Thanks, merci, dankeschön

Prinz Harry, Jean-Marie Le Pen und die NPD liefern zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz die für einen europäischen Gedenkkonsens dringend benötigten Skandale. von kerstin eschrich und tjark kunstreich

Vor dem 60. Jahrestag der Befreiung der letzten 7 000 Überlebenden des KZ Auschwitz und seiner Nebenlager durch die Rote Armee erleben drei europäische Länder die Skandale, die sie verdienen. Im Vereinigten Königreich war es mit Prinz Harry ein Mitglied der königlichen Familie, der in einem Wüstenfuchs-Kostüm samt Hakenkreuzbinde für Aufregung sorgte, in Frankreich der Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen, der in einem Interview die Auffassung vertrat, die deutsche Besatzung in Frankreich sei »nicht besonders unmenschlich« gewesen. In die Empörung mischte sich in beiden Fällen eine Spur der Erleichterung: Ohne das entscheidende Moment der Selbstversicherung auf einen nationalen Gedenkkonsens, der gegen reale oder eingebildete Gegner verteidigt werden muss, fehlt dem politischen Erinnern die notwendige sinngebende Würze.

Nun muss Harry die Gedenkstätte Auschwitz besuchen, und Le Pen sieht sich einem Sturm der Entrüstung ausgesetzt, in dem alle sich gegenseitig versichern, wie Unrecht der Rechte habe. Dabei stellt sich die Frage, was diesen Sturm tatsächlich ausgelöst hat. Waren es die relativierenden Bemerkungen Le Pens über das Massaker von Oradour, die Verhöhnung der Deportierten (die KZ wären überflüssig gewesen, wenn die Deutschen »tatsächlich« in großem Umfang Massenerschießungen vorgenommen hätten) oder vielleicht doch der Hinweis, dass die deutsche Besatzungsmacht sich gegenüber der nicht jüdischen französischen Bevölkerung zunächst korrekt verhalten hat? Tatsächlich unterstützte anfänglich die Mehrheit die Kollaboration des Vichy-Regimes. Das Blatt wendete sich erst, als die Folgen des Krieges in Lebensmittelknappheit und Flüchtlingsströmen überall spürbar wurden – und nicht etwa mit der Deportation der Juden, die die Besatzungsmacht gemeinsam mit französischen Stellen durchführte. Dass man diese Wahrheit nicht hören wollte, und schon gar nicht von Le Pen, hat nichts mit Solidarität mit zumeist jüdischen Opfern von Besatzung und Kollaboration zu tun, sondern ist der Verdrängung der eigenen Rolle geschuldet.

Le Pen tat seine Äußerungen in einem nicht sonderlich verbreiteten radikalfaschistischen Magazin, weshalb es auch eine Weile dauerte, bis seine Worte in die Öffentlichkeit drangen, die das Angebot zur Abgrenzung gern annahm. Le Pen erfüllt einmal mehr seine Rolle in der französischen Demokratie. Er ist der Antisemit alter Schule, dessen Ausgrenzung leicht fällt, leichter jedenfalls als die eines solchen vom Schlage des als Vertreter eines »europäischen Islam« gefeierten Tarek Ramadan, der Bestandteil des globalisierten Konsenses gegen Israel ist.

Der arme Prinz Harry, der die Nazis nur aus Hollywood-Filmen kennt, wird dagegen mit allen Finessen gedenkpädagogischer Didaktik traktiert werden, bis er gelernt hat, dass man nur in Hollywood-Filmen über Nazis lachen darf. Sein Auftritt auf der Kostümparty ist Anlass zu einer Diskussion darüber, weshalb in Großbritannien, im Gegensatz zu den kontinentaleuropäischen Staaten, die Erinnerung an die Nazi-Verbrechen kaum einen politischen Rahmen kennt; ein staatliches Gedenken der Shoah, das dem in Frankreich oder Deutschland vergleichbar wäre, gibt es dort nicht. Vielleicht ist Harry der Auslöser für die ausstehende Verstaatlichung der Erinnerung auf der Insel, mit Holocaust-Erziehung, Gedenkstätten und der dazugehörigen Berufssparte.

Angesichts der antiisraelischen Berichterstattung in einem Großteil der britischen Medien und der gesellschaftlichen Entwicklung, die London zum Zentrum islamistischer Hassprediger werden ließ, die von dort aus den Aufruf zum Judenmord in alle Welt verbreiten, scheint die Empörung über den Prinzen bigott. Wenn sie wenigstens zur Folge hätte, dass dem tatsächlich antisemitischen Unwesen ein Ende gesetzt würde: Aber der Blick auf den Kontinent zeigt, dass staatliches Gedenken und kulturrelativistische Akzeptanz von Antisemitismus sich keineswegs ausschließen, im Gegenteil. Gerade weil man gedenkt, darf man auch über Israel urteilen, das wird man auch in Großbritannien schnell lernen.

In Deutschland bedurfte es dagegen einer regelrechten Inszenierung, um der notwendigen Entrüstung einen Anlass zu bieten. Die Chance dazu bot, wie immer dem nationalen Interesse dienend, die NPD. Sie hatte im sächsischen Landtag eine Debatte über das Gedenken an die Bombardierung Dresdens durchgesetzt und wollte eine Schweigeminute allein für die Opfer der Bombardierung Dresdens am 13. Februar beantragen. Die demokratischen Parteien reagierten mit Bedacht: Landtagspräsident Erich Iltgen rief dazu auf, anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz und der Bombardierung Dresdens mit einer Schweigeminute »den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu gedenken«.

Auch die Bombenopfer werden in Deutschland heute zu den Opfern der »nationalsozialistischen Gewaltherrschaft« gezählt, ohne dass noch Widerspruch erhoben würde. Dass dieses Ansinnen schon eine Relativierung darstellt, sah wohl keiner der Abgeordneten so. Die notwendige Abgrenzung zu den Neonazis konnte man dagegen demonstrieren, weil die Vertreter der NPD während des Gedenkens den Raum verließen. Anscheinend hätten die Abgeordneten gerne zusammen mit den Neonazis der Bombenopfer der Nationalsozialisten gedacht. Die Abgrenzung von den Neonazis ging aber nicht so weit, sie in der anschließenden Debatte daran zu hindern, von »angloamerikanischen Terrorangriffen« und einem »Bombenholocaust« zu sprechen. Anhänger der Partei hatten sich für das Schauspiel auf den Zuschauertribünen des Landtags eingefunden, einer kommentierte den Auftritt des Alterspräsidenten Cornelius Weiss mit den Worten »alter Jude«.

Dass im sächsischen Landtag überhaupt der wirklichen Opfer Nazideutschlands gedacht wurde, verdanken die demokratischen Parteien dennoch der NPD: Ein Gedenken zum 27. Januar war zuvor gar nicht in Betracht gezogen worden – und jetzt sind alle empört und rufen zum wahrlich demokratischen Umgang mit der NPD auf. Einige Abgeordnete nämlich wollten sich die revisionistischen Ausfälle nicht mehr länger anhören und verließen den Saal, wofür sie nun kritisiert werden. Aber alle beteiligten sich daran, den neuen Konsens des Gedenkens zu manifestieren: Am 27. Januar und am 13. Februar wird Nazi-Opfern die Ehre erwiesen. Um sich in die Riege der vom Nazifaschismus befreiten Länder einzureihen, werden am 8. Mai 2005 alle Deutschen Opfer der Nazis gewesen sein.

Die neueste »Opfergruppe« präsentierte der Regisseur Dennis Gansel mit seinem Schmachtfetzen »Napola – Elite für den Führer«: den Nazi-Nachwuchs. In der Berliner Zeitung weiß man das zu würdigen: Dass sich Gansel »nicht der kollektivierten, codifizierten Sicht der Generation seiner Väter von ’68 beugt, sondern auch die Großväter begreifen will, um das Gewordensein und darin sich selbst zu verstehen, macht Hoffnung auf seine weiteren Filme«. Und Hoffnung auf eine ungetrübte Zukunft voller Demokratie, Toleranz und Verständnis, vor allem für die ehemaligen und gegenwärtigen Nazis.