Der Panzer bringt ein Hilfspaket

Die Regierung und die Opposition sind sich einig: Die Entwicklungshilfe soll noch stärker den deutschen Interessen angepasst werden. von kamil majchrzak

Man müsse »jede Ressort-Eitelkeit zurückstellen, sonst ist die Sache schon verloren«, beschwor der Bundeskanzler kürzlich seine Kabinettsmitglieder im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe in Südostasien. Der Spiegel berichtete, Gerhard Schröder habe das Seebeben als »sehr große Chance« bewertet, die Entwicklungspolitik aus dem »defensiven Zusammenhang« herauszuholen. Das Entwicklungshilfeministerium sei so faktisch dem Auswärtigen Amt unterstellt worden, meint der Spiegel, denn: »Der langfristige und selbstlose Beistand soll nicht mehr das Hauptziel deutscher Entwicklungspolitik sein. In Zukunft soll sie sich vor allem an den strategischen Interessen und dem wirtschaftlichen Nutzen Deutschlands orientieren.« Joschka Fischer sehe die Chance, »die milliardenschwere Entwicklungshilfe für die außenpolitischen Ambitionen der Bundesregierung zu nutzen«.

Bemerkenswert ist, dass die rot-grüne Regierung diese Neugestaltung der deutschen Entwicklungspolitik offenbar gleichzeitig und in Eintracht mit der oppositionellen Union anstrebt. Am vorletzten Wochenende veröffentlichten die zuständigen Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag ein Thesenpapier unter dem Titel »Nationale Interessen definieren«, in dem sie die Entwicklung einer nationalen Strategie fordern. Es solle erforscht werden, welche Weltregionen für die äußere und innere Sicherheit eine wichtige Rolle spielen und für Deutschlands politischen und wirtschaftlichen Stellenwert von Bedeutung sind.

Die Autoren Christian Ruck (CSU), entwicklungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, und Christian Schmidt (CSU), ihr verteidigungspolitischer Sprecher, denken an Länder, die wichtig für den Zugang der deutschen Wirtschaft zu Auslandsmärkten und Rohstoffen und für die Sicherung der Energieversorgung sind. In dem Text ist von der Möglichkeit die Rede, dass die Krisen auf dem Balkan, in Zentralasien, in Zentralafrika und Argentinien die deutschen Interessen als Exportnation negativ berühren könnten.

Die Verfasser wollen zu einem »Politikansatz aus einem Guss« auf deutscher und europäischer Ebene kommen. Hierzu sollen ein Battle-Group-Konzept und die Schaffung einer europäischen Gendarmerietruppe einen entscheidenden Beitrag leisten. Ende November 2003 haben Großbritannien und Frankreich eine Erklärung zur Bildung von so genannten Battle Groups für die Europäische Union (EU) abgegeben. Der Vorschlag, rasch verfügbare Einsatzverbände aufzustellen, wurde zusammen mit Deutschland in die Gremien der EU eingebracht. Er fand die Unterstützung der anderen Mitgliedstaaten und wird im Rahmen der gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) erörtert.

Wichtigster Punkt des Thesenpapiers aus der Union ist die Unterordnung der Entwicklungspolitik unter militärische Strategien. »Die gegenwärtige deutsche Politik wird den Herausforderungen nicht gerecht, die sich aus der Notwendigkeit einer immer engeren Verknüpfung von Sicherheits- und Entwicklungspolitik ergeben«, heißt es darin. Man müsse zu einem »Politikansatz kommen, bei dem sich Sicherheits- und Entwicklungspolitik sinnvoll ergänzen und so gemeinsam die sich für unsere äußere und innere Sicherheit ergebenden Risiken meistern«. Als Risiken werden benannt: der internationale Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und das Problem der »gescheiterten Staaten«, so genannter failed states.

Dabei ist das Militär längst zu einem Rivalen von Nichtregierungsorganisationen bei der Vergabe von Fördermitteln und Aufträgen zum Wiederaufbau in Konfliktregionen geworden. Bereits im November 2003 etwa wurde nach Angaben des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) beschlossen, aus Mitteln des Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) fünf Millionen Euro zur Unterstützung des Militäreinsatzes der Economic Community of West African States (Ecowas) in Liberia zur Verfügung zu stellen. Das Auswärtige Amt habe darüber hinaus Pflichtbeiträge zu militärischen UN-Friedensmissionen pauschal als Official Development Assistance (ODA) gemeldet.

So genannte Cimic-Maßnahmen der Bundeswehr werden vom Auswärtigen Amt, vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, von der EU, aber auch von Kommunen, Stiftungen, Vereinen und Privatpersonen finanziert. Cimic steht für Civil-Military-Cooperation, also für die zivil-militärische Zusammenarbeit. Diese »Wiederaufbauteams« der Bundeswehr stellen ein Begleitprogramm zur eigentlichen expansiven Politik mit dem Ziel der force protection (also der Sicherung des Truppenumfelds), der Imagepflege und der Stärkung der Moral der Truppe dar. Seit 1997 haben nach Angaben des Verteidigungsministeriums rund 1400 deutsche Cimic-Soldaten auf dem Balkan und in Afghanistan mehr als 4000 Projekte im Gesamtwert von mehr als 38 Millionen Euro abgewickelt. Bis 2010 will die Bundeswehr ihr Personal für zivil-militärische Zusammenarbeit im Auslandseinsatz verdoppeln.

Cimic-Verbände kommen immer dann zum Einsatz, wenn die humanitäre Hilfe gleichzeitig eine Unterstützung des militärischen Auftrages darstellt. Nachträglich kann so auch ein möglicherweise völkerrechtswidriges Vorgehen legitimiert werden. Cimic-Verbände erfüllen nach einer Aussage von Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) eine wichtige Funktion. »Gerade die Cimic-Kräfte werden häufig als Hoffnungsträger angesehen. Sie unterstützen einerseits ganz gezielt die Bevölkerung vor Ort, schaffen andererseits ein günstiges Umfeld für den Einsatz und tragen damit zum Schutz der eingesetzten Soldaten bei«, sagte Struck im Mai vergangenen Jahres auf einer Pressekonferenz.

Die deutschen Cimic-Soldaten trügen zu einem »zivilen Lagebild« bei. Dessen Bedeutung erläuterte Generalleutnant Hans-Heinrich Dieter, der Inspekteur der für Cimic zuständigen Streitkräftebasis. Es gehe einerseits darum, Erkenntnisse über die Lage der Bevölkerung, über Problembereiche und über das Stimmungsbild zu bekommen. Andererseits werde erkundet, welche zivilen Ressourcen sich die Bundeswehr am Einsatzort erschließen könne. Die Instrumentalisierung von Armut und Perspektivlosigkeit entlarvt die Motivation von Projekten der Entwicklungszusammenarbeit, in denen von Wiederaufbau und good governance gesprochen wird, es aber vor allem um die Sicherung des Truppenumfeldes in Auslandseinsätzen geht.

Erstaunlich an dem Thesenpapier der Union ist, wie offen ausgesprochen wird, wozu die deutsche Entwicklungshilfepolitik dienen soll: »In grundlegende politische Entscheidungen zu Fragen auswärtiger Politik sollten stets unsere nationalen Interessen einfließen. Dies gilt nicht nur für militärische Einsätze, sondern sollte auch auf unser entwicklungspolitisches Engagement ausgedehnt werden. Die gegenwärtige Bundesregierung scheut sich, Deutschlands politischen und wirtschaftlichen Stellenwert in der Welt, den Schutz unserer freiheitlich-demokratischen Grundwerte sowie den Zugang zu Rohstoffen als Fragen nationalen Interesses zu definieren.« Mit dieser Einschätzung dürften sich die beiden CSU-Politiker jedoch geirrt haben.