnahme der Statusverhandlungen: Demnach müsste der Sicherheitsrat in New York im kommenden Juni nach einer grundsätzlich positiven Bewertung des Demokratisierungsprozesses im Kosovo einen Sondergesandten ernennen, der die Federführung bei den Verhandlungen zwischen der serbischen und der kosovo-albanischen Regierung zufiele. Dieser müsse das Vertrauen beider Seiten genießen.

Petritsch war bis zum Beginn des Nato-Krieges gegen Jugoslawien im März 1999 Kosovo-Sondervermittler der EU und leitete unter anderem die Verhandlungen auf der Kosovo-Konferenz von Rambouillet. Steiners »Standards vor Status«-Strategie bezeichnete er gegenüber der Jungle World als überholt. »Die Formel sollte heute eher ‚Standards und Status’ lauten.« Zudem müsse die EU nach fünf Jahren Uno-Herrschaft künftig eine stärkere Rolle bei der Verwaltung der Krisenprovinz übernehmen. »Letzten Endes gilt für das Kosovo, was auch für Bosnien gilt oder Serbien: Wenn es zu einer Lösung kommen soll, muss Europa konkrete Angebote Richtung EU-Beitritt unterbreiten.«