Koalition für den Abzug

Die Arbeitspartei wird Sharons Regierung beitreten. Doch sie ist mehr mit internen Machtkämpfen als mit der Erarbeitung politischer Strategien beschäftigt. von stefan vogt

Bei aller politischen Gegnerschaft nötigen die strategischen Fähigkeiten Ariel Sharons doch einen gewissen Respekt ab. Zu Beginn des Jahres 2005 hat Israel zwar keine Regierung, wohl aber einen Ministerpräsidenten. Sharon hat nicht nur seine Gegner in der eigenen Likud-Partei ausmanövriert, sondern auch die oppositionelle Arbeitspartei dazu gebracht, einer neuen großen Koalition zuzustimmen. Um Sharons Plan eines Abzugs aus dem Gazastreifen durch das Parlament zu bringen, ist die Arbeitspartei bereit, in eine Regierung einzutreten, die eine soziale Kahlschlagspolitik betreibt, welche selbst eine Margaret Thatcher vor Neid erblassen lässt.

Dass auch die bislang hartnäckigsten Gegner einer großen Koalition innerhalb der Arbeitspartei nun zu diesem Schritt bereit sind, hat sicherlich mit der Hoffnung zu tun, dass der Abzugsplan eine Dynamik entwickelt, die Sharon selbst nicht mehr bremsen können wird und die, zusammen mit dem politischen Neuanfang der Palästinenser nach dem Tod Yassir Arafats, zu einem neuen Friedensprozess führen könnte.

Diese Hoffnung ist nicht ganz unbegründet. Bereits der jetzige Plan beinhaltet die Räumung von vier Siedlungen im Norden der Westbank. Am Donnerstag der vergangenen Woche erklärte der stellvertretende Ministerpräsident und enge Vertraute von Sharon, Ehud Olmert, dass es nach dem Abzug aus Gaza auch einen umfassenden Abbau der meisten Siedlungen in der Westbank geben wird. Vor allem der harte Widerstand der Siedlerorganisationen und der politischen Rechten gegen den Abzug zeigt, dass es sich dabei um eine grundsätzliche Entscheidung handeln könnte.

Ob es zu einer solchen Dynamik kommen wird, hängt nicht zuletzt von der Arbeitspartei ab. Wenn sie die Koalition als Mittel zum Zweck begreift, den Abzug aus Gaza durchzusetzen und einen neuen politischen Prozess zu initiieren, stünden die Chancen gar nicht so schlecht. Dafür aber muss sie sich von der Position des Mitregierens um jeden Preis trennen, die ihr Vorsitzender Shimon Peres vertritt.

Nicht die Weigerung Sharons, Peres in der neuen Regierung mit weitreichenden außen- und sicherheitspolitischen Kompetenzen auszustatten, verhinderte zunächst eine formelle Regierungsbildung. In dieser Frage gab Peres nach. Als viel problematischer erwies sich sein Bestehen auf dem Titel eines »zweiten stellvertretenden Ministerpräsidenten«, der bislang in der israelischen Verfassung nicht vorgesehen ist. Erst nach langer Weigerung gab Peres sich mit dem Titel des »Vizepremiers« zufrieden.

Peres ist weiterhin die bestimmende Person in der Arbeitspartei. Doch hier scheint gerade durch die bevorstehende Regierungsbeteiligung einiges in Bewegung zu geraten. Am 23. Dezember wählte das Zentralkomitee die sieben Minister, die nach den Koalitionsvereinbarungen der Partei zustehen. Dabei erzielten zwei relativ junge Politiker, Ophir Pinez-Paz und Isaac Herzog, die meisten Stimmen. Sie haben noch vor den Kandidaten der alten Garde Anspruch auf die bedeutenderen Ministerämter.

Zumindest Pinez-Paz gehörte in den vergangenen Monaten zu den schärfsten innerparteilichen Gegnern von Peres und befürwortete stets eine besonders heftige Opposition. Er will das Innenministerium übernehmen, mit diesem Ressort hätte er Kompetenzen, mit denen er eine dezidierte Gegenposition zu Sharon formulieren könnte, etwa in den Fragen der Liberalisierung und Säkularisierung der israelischen Gesellschaft, im Verhältnis zu den arabischen Israelis, aber auch in der Schaffung von Anreizen für Siedler, die besetzten Gebiete zu verlassen. Die Politik gegenüber den Palästinensern wird jedoch weiterhin von Sharon bestimmt werden.

Peres selbst musste sich der Wahl des Zentralkomitees nicht stellen, doch im Führungskampf der Arbeitspartei ist er der eigentliche Verlierer. Von den sieben gewählten Ministern ist nur Haim Ramon ein Anhänger des Parteivorsitzenden Peres, und er erhielt das schlechteste Ergebnis. Der große Gewinner dieser Wahlen hingegen heißt Ehud Barak. Wer von den designierten Ministern nicht ohnehin ein Gefolgsmann des ehemaligen Ministerpräsidenten ist, hat mit dem Parteivorsitzenden Peres zumindest noch eine Rechnung offen.

Baraks vorläufiges Ziel sind die im kommenden Juni anstehenden Wahlen zum Parteivorsitz. Seine Konkurrenten um diesen Posten werden sich als zweitrangige Mitglieder der Regierung kaum profilieren können. Da Barak selbst kein Ministeramt übernehmen wird, läuft er nicht Gefahr, sich im Kampf mit Sharon aufzureiben.

Dass sich mit Barak die Arbeitspartei zu einer wirklichen Alternative zum Likud entwickeln könnte, ist jedoch kaum zu erwarten. Zu deutlich war das Versagen des damaligen Ministerpräsidenten, als es darum ging, den Friedensprozess zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Barak ist, ganz ähnlich wie Sharon, in erster Linie ein Opportunist der Macht. Er dürfte auch jetzt der israelischen Gesellschaft keine neuen Perspektiven eröffnen können, sondern das politische Risiko scheuen und den Stimmungen in der Bevölkerung folgen.

Eine Alternative zur Likud-Politik müsste nicht nur die Möglichkeit eines Ausgleichs mit den Palästinensern aufzeigen, sondern auch zumindest die Absicht beinhalten, die immer schärfere soziale Deklassierung der israelischen Unterschichten zu bekämpfen. Noch immer nämlich hat der Friedensprozess bei vielen Israelis den Ruch, eine Angelegenheit der Eliten zu sein. Dies zu ändern, wäre die Aufgabe der Arbeitspartei. Wirtschafts- und sozialpolitische Kompetenzen hat sich die Partei in den Koalitionsverhandlungen freilich nicht übertragen lassen. Ihre Minister werden vor der Wahl stehen, den Etat für 2005 mit seinen weitreichenden Sozialkürzungen mitzutragen oder darüber die Regierung zu Fall zu bringen, damit aber unter Umständen auch den Rückzug aus Gaza zu gefährden.

Nur wenn der Friedensprozess mit der Verbesserung der Lebensverhältnisse für Israelis und Palästinenser verknüpft werden kann, hat er Chancen, eine dauerhafte Mehrheit in beiden Gesellschaften zu gewinnen. Nur so könnte den religiösen und fundamentalistischen Kräften eine emanzipatorische Alternative entgegengesetzt werden. Von der Arbeitspartei allein ist eine solche Perspektive in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Doch ohne sie wird auch eine noch so starke soziale Bewegung nicht viel ausrichten können.