Ein rentables Geschäft

Die Freilassung der im Irak entführten Italienerinnen wirft mehr Fragen auf als ihre Verschleppung. von federica matteoni

Zwei verschleierte Frauen auf einem staubigen Feld, im Hintergrund ist die Um-al-Kura-Moschee von Bagdad, Sitz des Rates der Ulema, zu sehen. Nacheinander schlagen die beiden Frauen ihre schwarzen Schleier hoch und reichen dem Chef des italienischen Roten Kreuzes, Maurizio Scelli, strahlend die Hand. »Schukran«, sagen sie auf Arabisch: »Danke«. Ende einer Inszenierung.

Mit diesen vom arabischen Sender al-Jazeera verbreiteten Bildern erfuhren Italien und die Welt am Dienstag vergangener Woche von der Freilassung von Simona Pari und Simona Torretta, den vor drei Wochen im Irak entführten Mitarbeiterinnen der italienischen NGO »Eine Brücke für …«. Am selben Abend flogen die beiden nach Italien, wo eine ganze Nation – in der drei Wochen lang ein Klima der »nationalen Einheit« herrschte – jubelnd auf ihre »Friedensengel« wartete. Und wie es zu jedem Happy End gehört, bedankten sich erst mal alle bei allen: die beiden Entführten beim »italienischen Volk«, der islamischen Community in Italien und den vielen Vertretern der »arabischen Welt«, die sich für ihre Freilassung eingesetzt hatten; die NGO »Eine Brücke für …« bedankte sich »trotz allem, was uns politisch trennt«, bei der Regierung Berlusconi, und diese bedankte sich bei der Opposition, die im Entführungsfall die von der Regierung verfolgte »Linie des Dialogs« vollständig unterstützt hatte. Eine Linie, die sich als erfolgreich erwies. Doch worüber wurde so erfolgreich verhandelt?

Die Regierung in Rom und vor allem das italienische Rote Kreuz bestreiten, dass Lösegeld gezahlt worden sei. Der zum Nationalhelden avancierte Maurizio Scelli, der Pari und Torretta direkt aus den Händen der Entführer entgegennahm, erklärte, die Freilassung sei nur »aus Dankbarkeit« für die Arbeit des italienischen Roten Kreuzes und der NGO »Eine Brücke für...« an der Seite der irakischen Bevölkerung erfolgt.

Pari und Torretta bestätigten diese Version, indem sie ihre Entführung in einigen Interviews als eine Art »Missverständnis« bewerteten. Konkrete Angaben über die Geiselnehmer machten sie nicht, abgesehen von der Behauptung, es habe sich um »strenggläubige Muslime« gehandelt, die sie ohne jede Gegenleistung auf freien Fuß gesetzt und sich sogar für ihren »Irrtum« entschuldigt hätten. Auf die Frage der Tageszeitung La Repubblica: «Warum seid ihr denn entführt worden?« antworteten sie lapidar: »Weil wir Italienerinnen sind.« Erst nach mehreren Stunden Befragung sei es ihnen gelungen, den Geiselnehmern klarzumachen, dass ihre Organisation nicht für die Regierung der italienischen Besatzungsmacht arbeite, sondern immer gegen diesen Krieg gewesen sei und sich seit Jahren für die irakische Bevölkerung einsetze.

Nur ein Irrtum also? Nicht nur in italienischen Zeitungen häuften sich in den vergangenen drei Wochen politische »Analysen«, welche die Entführung der beiden Friedensaktivistinnen mehr oder weniger offen als Geheimdienstoperation unter Regie der USA deuteten. Ziel einer solchen Operation sei es nach diesen Erklärungen gewesen, einerseits dem irakischen »Widerstand« zu schaden, andererseits Angst zu verbreiten, damit internationale AktivistInnen oder »nicht eingebettete« JournalistInnen – wie der Italiener Enzo Baldoni, der Ende August ermordet wurde (Jungle World, 37/04) – den Irak verlassen und aufhören, über die tägliche Gewalt der Besatzung zu berichten.

Ein gutes Beispiel für diese von großen Teilen der Linken vertretene Meinung lieferten Naomi Klein und Jeremy Scahill in einem am 16. September im britischen Guardian erschienenen Artikel, in dem sie ihre Erklärung darlegten, warum es sich in diesem Fall um keine »klassische« Entführung seitens irakischer Widerstandskämpfer handele. Klein und Scahill listeten eine Reihe von Details über die Dynamik der Entführung auf, die als Zeichen einer »verdeckten Polizeioperation« zu deuten seien: Die Geiselnehmer seien nicht vermummt gewesen und hätten Uniformen der Nationalgarde angehabt. Außerdem seien sie »außergewöhnlich viele« gewesen; Augenzeugen hätten erklärt, jene würden für die irakische Übergangsregierung von Iyad Allawi arbeiten. Sie hätten sich am helllichten Tag im Zentrum Bagdads frei bewegen dürfen, ohne jegliche Behinderung seitens der irakischen Polizei oder des US-Militärs.

An viele dieser Details scheinen sich jedoch Pari und Torretta in Interviews nach ihrer Freilassung nicht mehr zu erinnern. Vor allem aber beriefen sich Klein und Scahill auf die Aussage von Scheich Abdul Salam al-Kubaisi, einem führenden Mitglied des Rates der Ulema in Bagdad. Dieser hatte der Tageszeitung La Repubblica erklärt, die beiden Frauen einen Tag vor ihrer Entführung getroffen zu haben. Sie hätten ihm erzählt, dass sie »Druck ausgesetzt« seien und sich in Bagdad nicht mehr sicher fühlten. Pari und Torretta bestritten jedoch im Interview mit derselben Zeitung Kubaisis Aussagen: »Mit ihm wollten wir lediglich über unsere Projekte im Irak sprechen, nicht über irgendwelche Bedrohungen. Wir hatten keine Angst.« Am Ende ihres Artikels schreiben Klein und Scahill: »Wenn diese Entführung mit einem Blutbad endet, wird das nur Washington, Rom und ihren irakischen Stellvertretern nutzen, um die brutale Besatzung zu rechtfertigen.«

Das »Blutbad« blieb in diesem Fall glücklicherweise aus. Das scheint aber nicht nur die Geheimdienst-Theorie zu widerlegen. Die Erklärung, wonach es sich bei der ganzen Geschichte nur um einen Irrtum gehandelt habe, erscheint ebenso fragwürdig. Vor allem, wenn man bedenkt, dass »Eine Brücke für …« bereits seit Ende des ersten Golfkrieges im Irak tätig ist. Ist es realistisch zu denken, dass die Geiselnehmer nichts über diese Organisation wussten und sie sogar für eine »katholische Regierungsorganisation« hielten? Wohl kaum.

Bereits bei der ersten Entführung von Italienern im Irak (Jungle World, 21/04) schienen die Geiselnehmer mit ihrer Forderung nach Massendemonstrationen gegen Berlusconis Irak-Politik darüber informiert zu sein, dass in Italien die Öffentlichkeit gegen den Krieg zu mobilisieren ist. Angesichts der medialen Begleitung der Entführung von Pari und Torretta kann man auch in diesem Fall davon ausgehen, dass die Entführer zumindest wussten, wie man die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zieht. Und wie man viel Geld machen kann. Niemals wurde für die Freilassung der beiden Frauen eine ernst zu nehmende politische Forderung an die italienische Regierung gerichtet. Es ist anzunehmen, dass es den Geiselnehmern nur um Geld ging und dass die Frauen freigelassen wurden, weil dieses Geld tatsächlich kam. Am Sonntag berichtete die Sunday Times, die italienische Regierung habe vier Millionen Euro für die Freilassung der beiden Frauen gezahlt.

Im Irak hat sich eine blühende Entführungsindustrie entwickelt. Am rentabelsten scheint das Geschäft dann zu sein, wenn es ein konkreter Fall in die internationalen Medien schafft. Dafür reicht es, sich die richtigen Opfer auszusuchen und unter dem Banner des Befreiungskampfs Propaganda zu betreiben.