Motor und Elite

Weil Deutschland wieder zur Weltspitze will, werden Exzellenzuniversitäten eingerichtet. von freerk huisken

Niemand hat das Warum und Wie des sozialdemokratischen Vorhabens, Elite-Unis zu gründen, so schön auf den Begriff gebracht, wie der Umweltminister Jürgen Trittin, der nach der Verabschiedung der »Leitlinien zur Innovation« im Januar 2004 in Weimar bei Sabine Christiansen geladen war, um die Pläne des Koalitionspartners zu erläutern. Seine geradezu dreiste Begründung der Elite-Universitäten lautete folgendermaßen: Es sei ein Skandal, ermpörte sich der Minister, dass es einem japanischen Autoproduzenten gelungen sei, ein Auto mit einem Hybrid-Motor bis zur Serienreife zu entwickeln und auf den Weltmarkt zu bringen. Was ausgerechnet der Umweltminister an einem umweltschonenden und energiesparenden Motor so skandalös findet, das erläuterte er umgehend: Das Skandalöse an diesem Vorgang sei, dass es dem Japaner vor BMW, VW oder Daimler-Chrysler gelungen sei, dieses Gerät verkaufsfähig auf dem Weltmarkt zu platzieren. Und wer immer noch rätselte, was dies denn mit den Elite-Universitäten zu schaffen hat, wurde prompt aufgeklärt: Deutschland, d.h. wir, so Trittin, bräuchten Elite-Universitäten, damit sich so etwas in Zukunft nicht mehr wiederholt!

Doch warum entrüstet sich der Minister eigentlich über eine wissenschaftlich-technologische Leistung, hier exemplarisch über den Hybridmotor? Warum bricht gerade er, der doch für Umwelt und Energie zuständig ist, angesichts dieser Erfindung und Entwicklung nicht in Begeisterungsstürme aus? Warum geht er nicht davon aus, dass dieser neue Motor mit seinen feinen Eigenschaften ein Segen für die auf den Autoverkehr angewiesene und von ihm heimgesuchte Menschheit ist? Warum ist er sich so sicher, dass BMW, VW und Daimler nun keineswegs ihre Ingenieure von gleichartigen Projekten abziehen und sich bei den Herstellern die Blaupausen für den Hybridmotor abholen können?

Es steht – so offenbart der Minister – in der ganz normalen Welt der Wissenschaft und der kapitalistischen Anwendung ihrer Resultate einiges auf dem Kopf: Wenn in einem Konstruktionsbüro irgendwo auf der Welt eine bahnbrechende Erfindung gemacht und in ein neues Produkt umgesetzt wird, dann gilt die allgemeine Beachtung nicht den besonderen nützlichen Eigenschaften der Entwicklung. Für sich genommen, als neue Erkenntnis oder als neue Technologie, die z.B. Arbeit spart, Freizeit verlängert, die Umwelt schont, das Leben bequemer macht und mit deren Hilfe Hunger und Krankheit bekämpft werden können, zählt Wissenschaft in der Marktwirtschaft nichts. Die allgemeine Beachtung gilt bei neuen Entdeckungen und Erfindungen ausschließlich dem Umstand, ob sich daraus ein Geschäft machen lässt und wer es macht. Es muss sich schon ein Unternehmen finden, das nach gründlicher Kalkulation zur Auffassung gelangt, mit der neuen Technologie sei ein Gewinn zu erwirtschaften. Nur dann zählt Wissenschaft im Kapitalismus.

Deswegen jubeln die Manager von VW, BMW oder Renault, deren Ingenieure an derselben Entwicklung arbeiten, auch nicht darüber, dass eine wissenschaftliche Arbeit nun erfolgreich abgeschlossen ist. Es ist ihnen vielmehr ein Ärgernis, dass ihnen die japanischen Kollegen mit dem großen Wurf zuvorgekommen sind und nun der ausländische Konzern das Geschäft macht. An neuen Erfindungen arbeitet eben nicht eine Wissenschaftlergemeinde überall auf der Welt arbeitsteilig, tauscht sich über die jeweiligen Fortschritte aus und begutachtet gemeinschaftlich das Endprodukt. In den diversen Konstrukteursbüros wird vielmehr gegeneinander gearbeitet, weil das Endprodukt überhaupt nur etwas gilt, wenn es als Geschäfts- oder Produktionsmittel gegen den Konkurrenten zum Einsatz gebracht werden kann.

Deswegen kommt es dem jeweiligen Konzern auch nicht nur darauf an, einen zeitlichen Konkurrenzvorsprung z.B. vor der restlichen Autoindustrie zu erarbeiten. So eine Erfindung besitzt dann, wenn sie gemacht, veröffentlicht, umgesetzt worden ist und verkauft wird, keineswegs den Charakter eines Allgemeinguts, das aus den Händen des japanischen Eigners seinen Marsch um die Welt antritt und es VW und BMW nun etwas verspätet ebenfalls erlaubt, diesen feinen Motor bauen zu dürfen. Es verhält sich umgekehrt: Die Weltfirmen setzen alles daran, einen einmal geschaffenen Konkurrenzvorteil langfristig zu erhalten. In der Geschäftswelt ist es deshalb üblich, die exklusive Nutzung des lukrativen Know-how sicher zu stellen. So wie bei der Arbeit an neuem Wissen allein der Vorsprung gegenüber der Konkurrenz interessiert, so kommt es bei seiner Anwendung auf die Monopolisierung an, d.h. auf den Ausschluss der Konkurrenz von dem neuen Geschäftsmittel.

Kapitalistische Betriebe stellen sich zu immateriellen geistigen Produkten, die, wie jedes Physiklehrbuch beweist, ihrer Natur nach allgemein verfügbar sind, wie zu sachlichem Eigentum, das seine ökonomische Ratio im Ausschluss anderer von seinem Gebrauch besitzt. Was bei Fabriken und ihren Produkten hierzulande schlimmes Grundgesetz ist und entsprechende Rechtsgültigkeit besitzt, dass nämlich Güter nur bei entsprechender, profitabler Zahlung ihren Eigentümer wechseln, funktioniert bei Erfindungen nicht so ohne weiteres. Mit der Verbreitung eines geistigen Produkts wechselt es gar nicht die Hände. Mit seiner Preisgabe verbleibt es weiterhin im Besitz seines Erfinders, nur die Verfügung darüber verbreitet sich.

Gerade diese phantastische Möglichkeit ihrer unendlichen Vervielfachung, eine geradezu kommunistisch zu nennende Eigenschaft aller geistigen Produkte wird jedoch im Kapitalismus zur Störung erklärt und als Geschäftsschädigung deklariert. Weil neue Entwicklungen als Geschäftsmittel besonders dann taugen, wenn sie exklusiv eingesetzt werden können, werden Patente beantragt, Erfindungen in Tresoren verschlossen und Lizenzen zur Nutzung neuer Technologien verkauft usw. So geht jede privatkapitalistische Anwendung von neuem Wissen einher mit der Behinderung bzw. mit dem Ausschluss von seiner allgemeinen Verwendung.

Dass sich auch der grüne Minister über rosige Geschäftsaussichten japanischer Produzenten echauffiert, es ihm also nicht egal ist, von welchem Kontinent aus der neue Wundermotor seinen weltweiten Triumphzug antritt, liegt daran, dass er das Gerät weder als Umweltbeauftragter noch als Energiesparkommissar, sondern allein als deutscher Umweltbeauftragter und als deutscher Energiesparkommissar begutachtet. Deswegen entdeckt er am Hybridmotor des japanischen Herstellers nichts als ein den deutschen Firmen entgangenes Geschäft. Und das entgangene Geschäft nationaler Weltfirmen übersetzt er sich in entgangenes Wachstum der nationalen Ökonomie.

Elite-Universitäten werden also mit erhöhter Dringlichkeit zu einer nationalen Notwendigkeit erklärt, nicht etwa um einen Wissenschaftsprozess durch Bündelung aller ausgewiesenen Fachkräfte zu effektivieren, dessen Resultate dann technologisch umgesetzt dazu beitragen sollen, Menschen das Leben mindestens erträglich zu gestalten. Ziel ist es, mit wissenschaftlichen Spitzenleistungen in der Konkurrenz kapitalistischer Unternehmen auf dem Weltmarkt erfolgreich zu sein und so das nationale Wachstum zu fördern: Nicht Honda oder Mitsubishi gebühren Geschäftserfolge, sondern BMW, VW und Daimler, fordert der Umweltminister. Sie usw. müssen instand gesetzt werden, mit neuen Produkten und Technologien der Konkurrenz die Märkte, d.h. den Absatz zu bestreiten. Denn Trittin weiß: Nur die Schädigung der auswärtigen Konkurrenz sichert den hiesigen Geschäftsleuten die nötigen Gewinne. Und nur solche Behauptung in der Standortkonkurrenz gegenüber anderen nationalen Kapitalstandorten schafft jenes Wachstum, auf dem nun einmal der gesamte Staatsreichtum basiert.

Dass gerade in Zeiten weltweiter Krisen dies notwendig Misserfolge für die Konkurrenz bedeutet, ist dem Minister völlig selbstverständlich. Er nimmt nicht einmal Anstoß daran, dass er mit dieser Huldigung der Weltmarktkonkurrenz und des Erfolgs von »Made in Germany« den japanischen oder US-amerikanischen Konkurrenzunternehmen alles ökonomisch erdenklich Schlechte wünscht: Absatzprobleme, rote Zahlen oder Firmenzusammenbrüche. Hauptsache, solche Wachstumseinbußen ereignen sich anderswo! Dass er damit zugleich und sehr zwangsläufig gleichgültig gegenüber Entlassungen einkommensabhängiger Menschen ist, darf nicht verwundern, denn er kennt solche Verarmungsprozesse nicht nur als Konsequenz ökonomischer Misserfolge, sondern auch als Instrumente, mit denen das Wachstum befördert werden soll – wie etwa Hartz I–IV zu entnehmen ist.

Gerade weil heutzutage Konkurrenz auf dem Weltmarkt die Züge von Verdrängungswettbewerb annimmt, deutsche Geschäftsleute also ihren Erfolg nur auf Kosten auswärtiger Unternehmer einfahren, sie ihnen Märkte abjagen müssen, und weil Wachstum hier schon mal zu Staatsbankrotten dort führt, fühlen sich nationale Regierungen mehr denn je herausgefordert, die Exklusivität von Geschäften, die von der nationalen Ökonomie ausgehen, zu unterstützen und zu sichern. Elite-Universitäten fallen der hiesigen Regierung ein, weil offensichtlich die Weltmarktführer, die USA, mit ihnen genau dabei Siege erzielt haben. Mit der Konzentration auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse sollen die Planer der Elite-Universitäten die exklusiven Erfolge der kapitalistischen Unternehmungen auf »den Wachstumsmärkten von morgen« auch für Deutschland sichern.

Doch welche neuen naturwissenschaftlichen Entdeckungen das schaffen, ist eine nicht zu beantwortende Frage. Da lassen sich zwar Zukunftsbereiche benennen: Gentechnologie, Informatik, Nano-Technologie, Weltraumforschung, Neurowissenschaften etc. werden genannt. Aber mit der Auflistung von »Zukunftsdisziplinen« sind die besonderen Technologien noch lange nicht bekannt, die es für Weltmarkterfolge braucht. Eine Auskunft über konkrete geschäftsfördernde Produktionsmittel oder Produkte erhält man nicht. Das liegt in der Logik der Sache begründet. Denn weil über Erfolge die Konkurrenz entscheidet, stellt sich immer erst a posteriori, d.h. nach erfolgtem Konkurrenzclinch heraus, welche Technologie geschäftsfördernd ist. Das ist allemal Grund genug, die Kooperation zwischen Privatkapital und staatlichem Wissenschaftsbetrieb noch enger zu knüpfen, möglichst so eng, dass private Investitionen in Forschung und Entwicklung durch staatliches Finanzgebaren gegen ihre unprofitable Verwendung abgesichert werden.

So wenig sich nun der Geschäftserfolg kapitalistischer Unternehmen durch Anstrengungen im Bereich staatlicher Forschungsförderung sichern lässt, so sicher ist sich umgekehrt jeder Staat, dessen Reichtum auf dem Wachstum seiner Nationalökonomie gründet, dass ihm schon Mittel zur Verfügung stehen, um die weltweite Exklusivität in der profitablen Anwendung neuer Technologien, auf die seine Großbetriebe setzen, zu sichern. Dass die Blaupausen bzw. die Software mit den Konstruktionsplänen neuer Produkte oder Maschinensysteme nicht den exklusiven Zugriffsbereich eines Eigentümers verlassen, ist nämlich nichts als eine Gewaltfrage. Als »internationale Wirtschaftskriminalität« wird denn auch jeder Versuch verurteilt, in den Besitz von Erfindungen zu gelangen, die ein Unternehmen exklusiv ausbeuten möchte.

Und so stellt sich der Staat auf: Nach innen weiß er sein Gewaltmonopol unwidersprochen. Die zweite und die dritte Gewalt sorgen an dieser Front dafür, dass diese normalen kapitalistischen Monstrositäten ihren Gang gehen: Verbreitung von Wissen über Privateigentumsgrenzen hinaus wird mit – nehmen wir mal an – »Gefängnis nicht unter zwei Jahren« bestraft. Nach außen wird die Sache zwar schwieriger, aber nicht unmöglich: Wenn sich auswärtige Betriebe der »Produktpiraterie« schuldig machen oder wenn nationale Regierungen unverschämterweise mit dem Kauf eines neuen Verkehrssystems zugleich die Lizenz zu ihrem Nachbau erwerben möchten, dann lässt sich so etwas schon unterbinden, wenn ein Nationalstaat nur über genügend »Einfluss« auf fremde Staatsmächte verfügt.

Wie ein solcher Einfluss geltend gemacht wird, ist kein Rätsel, wenn man in Rechnung stellt, dass alle konkurrierenden Staaten von dem gleichen Interesse an Wachstumserfolgen auf dem Weltmarkt getrieben werden. Die »Überzeugungsarbeit«, die da geleistet wird, ist folglich nichts als eine Sache des »Kräfteverhältnisses«. Wer sich wessen Erpressung mit diplomatischen, politischen, ökonomischen oder militärischen Sanktionen beugen muss, entscheidet sich allein an der Verfügung über Sanktionsmittel aller Art. Dass die jeweilige Sanktionsgewalt letztlich wieder nur eine Frage der nationalen Wachstumserfolge ist, verweist nur auf den ewig gleichen Zirkel des imperialistischen Weltmarktgetriebes, auf dem Wachstumsgewinne immer zugleich Zweck und Mittel kapitalistischer Nationalstaaten sind.

Damit sind also die Zwecke der geplanten Elite-Universitäten nebst ihren notwendigen außenpolitischen »Begleitumständen« benannt. Deutschlands politische Führung ist nicht getrieben von der Sorge, es würde an nationaler Elite fehlen oder zunehmender Andrang an den Hochschulen würde – wie Altkanzler Helmut Schmidt nicht müde wird zu betonen – die nationale Elite nivellieren. Auch die »Förderung der Hochbegabten« weiß sie im Schul- und Wissenschaftsbetrieb gesichert. Immerhin ist mit der Pisa-Studie belegt, dass und wie scharfe Selektionsprozesse regelmäßig »Hochbegabte« herstellen und dabei zugleich 25 Prozent des Nachwuchses zu »funktionalen Analphabeten« machen. Und seit langem geht auch eine normale naturwissenschaftliche Universitätsforschung ihren Gang, die ihre »Praxisnähe« und »Brauchbarkeit« für vorgegebene und nie mehr in Frage gestellte ökonomische und politische Zwecke dieses Gemeinwesens durch Requirierung von »Drittmitteln« unter Beweis stellt.

Die Elite-Uni will mehr, sie will die nationale Elite aus all den naturwissenschaftlichen Disziplinen, die für die »Wachstumsmärkte von morgen« von Interesse sein können, unter sich versammeln, sie mit den Entwicklungsabteilungen der Großkapitale und mit deren Kapital koppeln, um darüber zur Elite-Nation zu werden. Das ist der Gehalt von Elite, um den es geht: »Wir brauchen Unis, die weltweit strahlen!«, hat jüngst Frau Bulmahn verkündet.

Es geht um Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, die ihren Beitrag dazu leisten sollen, dass Deutschland sich auch in Zukunft über Erfolge in der weltweiten Konkurrenz von Nationalstaaten seinen Platz in der »Welt-Elite« sichert. Man kann das Vorhaben ruhig bei seinem korrekten Namen nennen: Der Plan zur Schaffung von Elite-Universitäten ist kein Element jener gewöhnlichen, die Entwicklung des Bildungswesens immer begleitenden Reformen, sondern steht für ein besonders anspruchsvolles und höchst ungemütliches imperialistisches Vorhaben. Mit Hilfe der Elite-Universitäten möchte die deutsche Regierung wieder solche Erfolge auf dem Weltmarkt sichern, die es Deutschland erlauben, zur Elite kapitalistischer Nationalstaaten zu gehören; d.h. zu solchen Staaten, die sich von anderen nichts mehr sagen lassen müssen, die vielmehr umgekehrt mit ihrer erwirtschafteten Führungsmacht möglichst dem Rest der Welt die eigenen Anliegen zur verbindlichen Vorschrift ihres politischen Handelns machen können – wie dies die von Schröder, Fischer und Co. beneidete Weltmacht Nr.1 vormacht.

Und ein solches, der Elite unter den Staaten zustehendes Recht auf internationale Führung meint Schröder, wenn er von »unserer Pflicht zur Wahrnehmung von mehr Verantwortung in der Welt« schwadroniert.