Pseudo-Replay

Staatskrise in der Ukraine von wladimir n. popow

Die mediale Inszenierung des Machtkampfs in der Ukraine erinnert an ein Replay von 1989: einerseits demokratische »Revolutionäre« mit breiter Unterstützung in der Bevölkerung, die auf die Segnungen des freien Westens warten, andererseits mit dem autokratischen Putin verbündete bürokratische Betonköpfe. Aber wie immer trügt der Schein. Der amtierende Regierungschef Janukowitsch etwa, der die Wahlergebnissen manipuliert hat und in westlichen Medien als Lakai Putins beschrieben wird, hat zugunsten der USA 1 600 ukrainische Soldaten in den Irak geschickt.

Sein Rivale Juschtschenko wiederum, der sich als lupenreiner Demokrat verkaufen will, surft auf der Welle der Korruptions- und Wahlfälschungsvorwürfe gegen den scheidenden Präsidenten Kutschma, der im Jahr 2000 in eine undurchsichtige Affäre um die Ermordung eines regimekritischen Journalisten verwickelt war. Dumm nur, dass Juschtschenko in dieser Zeit als Premier selbst »im Zentrum« dieser Operation stand, wie das Internetmagazin Slate schrieb.

Seine Hauptverbündete Julia Timoschenko, die sich mittlerweile als Premierministerin in spe ins Gespräch bringt, »um möglichst schnell Ordnung in der Ukraine zu schaffen«, wie sie sagt, gehört zu den mächtigen Oligarchen aus dem kleinen Kreis früherer KP-Mitglieder und Industriemanager, die sich in der korrupten Privatisierung der Staatsindustrie nach der Unabhängigkeit der Ukraine in Folge des Kollapses der SU 1991 gesund gestoßen haben.

In Wirklichkeit spiegelt die Staatskrise somit eine erbitterte Auseinandersetzung im ukrainischen Establishment wieder. »Beide Seiten sind ziemlich reaktionär«, meint der russische Linke Boris Kagarlitsky.

Mit der Mobilisierung ihrer Basis und der Forderung nach einem sofortigen Rücktritt Janukowitschs haben Juschtschenko und Timoschenko die Einsätze erhöht; die Lähmung diverser Institutionen war die unmittelbare Folge. Das Oberste Gericht hat fast eine Woche gebraucht, um eine Entscheidung über die Wahlen zu treffen, am Wochenende wurde die Einschränkung der Machtbefugnisse des Präsidenten Teil der politischen Auseinandersetzung. »Verfassungsstreit verschärft Staatskrise in der Ukraine«, meldete dpa.

Tatsächlich ist es schwer zu sehen, welch ein Kompromiss beide Seiten des spektakulären Machtkampfs und ihre jeweiligen nationalen und internationalen Verbündeten zufrieden stellen könnte. Wer erringt entscheidenden Einfluss in der Ukraine? Die EU? Die USA? Russland? Wie will die EU in diesem Rennen die Nase vorn haben, ohne zugleich der Option einer Achse Paris-Berlin-Moskau gegen die USA, die in der Frage des Irak-Kriegs debattiert wurde, einen schweren Schlag zu versetzen?

Das sind strategische Fragen, die nicht öffentlich verhandelt werden. Die Ziele der diversen internationalen Vermittler »erscheinen nicht auf klare Weise«, hieß es in der Internetausgabe von Le Monde am Montag. Es sei nicht einmal sicher, ob Juschtschenko die Vermittler zur gleichen Zeit wie Kutschma und Janukowitsch treffe.

Das charakterisiert den überaus demokratischen Charakter der Verhandlungen am »Runden Tisch« ausreichend. Hinter verschlossenen Türen soll eine neue Teilung der Macht ausgehandelt werden, über die Köpfe der mobilisierten Massen hinweg.

Die Straßenproteste gehen nunmehr in die dritte Woche. Werden sie den Rahmen eines Protests besorgter Staatsbürger sprengen und sich gegen beide rivalisierenden Teile des ukrainischen Establishments richten, somit eine revolutionäre Wendung nehmen? Das ist derzeit ebenso unwahrscheinlich wie eine schnelle und dauerhafte Beendigung der Staatskrise.