Kirchner baut ab

Lange Zeit gab sich der argentinische Präsident kooperativ gegenüber sozialen Bewegungen. Nun geht er offenbar auf Konfrontation. von andrés pérez gonzález, santiago de chile

Hat Néstor Kirchner einen neuen Weg eingeschlagen? Jedenfalls hat der argentinische Präsident derzeit alle Mühe, sein Bild vom kooperativen Partner sozialer Bewegungen aufrecht zu erhalten. Während die organisierten Arbeitslosen, die Piqueteros, weiterhin regelmäßig die Straßen von Buenos Aires blockieren, schwenkt der Präsident augenscheinlich auf eine konfrontativere Linie um. Dafür spricht insbesondere ein Polizeieinsatz gegen eine Demonstration, die vor wenigen Wochen in der Hauptstadt stattfand.

Rund 5 000 Menschen aus verschiedenen sozialen Organisationen gingen am 31. August auf die Straße, um gegen den Besuch des neuen Präsidenten des Internationalen Währungsfonds (IWF), Rodrigo Rato, zu demonstrieren. Zudem forderten sie die Freilassung politischer Gefangener wie des Piquetero-Anführers Raúl Castell sowie die Einstellung der etwa 4 000 Verfahren gegen linke Aktivisten. Im Lauf der Demonstration versuchten radikalere Gruppen wie Quebracho, zum Regierungsgebäude vorzudringen. Es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, über 100 Menschen wurden festgenommen. Es finde, so resümierten die Organisatoren, eine »intensive Kampagne der Feindseligkeit und Verfolgung durch die Regierung und die wirtschaftliche Macht« statt, um die »sozialen Proteste einzudämmen«.

Seit Kirchner im Mai 2003 sein Amt angetreten hat, war es das erste Mal, dass Polizisten so gewaltsam gegen Demonstranten vorgingen. »Wir haben klargestellt, dass die Bürger des Landes das Recht besitzen, sich auf der Straße in Ruhe bewegen zu können«, sagte Kirchner. Doch trotz seiner konfrontativen Linie verteidigte er das Recht auf »demokratischen Protest«. Er wolle »einen Rahmen des gemeinsamen Zusammenlebens« schaffen und »Wege der Mäßigung« suchen.

Kirchners Schlingerkurs könnte darauf zurückzuführen sein, dass sich seine Position in den letzten Monaten verschlechtert hat. Die Arbeitslosenrate ist angestiegen, die Zeitschrift La Nacion veröffentlichte jüngst Ergebnisse einer Umfrage, nach denen die Popularität Kirchners abgenommen hat. Während der Präsident in den ersten neun Monaten seiner Regierungszeit landesweit auf eine Zustimmung von etwa 80 Prozent zählen konnte, befürwortet in der Hauptstadt inzwischen nur noch jeder Zweite seine Politik.

Die widersprüchlichen Äußerungen des Präsidenten deuten auch darauf hin, dass sich der ständige Machtkampf innerhalb der peronistischen Gerechtigkeitspartei zu seinen Ungunsten entwickelt hat. Kirchner, der nach seinem Amtsantritt einen eher linksgerichteten Weg einschlug, scheint nun gegenüber seinem Gegenspieler, dem einflussreichen ehemaligen Präsidenten Eduardo Duhalde, ins Hintertreffen zu geraten, und sieht sich offenbar dazu gezwungen, dessen ordnungspolitische Vorstellungen zu übernehmen. So ist auch zu erklären, dass Duhaldes Ehefrau, die Abgeordnete Hilda González, das Vorgehen der Polizei begrüßt hat. Endlich habe die Regierung beim Thema Piqueteros »die Zügel angezogen«, sagte Hilda »Chiche« Duhalde, die schon bei anderen Gelegenheiten als Sprecherin ihres Mannes auftrat. Auch eine im September in der Tageszeitung Clarín erschienene Meldung spricht für eine innerparteiliche Schwächung des Präsidenten. Demnach setzt die Duhalde-Fraktion auf eine Zusammenarbeit mit der Großen Allianz für den Wandel.

Für die Piqueteros und andere soziale Bewegungen spielen diese Querelen nur eine sekundäre Rolle. Denn »jenseits des Kirchnerschen Diskurses ist die Wirklichkeit weiterhin von Armut, Hunger und Repression geprägt«, heißt es in einem von Indymedia-Argentinien veröffentlichten Text.