Scheitern als Schanze

Im Hamburger Schanzenpark soll ein Nobelhotel entstehen. Dagegen regt sich Protest. von ove sutter

Am 10. Januar 2005 war es endlich so weit. Am erhöhten Polizeiaufkommen in den Straßen konnte das sachkundige Hamburger Publikum im Schanzenviertel erkennen, dass ein lang erwartetes Ereignis unmittelbar bevorstand: der Beginn des Umbaus des Wasserturms im Schanzenpark zu einem Vier-Sterne-Hotel. Als am Morgen auf Indymedia die für den Abend geplante Protestdemonstration angekündigt wurde, wuchs die Liste der »Beiträge zum Artikel, die keine inhaltliche Ergänzung darstellen« mit rasanter Geschwindigkeit. Dort gab man schon mal die Parole des Abends aus: »Schanzenpark für Alle, sonst gibt’s Krawalle!« Oder man ärgerte sich darüber, dass die eigenen Restposten an Silvesterböllern nass geworden waren.

Tatsächlich flogen an jenem Abend nicht nur zahlreiche Überbleibsel der Silvesternacht aus der über 1 000 Teilnehmer zählenden Menge auf das Polizeispalier, sondern sogar ein echter Molotowcocktail. Dieser landete zwar irgendwo in der Nähe der Demonstranten und wurde später sogar, wenn auch zu Unrecht, als brennende Plastikflasche verunglimpft, er versetzte jedoch alle Beteiligten in Erstaunen. »Das war der erste Molotowcocktail in Hamburg seit über zehn Jahren«, erklärte Peter Haß später die allgemeine Aufregung. Der 56jährige ist Mitglied des Aktionsbündnisses, das sich gegen den Umbau des Wasserturms wendet. Er zählt sich selber zum autonomen Spektrum und war bereits vor 20 Jahren in der »Wasserturm-Ini«.

Objekt der Begierden

Die Geschichte des größten Wasserturms Europas währt mittlerweile beinahe 100 Jahre. 1910 wurde er in Betrieb genommen, doch die Weiterentwicklung der Wasserversorgungstechniken führte bereits 1961 zu seiner endgültigen Stilllegung. Seitdem ist das Gebäude ein Objekt unterschiedlichster Begierden. So gab es öffentliche Nutzungsvorschläge – zum Beispiel als Großaquarium mit Flugraum für Meeresvögel – wie auch Interessen privater Investoren, gegen die nicht zuletzt die Grün-Alternative Liste (GAL) in den achtziger Jahren mit der Initiative »Rettet den Schanzenpark« protestierte.

1989 ging das Gebäude in den Besitz des Ehepaars Storr über, das sich verpflichtete, auf Dauer eine 50prozentige Nutzung des Gebäudes für öffentliche Zwecke zu ermöglichen. Im Jahr 2000 war es ausgerechnet die GAL, die im zuständigen Ausschuss den Antrag auf den Umbau des Wasserturms zu einem Hotel einreichte. Er wurde angenommen, nachdem bereits 1996 die Verpflichtung der Investoren, die Hälfte des Wasserturms für öffentliche Zwecke bereitzustellen, in eine Zahlung von zwei Millionen Mark an soziale Projekte umgewandelt worden war.

Im Jahr 2003 wurde von der Augsburger Patrizia Projektentwicklung GmbH im Joint Venture mit Storr das Konzept entwickelt, den Turm zum Hotel umzubauen; nach der aktuellen Planung soll er ab 2006 von Mövenpick in Betrieb genommen werden.

Der Protest

Gegen diese Pläne entwickelte sich bereits im Sommer des vergangenen Jahres Widerstand, wobei Peter Haß die Proteste »allgemeiner gegen die Privatisierung öffentlicher Räume« verstanden wissen will. »Man muss den Umbau des Wasserturms in ein Hotel mit direktem Messeanschluss im Zusammenhang mit der allgemeinen Innenstadtausdehnung sehen.« Hamburgs Innenstadt erweitert sich zum einen mit dem Projekt »Hafencity«, in dem ein ganzer Stadtteil im Hafengebiet aus dem Boden gestampft werden soll, in südliche Richtung. Zum anderen wird mit dem Ausbau des Messegeländes, das sich in unmittelbarer Nähe zum Schanzenviertel befindet, eine Ausdehnung in westliche Richtung vollzogen. Deshalb befürchtet Peter Haß, der Teilhaber eines linken Buchladenkollektivs im Schanzenviertel ist, die Ansiedelung von noch mehr Edelboutiquen und höhere Mieten.

Seit dem Baubeginn versammeln sich jeden Tag zu später Stunde Demonstranten am S-Bahnhof Sternschanze, um von dort zum abgesperrten Terrain zu ziehen. Am Mittwoch voriger Woche tummeln sich zum verabredeten Termin nur 50 Hotelgegner vor dem Bahnhof, weit weniger als anwesende Polizisten. Eine halbe Stunde später hat sich die Teilnehmerzahl jedoch verdoppelt, und so macht man sich gemeinsam auf in den nahe gelegenen Schanzenpark.

»Das sieht ja aus wie beim Castor«, ruft einer der jüngeren Teilnehmer des Protestes beim Betreten des Parks und erhält allgemeine Zustimmung. Tatsächlich beeindruckt das Szenario. Die von großen Flutlichtscheinwerfern wie ein Fußballfeld erleuchtete Rasenfläche wölbt sich in der Mitte zu einem Hügel, auf dem die Umrisse des mächtigen Backsteinkolosses in den dunklen Himmel ragen. Der Wasserturm ist durch einen zwei Meter hohen Bauzaun abgesperrt, der widerum von gepanzerten Polizisten gesichert wird.

Trotzdem lassen sich die Demonstranten von der Kulisse nicht einschüchtern und stürmen mit Böllern, Fußbällen und Bierdosen bewaffnet den Hügel hinauf. Von irgendwoher erklingt Goa-Musik, eine Gruppe älterer Hippies packt ihre Bongos und Kuhglocken aus, andere jonglieren mit brennenden Fackeln. In der Luft liegt der Geruch von frisch verbranntem Gras. Unter anderen klimatischen Bedingungen brächte die Veranstaltung alle Voraussetzungen für einen angenehm betüdelten Tagesausklang mit sich.

Genau das ist auch der Grund, warum nicht wenige der Anwesenden sich selbst bei dem schlechten Wetter auf einen längeren Aufenthalt einstellen. »Das chillige Leben im Sommer, das Grillen, Trommeln und die Feuershows wird es hier einfach nicht mehr geben«, erklärt ein junger Teilnehmer mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze seinen Protest. »Die vom Hotel werden bestimmt einen Security-Dienst haben, der dann bei jedem Scheiß die Bullen ruft.« Auf die Frage, wie der Wasserturm denn sonst genutzt werden könnte, sagt er spontan: »Man müsste den Turm besetzen und so etwas wie die Rote Flora Zwei bauen. Dann wäre er ein öffentlicher Raum, so dass die Leute, die den Park nutzen, auch was im Turm machen.«

Die nur einige 100 Meter entfernt liegende Rote Flora ist der verabredete Treffpunkt für die Fahrradaktion am nächsten Tag unter dem Motto: »Critical mass«. Es liegt wohl nicht zuletzt am Nieselregen, dass die Aktion nur knapp 20 Radler anzieht. Auf dem Balkon der Roten Flora ist neben regendurchtränkten Transparenten auch eine Pappmaché-Nachbildung des Wasserturms als Rakete zu erkennen, die gerade im Begriff ist, der tristen Szenerie mit Feuerschub ins All zu entfliehen. Die andere Seite des Schulterblatts, der Hauptverkehrsstraße und Flaniermeile des Schanzenviertels, wird von mehreren Mannschaftswagen der Polizei abgeschirmt, auf dem dahinter liegenden Platz vermisst ein so genannter Ökowochenmarkt seine Kundschaft. Auf der Flora-Seite des Schulterblatts heißt das Areal Achidi-John-Platz, auf der gegenüberliegenden Seite der portugiesischen Cafés, wo bei Sonnenschein die Viertelbewohner ihren Milchkaffee schlürfen, nennt man es »Piazza«. Das ist der Hintergrund, vor dem sich der Konflikt um den Wasserturm abspielt.

Die Schanze

Als die links-alternative Szene in den achtziger Jahren das innenstadtnahe Schanzenviertel für sich entdeckte, setzte ein Umstrukturierungsprozess ein, der starke Veränderungen für den Stadtteil und seine Bewohner mit sich brachte. War das Viertel bis dahin vor allem proletarisch und kleinbürgerlich geprägt, so verschwanden mit der Zeit immer mehr Fabriken und mit ihnen auch die Arbeiter. Stattdessen zogen viele Studenten in die Schanze, es entstanden linke Projekte, und es wurden vom Abriss bedrohte Häuser besetzt. Aus den Bedürfnissen und der Infrastruktur der linken Szene wuchsen diverse Kneipen, Cafés und Geschäfte.

1988 scheiterte der Versuch, ein 30 Millionen Mark kostendes Musical-Projekt in einem alten Filmtheater gegen den Willen der ansässigen Bevölkerung durchzusetzen. Im Zuge der Proteste wurde das Gebäude besetzt und zum autonomen Stadtteilzentrum Rote Flora umgewandelt, das seinen Status bis heute erhalten konnte.

Aus der Erfahrung dieses Konflikts entstand 1990 die Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg mbH (Steg), die als treuhänderischer Sanierungsträger der Hansestadt fungierte und fortan mit »integrativen Konzepten« möglichen Konflikten während der Umstrukturierung entgegenwirken sollte.

In den Hinterhöfen und ehemaligen Fabrikgebäuden des Schanzenviertels fanden Anfang der neunziger Jahre Inhaber von Grafikbetrieben und Werbeagenturen attraktive und preiswerte Gewerbeflächen, mit dem Hype um die New Economy kamen noch etliche Internetfirmen dazu. Das Schanzenviertel ist heute einer der hippsten und sicherlich auch teuersten Stadtteile Hamburgs. Die GAL hat hier eine Wählerhochburg, und die teilweise alternativ geprägte Bevölkerung ist auf unterschiedliche Weise in Stadtteilprojekte verwickelt. Zudem ist das Viertel im Vergleich zu anderen Stadtgebieten mit einem dichten Netz von Sozial- und Selbsthilfeeinrichtungen überzogen.

Der Sportverein SC Sternschanze mit seinen Fußballfeldern direkt neben dem Schanzenpark ist eine dieser Einrichtungen. Er gehört zu den glücklichen zehn Projekten, auf die für den Wegfall der öffentlichen Nutzung des Wasserturms insgesamt eine Million Euro an Ausgleichszahlungen verteilt werden soll. »Der Sportverein betreibt im ›Kooperationsverband Schanzenviertel – Für eine stadtteilorientierte Familienpolitik‹ unter anderem durch die Integration verhaltensauffällliger Jugendlicher Sozialarbeit im Viertel«, erzählt der Vorstandsvorsitzende des Vereins, Uwe Wetzner. Er ist mit 47 Jahren der älteste im Vorstand des »typischen Stadtteilvereins, auch wenn sich diese Formulierung etwas abgegrabbelt anhört«.

Finanziert wird der Verein unter anderem von der Initiative »Mieter helfen Mietern«, die vierte Herrenfußballmannschaft wird unterstützt von der Szenekneipe »Mutter«. »Das liegt aber wohl vor allem daran, dass die Spieler zum großen Teil sehr lange und häufig in der Kneipe konsumieren«, meint Wetzner. Die zu erwartende Summe von immerhin 350 000 Euro will man unter anderem für die Errichtung eines Kleinspielfeldes im Schanzenpark verwenden. Da der Platz von einem hohen Gitterzaun umgeben sein soll, wurde die Initiative auf den Slogan »Dem Kick im Käfig eine Zukunft« getauft.

Der ideale Schanzenbewohner trinkt also in der Mittagspause seinen Galao auf der Piazza, geht abends in die Szenekneipe »Mutter«, feuert am Wochenende die eigenen Kinder im Sportverein SC Sternschanze beim Fußballspiel an und freut sich ansonsten auf das alljährlich von der Roten Flora initiierte Schanzenfest. Denn auch das eigentlich aus dem Rahmen fallende linksradikale Projekt hat seinen Platz in der Schanze gefunden. »Die Flora ist mit ihrem morbiden Charme sogar zu einem Image-Faktor für das Viertel geworden«, verteidigte ausgerechnet ein Vertreter der Handelskammer nach den Krawallen in der Nacht zum 1. Mai 2000 das autonome Zentrum. (Jungle World, 39/01)

Touris statt Junkies

Der Schanzenpark wird von vielen jedoch nicht nur als oasenhafte Idylle betrachtet, in der man bei selbst gegrilltem Soja-Steak und dem einen oder anderen Joint die wenigen Sonnenstrahlen des Jahres genießen kann. Gülsum Gül, die Besitzerin des Imbisses Sari Tavuk am Sternschanzenbahnhof, geht täglich durch den Park, um von ihrer Wohnung zum Arbeitsplatz zu gelangen. Zwar findet sie es bedauernswert, dass der Park aller Wahrscheinlichkeit nach in seinen Nutzungsmöglichkeiten eingeschränkt wird. »Man ist jetzt aber sicherer, da nicht mehr so viele Junkies unterwegs sind.«

Fragt man Spaziergänger im Park, trifft man häufig auf ähnliche Ansichten. Eine Frau, die von einem kleinen Wadenbeißer an der Hundeleine durch den Park gezerrt wird, findet zwar die Proteste gegen das Hotel im Wasserturm sympathisch. Jedoch kommt auch sie auf die »Drogenproblematik« zu sprechen. »Positiv ist, dass die ganzen Drogendealer weg sind. Ich hab nichts gegen Leute, die Drogen nehmen. Aber das war schon ein bisschen nervig.« Auch einer aus der Gruppe kroatischer Männer, die sich bereits seit über 30 Jahren jeden Tag zum Boulespielen im Schanzenpark treffen, spricht sehr bald das Thema »Neger und Drogen« an. Neben den Männern steht eine fast leere Bierkiste der Marke Holsten, darauf liegen einige entkorkte Weinflaschen.

Seit 1997, als die polizeiliche Vertreibung von Teilen der offenen Drogenszene vom Hauptbahnhof ins Schanzenviertel begann, hat sich im Stadtteil bis hinein ins alternative Milieu die Stimmung verändert. Bürgerinitiativen initiierten Protestmärsche gegen Drogenkonsum und Drogenhandel und setzten oftmals Dealer und Menschen dunkler Hautfarbe gleich. Ein Opfer dieser Drogenpolitik wurde der als Achidi John bekannt gewordene Nigerianer Michael Paul Nwabuisi. Er starb im Jahr 2001 nach der gewaltsamen Verabreichung eines Brechmittels durch die Polizei an Herzstillstand.

Jürgen Klein, der zuständige Projektleiter der Patrizia Projektentwicklung GmbH, ist ebenfalls der Ansicht, dass der Park von der Bevölkerung für die Naherholung erst entdeckt worden sei, seit die »Hamburger politische Linie als Ergebnis der Bürgerschaftswahlen« das Dealen im Park nicht mehr dulde. Die Bedenken der Hotelgegner, was die zukünftigen Nutzungsmöglichkeiten des Parks betrifft, teilt der Projektleiter nicht. »Sie können ihrem Nachbarn im Garten das Grillen nicht verbieten, und aus diesem Grund endet auch die Macht des Hotelbetreibers an dessen Grundstücksgrenze.«

Aus Kleins Perspektive ist das Hotel »ein weiteres Stück Farbe, eine weitere Facette. Es bringt Leute aus aller Herren Länder in den Stadtteil, die auch im Schanzenviertel ein Stück Deutschland sehen.« Seine Bewertung des Protests fällt eher negativ aus: »Zum Hotel zu sagen ›Haut ab, wir wollen euch nicht!‹, ist mir gerade auch für das Schanzenviertel zu wenig Multikulti.« Im Vier-Sterne-Hotel dürfte für die ethnische Minderheit der Gäste bestens gesorgt sein.