Die Roma-Rolle

Ethnisierung und Selbstethnisierung von roland ibold

Sie werden diskriminiert, aber sie sind auch aufständisch und kämpfen für ihre Rechte. Immer wieder sind sie Thema in der Presse und im öffentlichen Diskurs: die Roma. Für sie interessieren sich reisende Hobbyethnologen, Folklorephotographen, Minderheitenspezialisten im EU-Parlament und NGO. Die EU organisiert für ihre größte Minderheit aufwändige Kulturfestivals und hält Integrationsgeld bereit. Universitäten organisieren Roma-Symposien und bilden Lehrer für Romanes aus.

Aber wer sind sie eigentlich, die Roma? Oder besser: Wer sind sie nicht? »Sie sind keine Rumänen, sie kommen aus Indien!« lautet die Antwort des Bürgermeisters von Kogalniceanu, einer rumänischen Kleinstadt. Wann, weiß er nicht, »aber es ist sehr lange her«.

Im Dorf Brateiu in Transsylvanien leben Rumänen, Deutsche, Ungarn und auch zwei Roma-Communities. Die einen nennen sich »Cortorari« (von »cort«, Zelt) und grenzen sich bewusst von »den Roma« ab. Unter dem Druck sozialistischer Ansiedlung tauschten sie vor 20 Jahren ihre Zelte gegen Steinhäuser. Die anderen in den Lehmhütten am Ortsrand werden »Tzigan« (Zigeuner) genannt und sehen sich in erster Linie als Rumänen. Als rumänische Genossenschaftsbauern wurden sie auch von ihren LPG-Kollegen gesehen. Nach 1990 wurden sie jedoch schnell entlassen und zurück in die ethnische Rolle gedrängt. Anspruch auf Ackerfläche haben sie, die vor 1945 Landlose waren, auch heute nicht, nunmehr verkaufen sie Walnüsse, Äpfel oder – seltener – ihre Arbeitskraft an die ehemaligen Kollegen.

Auch wenn keine der beiden Gruppen stellvertretend für »die Roma« stehen kann, sind ihre spezifische Situation und der ihnen zugewiesene Status im Dorf exemplarisch für ihre Geschichte in Rumänien und in Europa. Die gemeinsame Sprache Romanes schafft sicherlich Identität, wird aber auch zum wissenschaftlichen Beweis der Existenz einer »Ethnie der Roma« funktionalisiert. Verbindend – und gleichzeitig Resultat äußerer Kategorisierung – ist auch das Bewusstsein ihrer Verfolgung in Europa, der lange nicht anerkannten Vernichtung durch Nazideutschland und des Fortbestehens des rassistischen Misstrauens, das den »Zigeunern« allgemein entgegengebracht wird.

»Sie stehlen gerne. Das ist die große Gemeinsamkeit aller Roma«, meint ein Sozialarbeiter in Kogalniceanu. Seine Vorgesetzte, die Minderheitenbeauftragte des Kreises, Constanßa, möchte mit Regierungsprogrammen zu Problemfeldern wie Bildung, Arbeit, Hygiene und Hausbau die Roma in die Gesellschaft integrieren und ihre angebliche »Selbstsegregation« überwinden. »Das Problem ist nicht, dass sich Roma nicht als Rumänen bezeichnen, sondern dass sich in den Massenmedien und in einem Großteil der rumänischen Bevölkerung die Meinung verbreitet, es gäbe so etwas wie ethnisch reine Rumänen, zu denen die Roma eben nicht gehören«, meint Valeriu Nicolae von Indymedia-Rumänien.

Die Ethnisierung der Roma gründet im europäischen Organisationsprinzip der Nationen und nationalen Minderheiten. Um Gleichberechtigung und kulturelle Autonomie durchzusetzen, bedarf es einer Organisation. Rechte werden nicht einfach so verschenkt, Bildungsprogramme brauchen Ansprechpartner. Entsprechend versuchen Roma seit Jahren, sich als »ethnische Minderheit« zu organisieren. Die immer noch schwache Resonanz der Roma-Communities, deren Situation sich durch diesen Titel nicht wesentlich ändert, zeigt die Diskrepanz zwischen einer breit gefächerten Basis und einer Schicht engagierter Roma-Vertreter, die mit einer Art Selbstethnisierung beschäftigt sind. So passen die Roma zwar in das System Europäische Union, die Überwindung der hier festgelegten sozialen Deklassierung droht dabei jedoch in den Schatten kultureller Freiheit zu rücken.