Heilung für Europa

In Bosnien will die EU militärisch zu den USA aufschließen. von markus bickel, sarajevo

Paddy Ashdown kann den Tag der Übergabe kaum noch erwarten. »Eufor ist der erste wirklich deutliche Ausdruck der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union«, erklärte der Leiter der Protektoratsbehörde des Hohen Repräsentanten im Gespräch mit der Jungle World vergangene Woche.

Nur wenige Tage vor Übergabe des Oberkommandos über die seit 1995 von der Nato geführte Bosnien-Schutztruppe (Sfor) an die EU sieht der Brite in dem kleinen Balkan-Land eine neue Ära transatlantischer Partnerschaft heraufziehen. »Die Tatsache, dass die Europäer jetzt die Führung in dieser Schwergewichtsoperation übernehmen und die Amerikaner trotzdem in Bosnien engagiert bleiben, ist ein klares Beispiel dafür, wie die Beziehung mit der Nato nach dem Irak-Krieg aussehen kann.«

In Anwesenheit von Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer und EU-Außenpolitikchef Javier Solana findet am 2. Dezember im bisherigen Sfor-Hauptquartier in Butmir am Stadtrand von Sarajevo der Kommandowechsel an die European Force (Eufor) statt. Die bislang von einem US-General geführte Truppe wird einen Umfang von rund 7 000 Soldaten haben und den Namen »Althea« (griechisch: die Heilende) tragen. Der britische Zweisterne-General David Leakey ist als Oberkommandierender vorgesehen.

Das Ansinnen der EU, ein Jahrzehnt nach ihrem desaströsen Auftreten während des Krieges zwischen 1992 und 1995 das militärische Oberkommando zu übernehmen, stößt in Bosnien nicht nur auf Begeisterung. So beharrte Präsident Sulejman Tihic bis zum Schluss auf einer Präsenz US-amerikanischer Truppen, die nahe der mittelbosnischen Stadt Tuzla mit knapp 300 Mann stationiert bleiben werden. Der Leiter des Bosnien-Büros der renommierten International Crisis Group, Senad Slatina, kritisierte gegenüber der Jungle World, dass »die Motive zur Übernahme weniger mit der Situation in Bosnien als mit dem Ehrgeiz der EU zu tun haben, sich als sicherheitspolitischer Faktor neben den USA zu etablieren«.

In Bosnien sind seit knapp zwei Jahren 500 Polizisten aus den 25 EU-Staaten stationiert, um den Polizeiapparat beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen zu überwachen. Dort finden die Brüsseler Strategen offenbar ideale Bedingungen vor, um ihre 1991 auf dem EU-Gründungsgipfel in Maastricht ausgearbeiteten Pläne einer aufeinander abgestimmten Außenpolitik endlich zu verwirklichen.

So ersetzte in Bosnien die EU-Polizeimission die dort nach Kriegsende operierende Uno-Polizeitruppe IPTF (International Police Task Force). Nur einen Monat vor dem Wechsel von der Uno- zur EU-Mission, im Dezember 2002, hatten die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel in Kopenhagen bereits beschlossen, nach dem Führungswechsel bei der internationalen Bosnien-Polizei auch militärisch zu expandieren.

Wie bei der Frage der zügigen Anbindung der ehemaligen jugoslawischen Republiken an die Union war es wieder das selbst ernannte kerneuropäische Duo Deutschland-Frankreich, das gegen den Widerstand Großbritanniens und der USA auf einen Stabwechsel im Sfor-Hauptquartier in Butmir drängte. Nach der im Dezember vergangenen Jahres ausgelaufenen EU-Militärmission »Concordia« in Mazedonien und der EU-Operation »Artemis« im Kongo ist die Sfor-Übernahme bereits das dritte Projekt, das die EU im Rahmen ihrer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik durchführt – und das erste von nennenswertem personellem Umfang.

Trotz des Stabwechsels an die EU wird die Nato unter Führung des US-amerikanischen Einsterne-Generals Steven Schook auch künftig im Lande präsent und unter anderem für die Verfolgung von Kriegsverbrechern verantwortlich sein – unter Rückgriff auf die US-Soldaten in Tuzla. Außerdem kann die EU für ihre Operation »Althea« Ressourcen des atlantischen Bündnisses nutzen. So wird der stellvertretende Nato-Oberkommandierende für Europa die Operation führen.

Sfor-Stabschef Wolfgang Köpke wies im Gespräch mit der Jungle World Kritik an der Übernahme von Sfor durch die EU zurück. »Diejenigen, die da Ängste schüren, liegen falsch«, beschwichtigte Köpke, der als Kommandeur des deutschen Kontingents außerdem an der Spitze des personell stärksten nationalen Verbandes in der 28 Länder umfassenden Truppe steht. Berichte in bosnischen Medien, wonach die Arbeit der Hauptquartiere von Rivalitäten geprägt sein dürfte, bezeichnete der Brigadegeneral als unzutreffend: »Ich sehe weniger eine Konkurrenz als vielmehr ein Miteinander und den Nutzen synergetischer Effekte, um die Entwicklung in diesem Land voranzutreiben.«

Die Verhaftung von Personen, die vom Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gesucht werden, wirft bislang offenbar ungeklärte Fragen über die jeweilige Zuständigkeit auf. Vor allem dann, wenn unter unterschiedlichem Kommando operierende Spezialeinheiten in Operationen verwickelt sind. Köpke räumte ein, es obliege der jeweiligen Organisation zu entscheiden, »inwieweit in dieser Frage Kräfte eingesetzt werden«. Er sagte zudem: »Auf jeden Fall wird eine gegenseitige Abstimmung stattfinden.«