Standorte out of area

Kasernenschließungen und Wehrpflichtsdebatte von frank brendle

Guten Morgen, Deutschland: 105 Bürgermeister der Republik mussten kürzlich feststellen, dass sich die Welt seit dem Jahr 1989 verändert hat. Genauso viele Standorte der Bundeswehr sollen demnächst geschlossen werden, und mit der Truppe verschwindet ein regionaler Wirtschaftsfaktor. Die Bürgermeister gaben sich entsetzt und bezeichneten den Abzug der Einheiten als »Katastrophe«. In Regensburg fühlt man sich von Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) »verarscht«, und in Hemer im Sauerland ist gar von einem »Prinzip der verbrannten Erde« die Rede.

Die Bürgermeister tun gerade so, als sei es die Aufgabe der Bundeswehr, strukturschwachen Regionen wirtschaftlich beizustehen. So genannte Regionale Wiederaufbauteams (PRT) gibt es zwar tatsächlich, sie sind aber Bestandteile der Auslandseinsätze und derzeit für Afghanistan zuständig, nicht fürs Sauerland. Dass Einsätze »out of area« die neue Hauptaufgabe der Bundeswehr darstellen, ist eine Lektion, welche die 105 Ortsvorsteher bisher offenbar nicht lernen wollten.

Wenn die Armee kleiner wird, sinkt auch die Zahl der Standorte, logisch. Vor allem aber befürchten die Militärs heute nicht mehr, dass »der Russe kommt«, dem man sich in der Heimat energisch entgegenzustellen habe. Heute marschiert die Bundeswehr selbst ins Ausland. Anders ausgedrückt: Hierzulande werden Kasernen geschlossen, in den neu ausgemachten Kriegsgebieten werden sie neu eröffnet.

Dass die Bundeswehr mehr Kriegseinsätze durchführt und trotzdem kleiner werden kann, liegt am weitgehenden Verzicht auf Wehrpflichtige. Ungelernte, zum Dienst gezwungene 19jährige schickt man besser nicht ins Feuer. Die Kriege der Zukunft bestreiten Profis, nicht Amateure. Bis zum Jahr 2010 sollen von 250 000 Soldaten nur noch 55 000 Wehrpflichtige sein. In der SPD mehren sich die Stimmen, die verlangen, gleich Schluss mit der Zwangsrekrutierung zu machen, ein Fachkongress am vergangenen Wochenende begann eine Debatte, die in einem Jahr auf einem Parteitag entschieden werden soll.

Mit dem möglichen Verzicht auf die Wehrpflicht verknüpft freilich niemand in der SPD antimilitaristische Hoffnungen. Es geht nur um die beste Form der Rekrutierung. Struck hält verbissen an der Wehrpflicht fest und vertritt dabei nostalgisch-ideologische Positionen, die bis zu den sozialdemokratischen Vorstellungen der Kaiserzeit von einer Volksmiliz zurückreichen. Fast jedes seiner Argumente ist falsch. Sicherheitspolitisch ist die Wehrpflicht Unsinn, finanziell betrachtet angesichts des aufgeblähten Erfassungssystems nicht billiger als Freiwilligenanwerbung. Zur »Wehrgerechtigkeit« – bei einer Einberufungsquote von rund zehn Prozent eines Jahrgangs nur noch eine Halluzination – fällt Struck nur die Bemerkung ein, Jahrgangsstärken dürften nicht über den Umfang der Bundeswehr bestimmen. Das könnte das Verfassungsgericht anders sehen.

Angesichts des Streits in der SPD wähnen Wehrpflichtgegner aus der Friedensbewegung ihre Stunde gekommen und fallen in den Chor der Armeemodernisierer ein. Dass die Motive nicht unterschiedlicher sein könnten, ist den meisten bewusst, einigen aber egal: Die »Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer« – ein Verein, der sich auch schon mal die Befürworterin des Jugoslawien-Kriegs und heutige Familienministerin Renate Schmidt (SPD) zur Präsidentin genommen hat – empfiehlt der Bundeswehr allen Ernstes, ihr Personalwesen besser zu organisieren. Die Anwerbung von Freiwilligen wäre dann billiger. Vielleicht dankt ja demnächst die Truppe den Kriegsdienstverweigerern für den guten Tipp.