Ein Kessel Bullen

Hubschrauber, Kessel, Vorkontrollen: Auf Antifa-Demonstrationen zeigt die Polizei gerne, wie sie das Demonstrationsrecht interpretiert. Zuletzt am vorigen Samstag in Pirna. von peter sonntag und karl hoffmann, pirna

Die Demonstrationsteilnehmer lassen keine Vorkontrollen über sich ergehen.« Leicht verärgert mustert der Polizeieinsatzleiter Uwe Kilz die Situation auf dem Vorplatz des Pirnaer Bahnhofs. Neben ihm telefoniert sein Führungsgehilfe hektisch mit der Einsatzzentrale, über ihnen dröhnt der Polizeihubschrauber. Kilz erwägt in der unübersichtlichen Lage, die Demonstration ganz zu verbieten. Den Journalisten diktiert er in die Blöcke, dass er nicht glaube, »dass die Anmelderin der Demonstration die Lage unter Kontrolle hat«.

Vor Kilz drängeln sich die knapp 1 000 TeilnehmerInnen der Demonstration im Rahmen der Kampagne »Schöner leben ohne Naziläden«, die hinter die Polizeiabsperrungen zum Ort der Auftaktkundgebung gelassen werden wollen. Die Demonstration setzt sich für die Schließung zweier örtlicher Neonaziläden, für die Stärkung linker Strukturen und die Schaffung eines alternativen Jugendzentrums in der Sächsischen Schweiz ein.

Zu der Demonstration sind Antifas aus dem ganzen Bundesgebiet und aus Tschechien angereist. Das war bei der Auftaktdemo der Kampagne, die am 25. September in Chemnitz stattfand, noch anders. Damals erschienen nur 400 Antifas. Sie wurden von 200 Nazis mit Stöcken und Steinen angriffen.

Die unerwünschte Demonstration

Ähnliches befürchteten die VeranstalterInnen auch für den Aufzug am vergangenen Samstag. Zuvor war es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Anmelderin Kerstin Köditz, einer Abgeordneten der PDS im sächsischen Landtag, auf der einen und dem Pirnaer Oberbürgermeister, Markus Ulbig (CDU), sowie dem Landrat Michael Geisler (CDU) auf der anderen Seite gekommen. Ulbig erklärte in einer Stellungnahme, dass es Pirna nicht helfe, »wenn gewaltbereite radikale Linke aus Berlin, Köln und anderen Teilen Deutschlands für einen Nachmittag auf eine Art und Weise durch unsere Stadt ziehen, die die Pirnaer Bürger nicht weniger verängstigt als die Aktivitäten der Rechtsextremen«. Zudem fürchtete er um die Existenz von EinzelhändlerInnen, da am gleichen Tag der Weihnachtsmarkt in Pirna beginnen sollte.

Der Landrat Geisler bat Köditz in einem Brief sogar, ihre Anmeldung zurückzuziehen und »die Durchführung dieser Versammlung zu unterbinden«. Er sei besorgt, dass Köditz »nicht in der Lage sein werde, diese Versammlungsteilnehmer zur Achtung versammlungsrechtlicher Ge- und Verbote anzuhalten«.

Derselbe Landrat Michael Geisler nennt gerne mal die Kameraden der inzwischen verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) einfach »die Jungs«. Drei Tage vor der Demonstration lud er zu einer Podiumsveranstaltung unter dem Motto ein: »Den Extremisten im Landkreis Sächsische Schweiz keine Chance«. Die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden müsse im Gespräch und nicht mit Gewalt geführt werden. Die Hälfte des Publikums bestand aus Neonazis. Geisler wertete die Podiumsdiskussion als vollen Erfolg und wünscht sich für die Zukunft Wiederholungen.

Ein Beleg mehr dafür, dass es in der Region einen »rechen Konsens« gebe, der bis in die Behörden hineinreiche, meint Kerstin Köditz. Das Verhalten der Verantwortlichen im Landkreis sei ihr »völlig unverständlich«. So habe die Demoleitung zum Beispiel die Befürchtungen um den Weihnachtsmarkt berücksichtigt und von sich aus eine Änderung der Route vorgeschlagen. »Das wurde in keiner Weise gewürdigt«, sagt Köditz.

Sie verstehe nicht, warum die »Gewalt herbeigeredet« werde. Es handle sich um eine friedlich angelegte Demo. In Chemnitz seien es Neonazis gewesen, die die Antifa-Demo angegriffen hätten. »Davon redet kein Mensch.« Auch nicht davon, dass die Gewaltaufrufe für den 27. November von Neonazis ausgingen. »Die kümmern sich nicht um ihre Probleme vor Ort«, sagt Köditz und meint die Behörden, die das Problem Rechtsextremismus totschwiegen und die Schuld für Auseinandersetzungen der Antifa gäben.

Die sächsische Schweiz ist eine Hochburg der Rechtsextremen. In einzelnen Orten erzielte die NPD bei den jüngsten Landtagswahlen Ergebnisse bis 20 Prozent. Übergriffe sind an der Tagesordnung. Am vorigen Freitag wurden zum vierten Mal in einer Woche die Scheiben eines vietnamesischen Gemüsehändlers in der Neonazihochburg Königstein eingeschmissen.

Statt dass man darauf einginge, würden die InitiatorInnen der Demonstration einer »massiven Diffamierungskampagne ausgesetzt«, sagt Köditz. Zudem sei es ein Skandal, dass zwei Wochen vor der seit Monaten angemeldeten Antifa-Demo eine Gegendemonstration der Neonazis vom Landrat Geisler genehmigt worden sei, obwohl sich die Demorouten überschnitten.

Gefährliche Anfahrt

»Springerstiefel sind nicht erlaubt«, sagt Alex Rietzsch*, ein junger Antifa aus Leipzig, während er kritisch das Schuhwerk eines ihm im Zugabteil gegenübersitzenden Punks mustert. »Du wirst barfuß laufen müssen«, prophezeit er. Gemeinsam mit seinen Freunden aus Leipzig hat sich Rietzsch schon des Öfteren auf solche Touren durch den Freistaat Sachsen begeben. Routiniert wird von den jungen, dunkel gekleideten Jugendlichen zunächst das Abteil gesichert, indem mit Paketband die Scheiben abgeklebt werden. »Dann schlagen die Steine nicht durch«, erklärt Rietzsch, der wie viele einen Angriff von Neonazis auf den Zug bereits auf der Anfahrt befürchtet.

»Im August haben wir versucht, verdeckt auf das Pressefest der NPD zu gelangen, um eine Dokumentation über die knapp 7 000 anwesenden Nazis anzufertigen«, erzählt er. »Bereits am Ortseingang von Mücka haben uns drei Dorfsheriffs festgenommen. Wir sind sofort in Unterbindungsgewahrsam genommen worden und mussten das ganze Pressefest hinter Gittern verbringen.« Dass dies so einfach möglich sei, hänge mit dem besonders rigiden sächsischen Polizeigesetz zusammen. Aber immerhin habe er einen Einblick in seine Polizeiakte nehmen können, weil der Dorfpolizist sie fahrlässigerweise an den jungen Leipziger aushändigte.

Dennoch sei das Pressefest der NPD im August verheerend gewesen. »Es gab kaum Protest dagegen«, beklagt sich Rietzsch. Wie im Frühjahr, als mehrere tausend Rechtsextreme in Dresden eine Gedenkdemonstration für die Opfer des Bombenangriffs auf die Stadt fast ohne Widerspruch abhalten konnten. Rietzsch und seine Reisegruppe hoffen, dass dies im kommenden Jahr anders wird.

Gefilzt und gefilmt

Eine Gelegenheit zur Offensive bietet sich sofort nach der Ankunft in Pirna: Neonazis fotografieren aus dem Hotel Sächsischer Hof am Bahnhofsvorplatz heraus TeilnehmerInnen der Demonstration. Auch die Polizei, die den Vorplatz abgeriegelt hat, ist mit mehreren Filmteams anwesend. Vereinzelt versuchen Beamte der Hundertschaften der Bereitschaftspolizei aus Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt, Taschen- und Personenkontrollen durchzuführen. Eigentlich sollen alle TeilnehmerInnen minutiös gefilzt werden. Eine Auflage, die allerdings kollektiv verweigert wird, weshalb sich der Beginn der Demonstration verzögert.

Am Rand des stecken gebliebenen Aufzuges stehen zwei Frauen, die sich vom Rest der Demo durch einen an ihren Revers angebrachten blauen Ausweis unterscheiden. »Wir sind heute das erste Mal außerhalb Berlins eingesetzt«, erzählt Ulrike Müller. Gemeinsam mit neun anderen Mitgliedern des Arbeitskreises kritischer Juristinnen und Juristen der Berliner Humboldt-Universität (AKJ) ist sie nach Pirna gekommen, um als unabhängige Beobachterin die Demonstration zu begleiten. Eine Aufgabe, die der Arbeitskreis in Berlin schon länger erfüllt.

Zu tun gibt es sofort etwas. Die DemonstrantInnen, immer noch ungewillt, schikanöse Kontrollen über sich ergehen zu lassen, versuchen, die Polizeiketten zu durchbrechen, um auf den Kundgebungsplatz zu gelangen. Die Polizei reagiert mit Pfefferspray und Schlagstockeinsatz. Ein Fall für Ulrike Müller und ihre KollegInnen. Fleißig notieren die BeobachterInnen das Gesehene, die Verletzung von PolizeibeamtInnen durch einen Polizeiführer, der alle mit seinem Pfefferspray einnebelt, das Vorgehen der Polizei, ihr Auftreten und ihre Ausrüstung.

Insgesamt neun Hundertschaften der Bereitschaftspolizei und des Bundesgrenzschutzes sind zusätzlich nach Pirna geschickt worden. Zwar kann nach den anfänglichen Verzögerungen und der Drohung, nur eine Kundgebung zu genehmigen, die Demonstration doch stattfinden; aber nur auf einem Viertel der ursprünglich geplanten Route. Ganze 600 Meter weit kommt der Aufzug, einmal um den Block und direkt zurück zum Bahnhof.

Während dieses kurzen Weges schirmt ein enges Polizeispalier die DemonstratInnen von den BürgerInnen der Stadt ab. Trotzdem herrscht gute Stimmung: die erste Demonstration, die rückwarts läuft. Verzögerungen werden nicht geduldet. Offensichtlich hat die Polizei ein starkes Interesse, die Demonstration so schnell wie möglich wieder loszuwerden.

Die unzulässige Verkürzung des Demonstrationsweges monieren auch die DemobeobachterInnen in ihrer Bilanz: »Angesichts der massiven Beschränkung der Demonstrationsroute steht das – ansonsten angemessene – polizeiliche Verhalten in einem schlechtem Licht«, schreibt der Arbeitskreis in seiner Nachbetrachtung. Wegen der schlecht vorbereiteten Vorkontrollen habe sich die Polizei zudem dem Verdacht ausgesetzt, »die Verkürzung der Demostrecke provoziert zu haben«, betont die Sprecherin des Arbeitskreises, Stefanie Richter.

Bemängelt wird außerdem, dass vor der Demonstration von Medien und örtlichen Behörden ein Krawallszenario beschworen wurde, hinter dem das eigentliche Anliegen der Demonstration völlig zurückgetreten sei. Den TeilnehmerInnen des antifaschistischen Aufzuges bescheinigen die BeobachterInnen – »von einem Ausbruchsversuch abgesehen« – ein friedliches Verhalten.

Weniger positiv fällt die Analyse des Polizeieinsatzes aus. Durch die Bildung eines so genannten Wanderkessels sei es für Außenstehende nicht möglich gewesen, an der Demonstration teilzunehmen. Wahllos und ohne ersichtlichen Grund seien Videoaufnahmen angefertigt wurden. »In einem Fall wurde das Fotografieren durch Mitarbeiter des Ordnungsamtes beobachtet, was einen klaren Verstoß gegen Paragraf 12a und Paragraf 19a des Versammlungsgesetzes darstellt.«

Einige Einheiten der so genannten Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten hätten dunkle Stoffbezüge getragen, wodurch eine Identifikation nicht möglich gewesen sei, kritisiert der Arbeitskreis weiter. Als positiv bewerten die kritischen JuristInnen hingegen das Verhalten der Polizei, schweres Gerät wie Wasserwerfer und Räumpanzer nicht in Sichtweite des Aufzuges aufgestellt zu haben.

Für Ulrike Müller stellte die antifaschistische Demonstration in Pirna eine Neudefinition des Artikel 8 des Grundgesetztes dar, der die Versammlungsfreiheit regelt. »Jeder und jede hat das Recht im Kessel durch die Stadt zu demonstrieren«, scherzt sie nach der Veranstaltung auf dem Weg zurück zum Bahnhof. Nebenan freut sich derweil die örtliche Antifa Afa 13. »Es war geil, dass ihr alle da wart«, bedankt sich ein Organisator vom Lautsprecherwagen. Neonazis waren während des Aufzuges nur selten zu sehen.

Zur gleichzeitig angemeldeten Kundgebung der Rechtsextremen unter Beteiligung des aus der Gegend stammenden NPD-Landtagsabgeordneten Uwe Leichsenring sind anfänglich nur 20 Neonazis erschienen. 500 hatten die rechten Veranstalter angekündigt. Allerdings waren mehrere größere Gruppen von Rechtsextremen in der Stadt unterwegs. Militante Angriffe von Neonazis aus dem Umfeld der ehemaligen SSS blieben ebenfalls aus. Nur zweimal auf der Rückfahrt der TeilnehmerInnen nach Dresden versuchten Neonazis, maskiert mit Bart-Simpson-Masken, den Zug anzugreifen. Beide Angriffe scheiterten jedoch an der Gegenwehr der Antifas. Dem BGS gelang es, die Neonazis nach dem Angriff festzunehmen.

Taktik und Gegentaktik

Nils Zimmermann, ein Sprecher der Berliner Gruppe Kritik und Praxis (KP), meint, ein großes Problem bestehe darin, dass die Schuld an Gewalttätigkeiten immer öfter den Antifas und nicht den Neonazis angelastet werde. In den Versuchen, Antifa-Demos zu verbieten, wie jetzt in Pirna, oder zu verhindern, wie in Halbe, könne eine neue Qualität in der versuchten Einschränkung des Demonstrationsrechts gesehen werden.

Hendrik Baer von der Berliner Gruppe »Für eine linke Strömung« (Fels) hält es dagegen für »Kaffeesatzleserei«, nach jeder Demo eine neue Entwicklung in der Polizeitaktik sehen zu wollen. Man müsse zwischen »subjektiven Wahrnehmungen« und »objektiven Änderungen« in der Rechtslage oder dem Vorgehen der Polizei unterscheiden. »Sicherlich hat die Polizei ihre Formen unseren angepasst«, sagt Baer, »aber es gibt immer Lücken, in die man stoßen kann. Das haben Leipzig und Potsdam gezeigt.«

In beiden Städten ist es vor kurzem gelungen, Aufmärsche von Neonazis zu behindern. Es gebe jedoch kein durchweg erfolgreiches Konzept, meint Baer. Es sei auch keine Frage der Planung, sondern eher Zufall, ob diese Lücken vorhanden seien und auch gesehen und genutzt würden. »Mal ist eine große antifaschistische Demo mit vielen Köpfen zum Zählen für die Öffentlichkeitswirkung besser, mal funktioniert ein dezentrales Kleingruppenkonzept.«

Aus der Vergangenheit kenne er das »Herumfahren auf Nebenstrecken«, um in eine hermetisch abgeriegelte Stadt hineinzukommen. Auf der anderen Seite erinnert er an die Antifa-Demo in Saalfeld im Jahr 1998. Antifas versuchten damals, während der Anfahrt eine Autobahnkontrolle zu durchbrechen. Daraufhin wurden Einsatzkräfte mit Transporthubschraubern abgesetzt, kesselten einen großen Teil des Konvois ein und nahmen gut 100 Menschen bis zum frühen Morgen in Gewahrsam.

Die Erfahrung von Halbe am 13. November 2004 stellt für Baer etwas Neues dar. Am Treffpunkt der Busse in Berlin wurden Antifas mit Platzverweisen belegt und die Busse kurzerhand von der Polizei konfisziert. Es dauerte den halben Vormittag, auf rechtlichem Wege die Busse zurückzubekommen. In Halbe war es kaum möglich, öffentlich Protest zu äußern, da die anreisenden Antifas sofort in einen Kessel zum Bahnhof geleitet wurden.

Zu den objektiven Veränderungen gehören für Baer die Polizeitaktik am 1. Mai in Berlin, wo an jeder Ecke »Greiftrupps« standen, um aufkommende Gewalt im Keim zu ersticken, und die »Schnellgerichte«, die seit 1994 in Berlin und in den neuen Bundesländern eingesetzt werden. Erklärtes Ziel der »Schnellgerichtsverfahren« ist die Abschreckung von »TäterInnen«, da Kriminologen und Justiz davon ausgehen, dass Strafen nur dann »erzieherisch wirksam« und »abschreckend« seien, wenn die Strafe unmittelbar der Tat folgt.

Schnellgerichte kamen in Pirna nicht zum Einsatz. Sowohl KP als auch die Anmelderin Kerstin Köditz werten den Aufzug als vollen Erfolg. Wie die kritischen JuristInnen bemängelten die KP und Köditz jedoch, »dass die Demonstration nicht auf der verabredeten Route stattgefunden hat«, wie ein Sprecher der Gruppe KP, Matthias Appenzeller, sagt.

Offensichtlich frustriert von den rigiden Polizeitaktiken und dem Wanderkessel, reagierten die auf der Abreise befindlichen Antifas auf ihre Weise. In Dresden stiegen sie einfach eine Station früher als geplant aus und demonstrierten spontan in der belebten Dresdner Innenstadt. Diesmal ohne Polizei, denn die war zu überrascht, als dass sie den laufenden Antifas hätte folgen können. Es gingen etliche Scheiben zu Bruch.

* Name von der Redaktion geändert.