Proletarier des Anus
Du hast einige Jahre in Amerika gelebt und gearbeitet. Dann bist du nach Frankreich zurückgekehrt. Wie hast du das kulturelle Klima dort empfunden?
Nach meiner Rückkehr bemühte ich mich in Frankreich drei Jahre lang darum, Schlüsseltexte der Queer-Theorie, des »Afro-Feminismus« und der postkolonialen Theorie zu übersetzen. Das war extrem frustrierend. Ich könnte dir eine ganze Liste von angesehenen Verlagen geben, die diverse Übersetzungen mit der Begründung ablehnten, sie wären nicht profitabel genug. Hinter dem Argument der »kommerziellen Unverwertbarkeit« standen meiner Meinung nach politische Ängste: einerseits die Angst, sich mit der diskursiven Dominanz der Psychoanalyse anzulegen, die in Frankreich seit über 50 Jahren die Definition von Gender und Sexualität kontrolliert. Und andererseits gibt es, heute mehr denn je, eine Angst, die Türen für konkrete Identitätspolitik zu öffnen.
Es ist ziemlich lustig, dass eine Theorie, deren eigentliche Funktion es war, die normativen und naturalisierenden Effekte der Identitätspolitik zu kritisieren, in Frankreich als ein Vehikel wahrgenommen wurde, das die so genannten extremen Identitäten propagieren wollte. Gender und Sexualität sind dabei gegen Ethnie und religiöse Identität ausgewechselt worden. Diese Verschiebungen vom Juden zum Homosexuellen, vom Muslim zu Queer sind in Frankreich zurzeit sehr auffällig. Deswegen ist eigentlich noch mehr der Einfluss postkolonialer Positionen nötig als der queerer. Leider ist der französische Feminismus nicht mächtig genug, um eine Rolle in diesen Kämpfen zu spielen. Eher noch wird der Name des Feminismus von dominanten Machtdiskursen – und nicht von FeministInnen selbst – benutzt, um minoritäre Diskurse zu kontrollieren. Ein offensichtliches Beispiel dafür ist, wie oft im Namen des Feminismus gesprochen wird, um eine Diskriminierung der muslimischen Bevölkerung zu legitimieren.
Dein erstes Buch, das »Kontrasexuelle Manifest«, ist erst vor kurzem ins Deutsche übersetzt worden. In welcher Situation warst du, als du das Buch zu schreiben begonnen hast? Wie hast du die Differenz in Sachen queerer Politik zwischen Amerika, wo du lange Queer Studies unterrichtet hast, und Frankreich, in dem die Disziplin genau wie in Deutschland noch nicht lange etabliert ist, wahrgenommen?
Als ich 1998 von New York nach Paris zog, habe ich mich mit Körper-Technologien beschäftigt, die möglicherweise aus ein paar Einbahnstraßen der amerikanischen Queer-Theorie führen können. An der New School Of Social Research war ich ja selbst ein Produkt dieser mittlerweile weit fortgeschrittenen Institutionalisierung. Meine Forschung brachte mich irgendwann in die paradoxe Situation, dass ich Queer-Theorie kritisierte und sogar versuchte, über sie hinaus zu gehen – in einer Zeit, als queere Theorie in Frankreich und Spanien überhaupt nur einer kleinen Gruppe ein Begriff war. So war es ziemlich lustig, dass das »Kontrasexuelle Manifest« nach seiner Veröffentlichung als »Queer-Theorie-Buch aus Frankreich« gelabelt wurde. Dieses Missverständnis finde ich spannend, weil es die Entwicklung europäischer Queer-Theorie in Europa verändern kann, der Begriff kann hier nun anders gefüllt und genutzt werden.
Ich versuchte weiter, die Debatten zu beeinflussen, und beschäftige mich mit konkreten Organen und Objekten. Die Idee war, sowohl queere Theorie als auch zeitgenössische französische Philosophie mit den angeblich »verrückten« Organen und Objekten zu konfrontieren: der Anus und anale Praxen, rekonstruierte sexuelle Organe und natürlich der Dildo. Die Herausforderung bestand für mich darin, die konstruktivistischen Theorien der achtziger Jahre, wie die der kürzlich verstorbenen lesbischen Philosophin Monique Wittig, und kontemporäre Queer-Theorien an ihre Grenzen zu pushen. Liana Borghi, die italienische Übersetzerin meines Buches, hat meinen Ansatz »hyperbolischen Konstruktivismus« oder »Metakonstruktivismus« genannt.
Wie ist das Buch in Spanien und Frankreich rezipiert worden? Hast du das Gefühl, verstanden worden zu sein?
Am stärksten wurde mein Buch von Transsexuellen- und Transgender-Gemeinschaften, aber auch von gehandicapten Menschen und der heranwachsenden queeren Krüppel-Community in Frankreich, Spanien und Süd-Amerika willkommen geheißen. Das war eine wirkliche Freude für mich, weil ich dadurch sozusagen meine politische Community gefunden habe. Ich selbst definiere mich als Dyke, der »softe« Technologien – textuelle und Dildonics – benutzt, um zu transgendern. Ich habe auch eine prothesische Rekonstruktion meines Gesichtes hinter mir, was mich möglicherweise in die Nähe transsexueller Erfahrungen brachte. Ich war mir immer bewusst, seit der Zeit meiner Kindheit, dass mein Körper eine künstliche Konstruktion ist. Mein Gesicht, das ja angeblich »der Spiegel meiner Seele« sein soll, ist nur das Produkt einer Kiefer- und Gesichtstechnologie, die im Spanien der achtziger Jahre benutzt wurde …
In welcher Weise kann man dich in der Tradition von Queer-Theorie verstehen oder wie könnte man deine theoretische Praxis anders nennen?
Wenn ich meinen Namen wirklich unter dem Label Queer-Theorie einschreiben müsste, dann würde ich das in der Tradition von Judith Butler, Donna Haraway und Teresa De Laurentis’ Bezug zu Foucault tun. Ich versuche zu erklären, wie verschiedene Gender-Technologien operieren, um Körper-Subjekte zu produzieren. Und wie verschiedene Körper sich diesen Operationen entziehen, wie sie der Normalisierung ausweichen, sie scheitern lassen und Lücken schaffen für neue queere Subjektpositionen. Ähnliches habe ich versucht, als ich die Genealogie des Dildos erarbeitete und verschiedene prothesische Logiken kontemporärer Körper analysiert habe. Ich wollte Karten schaffen von verschiedenen Widerstandsstrategien gegen die Normalisierung des Körpers, ein Versuch, die politischen Bedingungen der »monströsen Körper« – von behaarten Dykes bis queeren, körperlich behinderten Cyborgs – im zeitgenössischen Denken zu definieren. Lieber spreche ich aber von der Dildo-Theorie, um zu beschreiben, was ich tue. Das ist einfacher und angemessener.
Am Anfang des Buches schreibst du ein Manifest für eine neue Staatsform, das genau wie die Manifeste von Marx und Engels oder Valerie Solanas einen sehr polemischen Stil anschlägt. Bei deiner Forderung nach Abschaffung des Phallus und dem Entdecken neuer Körperzonen, in dessen Zentrum die »neuen Proletarier des Anus« stehen, haben sich schon manche gefragt, wie ernst sie deine Polemik nehmen sollen.
Natürlich ist sie ernsthaft. So ernsthaft, wie eine politische Theorie überhaupt sein kann. Denkst du, dass Kants Kritik der praktischen Vernunft weniger polemisch oder weniger absurd ist? Natürlich vergleiche ich meine Praxis nicht mit der Mister Emmanuels, ich spreche von der Rhetorik. Für mich war dieses Buch ein Bedürfnis.
Eine deiner Thesen ist die radikale Einführung von vertraglichem Sex. Alles andere gilt als Vergewaltigung. Nicht nur Familien werden abgeschafft und durch verschiedene gemeinschaftliche Bündnisse ersetzt, sondern es wird sich vollends von einer Sexualität verabschiedet, die sich außervertraglich hinter dem Mythos der Spontanität und der Liebe versteckt. Wie stehst du in diesem Zusammenhang Prostitution gegenüber?
Der kontrasexuelle Vertrag war mehr von den beidseitigen Vereinbahrungen inspiriert, wie sie in den S/M-Kulturen existieren. Aber man könnte sagen, dass er sich auch auf ein Konzept bezieht, das an die – sofern sie beidseitig vorliegen – Verträge von Sex-Arbeitern erinnert. Für mich sollte die Frage von Prostitution oder auch Pornografie aus der Perspektive der Performance-Theorie beurteilt werden. Das ist etwas, was ich von Annie Sprinkle gelernt habe. Sex-Arbeiter sollten den Status anderer Kultur-Produzenten und Künstler erhalten und von ähnlichen Privilegien profitieren.
Damit markiert dein Buch einen Gegenpol zu manchen Gender-Konzeptionen, denen man des öfteren schon ihre Abstraktheit vorgeworfen hat. Ein Begriff, den du benutzt, ist »Politik der Erfahrung«.
Politik der Erfahrung bedeutet, dass eine ritualisierte Körper-Praxis deine Subjektivität modifiziert. Der Körper ist ein technopolitisches System, gemacht von Interaktionen und Brüchen, Stichen und Spalten, Ausflüssen und Objekten. Subjektivität ist das Ergebnis dieser Anordnungen.
Der Dildo ist bei dir sowohl konkret materialistisch wie auch symbolischer Natur.
Ich denke meine Theorie einfach in ihrer radikalsten Konsequenz zu Ende: Ein Penis ist einfach ein Bio-Dildo, der mit der Autorität des Natürlichen ausgestattet wurde. Von Derrida habe ich gelernt, dass Dominanz einfach die Macht ist, deinen Code als den originären zu bezeichnen und alle anderen als Fake oder ungenügende Imitation. In den letzten drei Jahren habe ich einige queere Männer getroffen, die mir nach der Lektüre des Buches erzählt haben, dass sie recht glücklich wären, ihre Schwänze als Bio-Dildos zu definieren. Und zum Phallus: Erzähl mir bitte nicht, dass du wirklich glaubst, dass es etwas gibt, das sich Phallus nennt und etwas anderes meint als den unhinterfragten Status eines Penis. Die patriarchale Gesellschaft basiert ja auch nicht, wie oft vereinfacht angenommen, auf dem Phallus, sondern auf der Zwangsenteignung der Verwandtschaft. Diese Struktur haben wir noch nicht vollkommen hinter uns gelassen.
Vor dem 18. Jahrhundert konnte ein Mann auch ohne Penis existieren, genau so wie Frauen als Frauen akzeptiert wurden, allein wegen ihrer Kapazität, Kinder zu gebären, und nicht aufgrund der Tatsache, ein Kind oder kein Kind zu haben. Die postkoloniale Kritik an der klassischen Anthropologie hat gezeigt, dass während der Sklaverei die patriarchalen Gesetze der Namensübermittlung von den Gesetzen der Reinheit der Rasse ersetzt wurden. Das heißt auch, dass das männliche Kind eines weißen Mannes und einer schwarzen Frau mit dem Namen seiner Mutter ausgestattet wurde.
Ich glaube, wir müssen deutlich präziser in der Art und Weise werden, in der wir alte Slogans wie Patriarchat oder männliche Dominanz benutzen. Der Phallus wird in der Rhetorik der Psychoanalyse als eine metaphysische Instanz angerufen, ein Ideal, das die symbolische Ordnung strukturiert und ohne das es unmöglich ist zu denken, ohne psychotisch zu werden. Ich spreche lieber vom Penis, weil er als Organ seine eigentlich biopolitische Geschichte hat, die wir verstehen und dekonstruieren müssen. Es ist eindeutig, dass die medizinischen und psychiatrischen Bemühungen der vierziger Jahre und besonders die Protokolle des Psychologen und Sexualforschers John Money die sexuelle Zuschreibung von Neugeborenen auf einer Gender-Definiton basieren ließen, die auf Form und Größe des Penis basiert. Diese Konzeption markiert einen Paradigmenwechsel in ein neues Regime der Sexualität, das ich postmoneisthisch nenne. Es wird von neuen Normen beherrscht, anders als die, welche von Michel Foucault erforscht wurden, dessen Studien sich bekanntlich mit dem achtzehnten und frühen 19. Jahrhundert beschäftigten. Für mich ist das alles Teil einer generellen Theorie der Dildonics.
Worin besteht der Ansatz der Dildonics, was fügt er den von dir kritisierten Gender-Diskursen hinzu?
Die Analysen der klassischen Queer Studies in Bezug auf Gender Performance scheinen mir inadäquat darin, präzise Sex- und Gender-Verbindungen zu analysieren. Judith Butler, immer die Möglichkeiten der Gender-Überschreitung durch eine theatrale Performance betonend, vernachlässigt den Prozess körperlicher und sexueller Transformation, welche bei Transgender- und Transsexuellen-Körpern stattfindet. Genau so negiert sie die Standard-Techniken der Sex- und Gender-Stabilisierung, die heterosexuelle Körper organisieren. Was transsexuelle und transgenderte Communities auf den akademischen Tagesplan setzen, sind keine gendercrossenden Performances »auf der Bühne«, sondern physische, sexuelle, soziale und politische Transformationen »abseits der Bühne«, in anderen Worten, präzise Technologien von Trans-Körpern: Klits, die Penisse werden, mutierende Körper unter den Regeln von Hormon-Dosierungen, unfruchtbare Uterusse, Stimmen, die ihren Klang verändern, unerwartete Gesichts- oder Körperbehaarung, Dildos, die Orgasmen haben, rekonstruierte Vaginas, die keine Penisse begehren, Prothesen, die man einmal am Tag kochen muss, um sie sauber zu halten, und die in einer Mikrowelle zerschmelzen würden … Dildo ist ein Begriff, um diese biopolitische Produktion des Körpers als soziale Prothese zu fassen.
Die Dildo-Theorie nimmt die Herausforderung an, diese Sexualisierten und gegenderten Körper nicht nur anzuerkennen, sondern auch zu studieren. Sie ignoriert aber auch nicht die sozialen und psychologischen Konstruktionen von Gender, stattdessen bezieht sie sie als Körper-Mechanismen, Strategien und Taktiken eines größeren, technologischen Systems ein. Es ist nötig, Verbindungen zwischen der Analyse sexueller Apparate und Erfindungen – die bisher als marginale Anekdoten in der Geschichte moderner Technologien behandelt werden – und der soziopolitischen Analyse des Sex-Gender-Systems herzustellen. Deswegen beschäftige ich mich in meinem Buch besonders mit dem Studium sexueller Instrumente und Apparate und den Körper-Maschinen-Beziehungen von Sex und Gender, welche von diesen Apparaten ausgeschlossen werden.
Würde dein Ansatz nicht letztlich eine vollkommen neue Geschichte der Sexualität bedeuten?
Definitiv. Wenn wir Sexualität in dem weiteren Feld der Geschichte der Technologien wirklich konsequent überdenken wollten, würde dies von einer Geschichte gefertigter Objekte (z.B. aus Gummi und Seide, Motorräder und Autos) bis zu einer Geschichte der Urbanität (Parks, Distrikte, öffentliche Straßen, Stadtstrukturen) reichen. S/M und Fetischismus müssten darin nicht weiterhin als eine marginale Perversion im Verhältnis zur dominanten Sexualität, sondern als ein essenzielles Merkmal moderner Beziehungen zwischen Körper und mechanisch produzierten Objekten verstanden werden. Dies würde bedeuten, dass wir uns von der Sexualitätsstudie innerhalb der Geschichte natürlicher Reproduktion der Spezies zu der technologischen Geschichte der Produktion menschlicher Körper als heterosexuelle Körper bewegen.
Was ich die Logik des Dildos nenne, ist, zusammengefasst, seine Fähigkeit, Gender und Sexualität zu denaturalisieren. Während der traditionelle Feminismus den Dildo als eine symbolische Repräsentation maskuliner, dominanter Sexualität in der lesbischen Praxis kritisiert, erforsche ich ihn als dekontextualisiertes Zitat eines sexuellen Signifikanten, der kommt, um sich über sexuelle Konventionen tot zu lachen. In anderen Worten: Dildo ist Camp-Sex. Der Dildo ist ein ironisches Zitat des Penis und dabei in der paradoxen Situation, sich auf ein Organ zu beziehen und gleichzeitig den natürlichen und autoritären Charakter eben dieses Organs zu negieren. Und der Dildo ist ein synthetisches Element, das sexuelle Praktiken politisiert: Er erinnert uns daran, dass Sexualität Performanz ist, dass der physische, so genannte Körper auch ein Produkt einer synthetischen, biopolitischen Technologie ist, dass unser Gender (genau wie der Dildo) eine prothesische Verbindung ist.
interview/übersetzung: tim stüttgen