Ärger im Le-Pen-Club

Im französischen Front National hat das Gerangel um die Nachfolge des Parteigründers begonnen. von bernhard schmid, paris

Kein Blatt vor den Mund nahm er bei seiner Pressekonferenz am Montag voriger Woche. Bruno Gollnisch, »Generalbeauftragter« (délégué général) des rechtsextremen Front National (FN) und zweithöchster Parteifunktionär hinter dem Parteipräsidenten Jean-Marie Le Pen, nahm Stellung zu einem Untersuchungsbericht über die Umtriebe von Auschwitzleugnern an der Universität Lyon III. Diese ist seit Jahrzehnten als universitäre Hochburg der extremen Rechten in Frankreich bekannt. Und hier unterrichtet auch Bruno Gollnisch, der einst Jura in Japan studierte und in den achtziger Jahren Dekan der japanologischen Fakultät von Lyon III wurde.

»Nicht ein einziger seriöser Historiker verteidigt noch hundertprozentig die Ergebnisse des Nürnberger Prozesses«, legte Gollnisch los. »Ich bestreite nicht, dass Konzentrationslager existiert haben, aber die Zahl der Toten betreffend gäbe es Diskussionsstoff für die Historiker. Und hinsichtlich der Existenz von Gaskammern liegt es an den Historikern, sie festzustellen.« Zur Bekräftigung fügte er hinzu, er wisse nicht, »ob ich für diesen Satz von meinem Lehrstuhl gejagt oder ins Gefängnis gesteckt werde, aber ich stehe zu ihm«.

Das Muster, nach dem Gollnisch argumentiert, ist nicht neu. Der Parteigründer Jean-Marie Le Pen selbst provozierte bereits im September 1987 einen Skandal, die so genannte »Detail-Affäre«, als er ganz ähnlich lautende Sätze im französischen Fernsehen äußerte. Daraufhin rissen die guten Kontakte seiner Partei zu den rechten Flügeln der britischen Tories und der US-amerikanischen Republikaner sowie zu französischen Konservativen größtenteils ab, Le Pens Bewegung trat für ein Jahrzehnt in ihre sozialdemagogische und pseudo-systemoppositionelle Phase ein.

Doch seit einiger Zeit bemüht Le Pen sich um verbale Zurückhaltung: Nachdem infolge der Parteispaltung um den Jahreswechsel 1998/99 die Mehrzahl der Kader und Aktivisten den FN verließen, bildete Le Pen nahezu allein die Führung. Er versuchte in den folgenden Jahren vor allem mit einer relativ entpolitisierten personality show zu punkten.

Dass dennoch auch weiterhin keine Berührungsängste etwa zu deutschen Neonazis bestehen, belegt die Reaktion des FN auf die jüngsten Wahlerfolge der NPD in Sachsen. Unter der in holprigem Deutsch verfassten Überschrift »Saxe ist gut, noch einmal« wurde das Wahlergebnis in einem Kommuniqué der französischen rechtsextremen Partei, das über ihre Mailingliste an alle eingetragenen Sympathisanten ging, begrüßt.

Doch in der Partei hängt derzeit der Haussegen schief, die mit den deutschen Rechtsextremen einige ihrer strukturellen Probleme gemeinsam hat. Es sind weniger die der Kader- und Aktivistenpartei NPD als jene der DVU, die sich in organisatorischer Hinsicht nahezu auf ihren Parteivorsitzenden Gerhard Frey reduzieren lässt.

Vielleicht auch wegen einsetzenden Altersstarrsinns ist der 76jährige Le Pen inzwischen vorwiegend auf die Absicherung seiner Nachfolge bedacht – wenn möglich im familiären Rahmen. Auf dem Parteitag in Nizza vom April 2003 wurde deutlich, dass er den Vorsitz in naher Zukunft auf seine jüngste Tochter Marine übertragen will. Das führte zu heftigen Abwehrreaktionen seitens »altgedienter« Parteifunktionäre, die befürchten, Marine Le Pen könne den FN zu »modernistischen« Positionen bei Themen wie »Moral«, Familie und Abtreibung führen. Die Anwältin und Mittdreißigerin ist geschieden und wieder verheiratet.

Der Konflikt zwischen Jean-Marie Le Pen und der seit Mitte der siebziger Jahre beim FN aktiven Altfunktionärin Marie-France Stirbois, die sich im Frühjahr bei der Aufstellung der Listen zu den Europaparlamentswahlen übergangen fühlte, hat jetzt zu einer erheblichen Verschärfung des Machtkampfs geführt. Stirbois fand Unterstützung beim Kopf des katholisch-fundamentalistischen Parteiflügels und Erzfeind Marine Le Pens, Bernard Antony, sowie bei Jacques Bompard, dem einzigen Bürgermeister des FN in Frankreich. Ende August fanden gar gleichzeitig zwei »Sommeruniversitäten« für die Parteikader statt: die eine unter Jean-Marie Le Pens Vorsitz in Enghien-les-Bains bei Paris und die andere unter den Fittichen Jacques Bompards in dessen südfranzösischem Städtchen Orange. An beiden Sommerakademien nahmen je rund 300 Personen teil, die »Orangisten« waren leicht in der Überzahl.

Le Pens innerparteiliche Autorität scheint so angegriffen wie nie. Wahrscheinlich auch deswegen unternahm Gollnisch seinen jüngsten, wohl überlegten Vorstoß. Es geht ihm darum, auch die Hardliner unter den »Orangisten« für sich zu gewinnen, bei deren Treffen schon mal ehemalige Kader der verbotenen, militant-rechtsextremen Unité Radicale wie Fabrice Robert auftauchen. Bereits im April hatte Gollnisch ungeniert im Regionalparlament verkündet, er werde aus Lyon eine »Hauptstadt des Widerstands gegen die Gedankenpolizei« machen – und meinte damit wohl die Gegner von Holocaustleugnern.

Bürgermeister Bompard, der derzeitige Anführer der innerparteilichen »Dissidenten«, hat erstmals programmatische Vorschläge zur Zukunft der Partei skizziert. Ihm schwebt so etwas vor wie eine auf kommunaler Ebene ansetzende »Widerstandsbewegung« der weißen, katholischen Bevölkerung gegen alle anderen: »Besser (wäre es), morgen eine Gemeinschaft von einer Million Männern und Frauen mit ihren eigenen Schulen, ihren Ausbildungsstätten, ihren Netzwerken gegenseitiger Hilfe zu haben, als eine formlose Masse von fünf Millionen Wählern und gleichzeitig nur 2 000 Aktivisten.« Man könnte diese Vision als den Versuch des Aufbaus einer Apartheidgesellschaft »von unten« bezeichnen. Die derzeitige innerparteiliche Praxis, befürchtet Bompard, trage nicht genug zur Verankerung einer solchen gesellschaftlichen »Bewegung« bei.

Richtig gelegen haben dürfte dagegen Bruno Gollnisch mit der Prognose, dass seine Presseerklärung Folgen nach sich ziehen werde. Der Rektor der Universität Lyon III kündigte am Mittwoch vergangener Woche an, den französischen Bildungsminister aufzufordern, Gollnisch vom Dienst zu suspendieren.