Schluck und stirb!

Glaubt man der Polizei, hat die Brechmittelvergabe nichts mit Rassismus zu tun und rettet Leben. Nach dem Tod Laya-Alama Condes in Bremen wird in mehreren Ländern über diese »Ermittlungsmethode« diskutiert. von jan süselbeck

Hier wird jeder Drogendealer untersucht, der Rauschgiftpäckchen verschluckt hat, egal ob er schwarz, grün, weiß oder blau ist«, erklärt Horst Göbel, der Bremer Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), der Jungle World.

Am 7. Januar starb Laya-Alama Conde aus Sierra Leone, nachdem man ihm zwangsweise ein Vomitivum und mehrere Liter Wasser in den Magen gepumpt hatte. Zwar liegt das endgültige Obduktionsergebnis noch nicht vor. Doch die Debatte um die Verhältnismäßigkeit dieser drastischen »Ermittlungsmethode«, nach deren Anwendung zum zweiten Mal ein Schwarzer ohne deutschen Pass starb, ist wieder in Gang gekommen. Die Bremer SPD fordert die Einstellung der Brechmitteleinsätze und den Rücktritt des Innensenators Thomas Röwekamp (CDU), falls er an der Methode festhält.

»Wir haben hier jetzt Anweisung erhalten, vorerst kein Brechmittel mehr zu verabreichen, sondern zur Beweisführung den natürlichen Gang der Dinge abzuwarten«, sagt Göbel. Er spielt damit auf den Verdauungsvorgang an, der verschluckte Gegenstände nach spätestens 72 Stunden wieder ans Tageslicht bringt – ganz ohne Brechmittel und lebensgefährliche Magensonden.

Von den nicht nur in der lokalen »Africa Community« nach dem Tod Condes erhobenen Rassismusvorwürfen gegen die Bremer Polizei, wie sie etwa die taz zitierte, möchte Göbel nichts wissen. »Es ist nun einmal so, dass ein Großteil der Menschen, die auf den Straßen in dieser Form mit Drogen dealen, hier Schwarzafrikaner sind.« Der Verdacht, es gebe bei den Bremer Ermittlern die Tendenz, vor allem Schwarze den gefährlichen Brechmitteleinsätzen zu unterziehen, entbehre »jeder Grundlage«.

Auch der Pressesprecher der Berliner Polizei, Bernhard Sodrowski, weist derartige Vermutungen zurück: »Untersucht wird in Berlin jeder, der Rauschgiftcontainer verschluckt hat – ohne Ansehen seines Herkommens oder seiner Nationalität.« Eine Statistik dazu gebe es allerdings nicht. »Ich kann Ihnen nur sagen, dass keine einzige Frau unter den 41 Dealern war, die hier seit März 2004 Brechmittel nehmen mussten.«

In Berlin, wo die Verdächtigen in vier von 41 von Sodrowski erwähnten Fällen gezwungen wurden, den Sirup zu schlucken, überlegt Innensenator Ehrhart Körting (SPD), ob man die Methode wegen ihrer Risiken nicht doch wieder verbieten solle. Das geschah bereits vorübergehend im Jahr 2001. Derzeit muss ein Arzt darüber entscheiden, ob das Brechmittel eingesetzt werden darf. Seit Beginn des vorigen Jahres entschieden Mediziner zehnmal dagegen. Henrike Morgenstern, die Pressesprecherin der Berliner Senatsverwaltung für Inneres, gibt an, man werde den Bremer Todesfall in Berlin genau auswerten und »in Kürze« eine Entscheidung über die weiteren Ermittlungsmethoden fällen. Im Moment sehe Körting jedoch noch keinen Anlass, die bisherige Praxis zu ändern.

Den Vorwurf der beiden Mitglieder im Innenausschuss des Bundestags, Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD) und Petra Pau (PDS), der Brechmitteleinsatz befinde sich »in gefährlicher Nähe zur Folter«, wehrt der Berliner Pressesprecher des Bundesvorstands der GdP, Rüdiger Holecek, ab. »Bedenken Sie doch bitte eines: Wenn Sie Gift schlucken, wird Ihnen auch der Magen leer gepumpt, und keiner fragt Sie, ob Sie damit einverstanden sind. Leute, die mehrere Päckchen Kokain intus haben, befinden sich in gewisser Weise ebenfalls in Lebensgefahr.« Holeceks Bremer Kollege Göbel räumt jedoch ein, dass es unter Rechtsmedizinern umstritten sei, welche Gefahren das Verschlucken von Drogenpäckchen mit sich bringe.

»Naja, das sind ja auch keine Waisenknaben, die wir da festnehmen«, sagt Holecek und fügt hinzu: »Angesichts der Alternative, dass die Polizisten in den Exkrementen der Dealer herumwühlen, möchte ich auch einmal die Frage der Würde des Polizeibeamten berücksichtigt wissen.« Deutschland sei als Handelsumschlagplatz für Drogen, Pressemeldungen zufolge, an die Weltspitze geklettert. »Die Bürger verlangen nun einmal von uns, diese Delikte beweissicher zu bekämpfen. Die Täter dealen ja jetzt sogar schon mit Haschisch in einer neuen Turboform, da fliegt Ihnen aber wirklich der Deckel weg«, sagt Holecek.

Reinhard Fallak, der Pressereferent des Hamburger Innenministeriums, erklärt, in seiner Stadt werde am Brechmitteleinsatz festgehalten. Allerdings würden die Verdächtigen nicht wie in Bremen direkt im Polizeipräsidium zum Schlucken des Ipecacuanha-Sirups gezwungen. Für die Verabreichung stünden Ärzte im »rund um die Uhr« geöffneten Institut für Rechtsmedizin bereit, sobald ein Staatsanwalt, dem der Fall vorgelegt werden müsse, zugestimmt habe. »Übrigens ist ja der einzige Hamburger Brechmitteleinsatz-Tote von 2001, der 43 Drogenkügelchen erbrach, leider an einer Herzinsuffizienz gestorben, die ihn auch bei jeder anderen Aufregung hätte ereilen können«, meint Fallak.

Sein Kollege Ingo Wolfram, Pressesprecher der Hamburger Justizbehörde, gibt an, »aufgrund der guten Erfahrungen« würden weiterhin Brechmittel verabreicht, handele es sich doch »um ein unverzichtbares Beweismittel«. »2001«, das sei ein »bedauerlicher Unglücksfall« gewesen, den niemand habe voraussehen können. Außerdem gebe es inzwischen immer weniger Brechmitteleinsätze in Hamburg, da »es sich in der Drogenszene herumgesprochen hat, wie wir vorgehen«.

»2004 gab es in Hamburg 143 polizeiliche Anträge auf Vergabe von Brechmittel, wovon die Staatsanwälte 112 erlaubten. 21mal, also in circa 20 Prozent der Fälle, gaben die Verhafteten die Mittel lieber freiwillig von sich, wodurch sich der Brechmitteleinsatz erübrigte«, sagt Wolfram. »In 91 Fällen wurde das Vomitivum verabreicht, und insgesamt wurden dabei 465 Rauschgiftcontainer, wie es in der Fachsprache heißt, sichergestellt. Nur drei Verhaftete nahmen das Brechmittel unfreiwillig unter dem so genannten unmittelbaren Zwang ein, also mit Handschellen fixiert – und davon musste nur einem einzigen Verdächtigen überhaupt eine Magensonde gelegt werden«, berichtet Wolfram weiter. »Sie sehen, dass es sich dabei um eine absolute Ausnahme handelt.« Die Brechmittelvergabe mit Folter in Verbindung zu bringen, nennt er »absurd«.

In Niedersachsen liegen die Dinge etwas anders. Seit Juni 2002 werde qua Gesetzerlass kein Brechsirup mehr verabreicht, sondern nur noch das Mittel Apomorphin injiziert, erklärt der Pressesprecher des Hannoveraner Ministeriums für Inneres und Sport, Michael Knaps. Wie oft dies geschieht, kann Knaps nicht sagen, da es in dem Bundesland mittlerweile keine Berichtspflicht für derartige Vorgänge mehr gebe. Zwischen 1996 und 2001 habe es 23 herkömmliche Brechmitteleinsätze gegeben, »ganz ohne nennenswerte Komplikationen. In 15 Fällen gab es einen so genannten ›Abgang via naturalis‹«.

Andreas Nowak, Jurist beim Bundesvorstand der GdP, wundert sich, dass »ausgerechnet in einem Law-and-Order-Staat wie Bayern der Brechmitteleinsatz nicht zulässig ist«. Hier müssen die ermittelnden Polizisten warten, bis verschluckte Gegenstände auf dem »natürlichen Wege« wieder zum Vorschein kommen. Allerdings seien »derartige Aufgaben bei unseren Kollegen nicht besonders beliebt«, sagt Nowak.