»Es gibt hier keine Gegenwehr«

Die Filmeditorin ursula höf beklagt eine »Verhartzung« in der Medienbranche und das Ausbleiben von Protest

Ursula Höf arbeitet in Hamburg als Cutterin für Fernseh- und Kinoproduktionen. Sie ist Mitglied bei Verdi und gehört zur Tarifkommission für Filmschaffende. Zuletzt besorgte sie den Schnitt für den von Saxonia Media produzierten Zweiteiler »Hunger nach Leben« über die Biografie der DDR-Schriftstellerin Brigitte Reimann, der von Arte sowie vom MDR ausgestrahlt wurde.

Manche Filmschaffende vergleichen ihre Arbeits- und Lebenssituation mit den Bedingungen in den Kohlegruben des 19. Jahrhunderts. Ist es wirklich so schrecklich, beim Film zu arbeiten?

Nein, das ist überhaupt nicht schrecklich. Es ist immer noch spannend, hat immer noch das Flair der Traumfabrik. Allerdings muss man sich die sozialen Bedingungen leisten können. Wer in der Filmproduktion arbeitet, beim Drehen beispielsweise, der muss seinen Lebensstandard darauf einrichten, dass er nicht ununterbrochen etwas zu tun hat. Auch der Einstieg in die Branche ist mit viel Eigenleistung und wenig Geld verbunden. Bis jetzt war die Branche darauf ausgerichtet, dass wir uns zwischen zwei Anstellungen arbeitslos melden konnten. Während einer Produktionsphase sind wir als weisungsgebundene Arbeitnehmer befristet angestellt und zahlen in die Sozial- und Arbeitslosenversicherung ein. In Zukunft werden wir davon nicht mehr viel haben.

Das heißt, die so genannten Reformen Hartz III und IV machen sich auch bei den Film- und Fernsehproduktionen bemerkbar?

Hartz III bedeutet die Verkürzung des Zeitraums, in dem Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben werden kann. Dafür mussten wir bisher innerhalb von drei Jahren 360 Tage beschäftigt gewesen sein. Künftig müssen wir das in zwei Jahren erreichen, und das ist kaum machbar. Das Problem wird dadurch verschärft, dass es während der letzten Jahre weniger Fernsehaufträge gab. Es werden weniger Filme produziert als früher. Hier findet eine Verlagerung zu Talkshows, Doku-Soaps und anderen Formaten statt. Bis vor wenigen Jahren hatte ich sieben bis acht Monate im Jahr zu tun, heute kann ich froh sein, wenn ich per anno ein halbes Jahr mit Arbeit füllen kann, und so wie mir geht es vielen Kolleginnen und Kollegen. Selbst wenn es einem Filmschaffenden gelingen sollte, die 360 Tage in zwei Jahren zu erreichen, bekommt er ein halbes Jahr Arbeitslosengeld – aber eben nur einmal und dann eine Weile nicht mehr. Und wenn dann jemand auf das Arbeitslosengeld II angewiesen ist – 345 /331 Euro plus Mietzuschuss – und dann noch gezwungen wird, irgendwelche anderen Jobs anzunehmen, dann hat der bald keine Zeit mehr, seinen Beruf auszuüben. Kolleginnen und Kollegen werden also in die Situation kommen, dass sie von ihrem erlernten Beruf nicht mehr leben können und die Branche verlassen.

Was heißt das für die Branche insgesamt?

Die »Reservearmee Filmschaffende« wird kleiner. Unsere Angst ist auch, dass eine Dequalifizierung einsetzt. Die Menschen, die bisher qualifizierte Filmschaffende waren, bekommen nicht mehr genug zu tun, gehen aus den Berufen raus, und daran leidet die ganze Branche. Wobei ich um die jungen Menschen nicht so viel Angst habe. Auf irgendwelchen Wegen werden sie versuchen, Jobs zu ergattern. Es gibt aber auch eine ganze Reihe von gut qualifizierten Kollegen, die aus unterschiedlichen Gründen – weil sie älter sind, Kinder haben oder welche haben wollen oder beruflich noch nicht so anerkannt sind, aber nicht mehr jung genug, um von sehr wenig zu leben – weggehen. Das heißt, das Kontingent an erfahrenen Filmschaffenden wird sehr viel kleiner, und die weniger Qualifizierten rücken nach.

Dazu kommt, dass Filmemachen in Stoßzeiten stattfindet, meistens in den Zeiten von März bis Oktober. Oder, wie es in jüngster Zeit oft passiert ist, im ersten Halbjahr läuft fast nichts, und dann geht es von August bis November volle Kanne ab. In den Zeiten werden die Produktionsfirmen dann nicht mehr genügend qualifizierte Leute finden.

Wie geht ihr mit den neuen Problemen um?

Leider gibt es keine Gegenwehr wie in Frankreich. Wäre das so – wunderbar! Wir versuchen, mit den Mitteln der Tarifpolitik einen Ausgleich zu schaffen. Ich will es an einem Beispiel verdeutlichen: Wenn ein Film gedreht wird, haben wir oft sehr lange Arbeitstage, mitunter 14 oder 16 Stunden. Laut Tarifvertrag berechnet sich unsere Gage an zehn Stunden, darin sind zwei Überstunden enthalten. Wir möchten, dass die Mehrarbeit nicht mehr ausbezahlt, sondern auf einem Zeitkonto gutgeschrieben wird. Dieses Arbeitszeitkonto verlängert die Beschäftigungszeit, und unter Umständen können so die Anwartschaftszeiten erreicht werden.

Von der Politik ist zu hören, dass es für die Filmschaffenden keine Ausnahmeregelung geben wird. Eine Bankrotterklärung an die Kultur?

Ich empfinde es als eine Ungeheuerlichkeit, wenn Abgeordnete über eine Branche urteilen, von der sie überhaupt keine Ahnung haben. Ich bin mir gar nicht sicher, ob es klug ist, Sonderregelungen für Filmschaffende zu fordern. Was mich total ärgert, ist die Tatsache, dass die Politik uns in die Zange nimmt. Sie verlangen einerseits von uns, dass wir eben nicht als Selbständige arbeiten – nur sehr wenige von uns können in die Künstlersozialkasse –, sondern dass wir als weisungsgebundene Arbeitnehmer in die Sozialversicherung und eben die Arbeitslosenversicherung einzahlen. Dann werden uns die Wege blockiert, um aus der Arbeitslosenversicherung etwas zu bekommen. Sie haben uns in die Falle gelockt! Wir können uns nicht dagegen wehren, dass wir in die Arbeitslosenversicherung einbezahlen, sind darauf angewiesen, dass wir daraus etwas bekommen, und möglicherweise wird uns das vorenthalten.

Bei jeder sich bietenden Gelegenheit fordern die Bosse der Medienindustrie branchengerechte politische Rahmenbedingungen. Wie es scheint, nimmt man euch den Rahmen weg.

Ja, das ist so! Doch ich habe den Eindruck, dass die Bosse noch nicht ganz begriffen haben, dass ihnen hier das Gewerbe verhungert. Es ist gut möglich, dass sie das erst in drei oder fünf Jahren merken, und dann ist es vielleicht zu spät. Leider ist die Filmbranche immer eine sehr kurzfristig denkende gewesen. Hier wird immer nur von Projekt zu Projekt gedacht und selten langfristig. Zudem können wir von Arbeitszeiten und sozialen Bedingungen wie in Industriebetrieben oder auch in anderen Branchen nur träumen. Irgendwann, wenn die sozialen Bedingungen immer schlechter werden, dann gibt es vielleicht keine Filmschaffenden mehr.

interview: günter frech