Eine Bonner Runde

Was ist eigentlich aus dem ehemaligen Regierungsviertel geworden? jörg kronauer hat sich umgesehen

Es kracht, Motoren dröhnen, Männer brüllen Unverständliches. Der »Lange Eugen« wird von Kopf bis Fuß renoviert. Möglichst bald soll das ehemalige Abgeordnetenhochhaus des Bundestags, das seinen Spitznamen dem früheren Parlamentspräsidenten Eugen Gerstenmaier (CDU) verdankt, von den Vereinten Nationen in Betrieb genommen werden. Der Umbau des Gebäudes schreitet offenkundig voran.

Die Transformation der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn zur »Bundesstadt« schafft Platz für Neues. Der »Lange Eugen« wird für den geplanten »UN-Campus« hergerichtet; zahlreiche weitere Organisationen, Unternehmen und Behörden haben sich inzwischen im ehemaligen Regierungsviertel angesiedelt. Die bauliche Infrastruktur der Bonner Republik prägt den Stadtteil weiterhin.

Mit dem im Jahr 1990 abgeschlossenen Einigungsvertrag zwischen der BRD und der DDR wurde Berlin zur neuen deutschen Hauptstadt erklärt, der Bundestag beschloss am 20. Juni 1991, seinen Sitz und den Hauptteil der Regierung nach Berlin zu verlegen. »Zunächst war das ein Schock«, erinnert sich die Pressesprecherin der Stadt Bonn, Elke Palm. Um die Einbußen für die Stadt zu kompensieren, verabschiedete der Bundestag im März 1994 das »Berlin-Bonn-Gesetz«. Fünf Politikbereiche, heißt es darin, sollen auch weiterhin in Bonn bearbeitet werden: Bildung und Forschung, Umwelt und Gesundheit, Entwicklungspolitik, Landwirtschaft und Verteidigung.

»Schweinegulasch oder Rehbraten?« Ein Mann im dunklen Lodenmantel, Marke Abteilungsleiter, lacht ein dominantes Männerlachen in die Runde auf dem Bürogelände Tulpenfeld, die gerade zum Mittagessen aufbricht. Viele entwicklungspolitische Einrichtungen haben ihre Büros rund um den Platz im Bonner Bundesviertel. Das Informationszentrum Entwicklungspolitik ist dort untergebracht, das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik, der Deutsche Entwicklungsdienst und die Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH. Neben weiteren kleineren Entwicklungsorganisationen hat die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) ihre Außenstelle für »Pilot- und Konventionsvorhaben« dort untergebracht.

Bei der GTZ ist man über diese Bündelung in Bonn begeistert. »Räumliche Zentrierung und kurze Wege im ehemaligen Bundesviertel ermöglichen eine enge Vernetzung, effiziente Kommunikationsstrukturen und positive Synergieeffekte«, schreibt die Organisation auf ihrer Website.

»Es ist nicht so, dass alle schon deswegen zusammenarbeiten, weil sie am selben Ort ansässig sind«, heißt es beim Center for International Cooperation Bonn GmbH (CIC). Diese staatlich finanzierte Organisation bringt die unterschiedlichsten international agierenden Einrichtungen aus den Bereichen Entwicklungspolitik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik zusammen. Für das in Bonn verbliebene Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ist das sehr hilfreich. Das CIC, aber auch die für das Ministerium tätige Bonner Beratungsstelle für private Träger in der Entwicklungszusammenarbeit schaffen nützliche Kontakte zwischen den Regierungsapparaten und Nichtregierungsorganisationen (NRO). Denn deren Akzeptanz »bei der Bevölkerung und in den Medien weltweit« weiß das BMZ zu schätzen, wie auf seiner Website zu lesen ist.

Bei der staatlich finanzierten Deutschen Welle herrscht ebenfalls Begeisterung über die Dichte international tätiger Organisationen in Bonn. »Das passt konzeptionell wunderbar«, heißt es bei dem nicht weit vom Tulpenfeld und vom BMZ im Schürmann-Bau untergebrachten Auslandssender. Die Deutsche Welle sendet täglich von Bonn aus in 30 Sprachen rund um die Welt, beliefert dabei auch Krisenregionen. Im Kosovo etwa hörte zeitweise die Hälfte der Bevölkerung das albanische Programm des deutschen Auslandssenders. »Die Rezeption hat sich während der Krise massiv erhöht«, bestätigt eine Sprecherin des Senders.

114 Meter hoch erhebt sich neben dem einst vom Rheinhochwasser unterspülten Schürmann-Bau der »Lange Eugen«. In ihm sollen die zwölf derzeit in Bonn angesiedelten UN-Organisationen mit mehr als 600 Mitarbeitern untergebracht werden. Auch ihre Themen sind Entwicklung und Umwelt. Das Auswärtige Amt wünscht weitere, thematisch verwandte Behörden der Vereinten Nationen an den Rhein zu holen, 1 000 UN-Angestellte sind im Gespräch. Der »Lange Eugen« und das im ehemaligen Plenarbereich des Bundestages untergebrachte Internationale Kongresszentrum Bundeshaus Bonn sollen den »UN-Campus« bilden. Zwei Weltklimagipfel, eine Süßwasserkonferenz, eine Frühwarnungskonferenz und die Afghanistan-Konferenzen finden in Bonn statt.

Zahlreiche Bundesbehörden sind nach wie vor in Bonn untergebracht oder wurden teilweise nach dem Umzug der Regierung eigens in die Bundesstadt verlegt. Die Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation, inmitten der Entwicklungsorganisationen angesiedelt, ist eine von ihnen. Über Jahrzehnte hatte das Bundespostministerium, ein hässlicher Bau im Norden des Regierungsviertels, die Kommunikationsinfrastruktur staatlich garantiert. Jetzt soll die Regulierungsbehörde »durch Liberalisierung und Deregulierung für die weitere Entwicklung auf dem Post- und Telekommunikationsmarkt (…) sorgen«, erklärt die Bundesregierung den Auftrag der Institution.

Doch seit langem kritisiert die EU-Kommission, die Bundesregierung verschleppe die vorgesehene Marktöffnung im milliardenschweren Briefgeschäft. Die Deutsche Post, an ihrem Umsatz gemessen das achtgrößte deutsche Unternehmen, nutzt derweil ihre Gewinne, um von Bonn aus ins europäische Ausland, aber auch in die USA und nach Asien zu expandieren. 162 Meter hoch ist der Post Tower, die protzige neue Unternehmenszentrale im Bundesviertel, die den »Langen Eugen« bei weitem überragt. Der Konzern erzielt inzwischen fast die Hälfte seines Umsatzes außerhalb Deutschlands.

Wissenschaft und Forschung tragen ihren Teil zur Entwicklung des Bonner Bundesviertels bei, schließlich flossen 60 Prozent der rund 1,43 Milliarden Euro, die Bonn als Ausgleichszahlung für den Regierungsumzug erhielt, in diesen für die Bundesstadt reservierten Politikbereich. Forschungszentren sind neu entstanden, nirgends in Europa soll es so viele Forschungs- und Technologieeinrichtungen geben wie in der »ABC-Region« (Aachen, Bonn, Cologne). Auch die wichtigen hochschulpolitischen Organisationen sind weiterhin in Bonn ansässig: die Hochschulrektorenkonferenz, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung.

»Es gab große Herausforderungen«, sagt Elke Palm, Pressesprecherin der Stadt Bonn. »Wir hatten die Infrastruktur, die zur Ansiedlung neuer Behörden nötig war. Die Herausforderungen sind gut bewältigt worden.« Und der Umbau des »Langen Eugen« schreitet voran.