Hirn statt Böller

Ein Jugendklub im brandenburgischen Bernau wurde vermutlich von Neonazis mit einem Sprengsatz angegriffen. Nach dem Anschlag hat sich peter sonntag in der Stadt umgehört

Ein Stück aus der Mauer ist herausgesprengt, das zerstörte Doppelglasfenster notdürftig repariert, der Teil des Fensterbretts, auf dem der Sprengkörper lag, fehlt. Am 22. Januar wurde morgens um 1.40 Uhr auf den Jugendclub Dosto ein Anschlag verübt. Peter Kalender, der Pressesprecher der Polizei in Frankfurt an der Oder, teilt mit, dass es sich nach den vorläufigen Untersuchungsergebnissen um einen Böller aus polnischer Produktion handelt. Die Täter oder Täterinnen sind unbekannt. Es werde, »wie wir immer sagen, in alle Richtungen ermittelt«, sagt Kalender. Ein Zusammenhang mit der Demonstration am Morgen des gleichen Tages sei jedoch möglich, meint Roland Kamenz, ein Mitarbeiter der gleichen Pressestelle.

Am Tag des Anschlags fand ein Aufmarsch des Nationalen Bündnisses Preußen unter dem Motto »Keine Kohle für Chaoten! Deutsche Jugend fördern!« statt. Hinter dem Namen verbirgt sich nach Ansicht eines Mitglieds der Autonomen Jugendantifa Bernau (Ajab) eine »Splittergruppe, die aus ein paar Bernauern besteht«. Gut 45 Neonazis marschierten durch Bernau, vorbei am Dosto. In der Woche zuvor hatte die Stadtvertretung beschlossen, 250 000 Euro für einen neuen Raum zur Verfügung zu stellen. Dagegen meckerten die Neonazis und meldeten spontan den Aufmarsch an.

Es war bereits der vierte in Bernau seit April vorigen Jahres. Seit Monaten kursieren Aufkleber und Flugblätter, die mit Parolen wie »Dosto abbrennen« und »Kein Geld für Chaoten« Stimmung machen sollen. Die Ajab sagt dazu: »Wir sehen schon eine starke Bedrohung.« Sie ist überzeugt davon, »dass von den Nazis noch mehr kommen wird«. Das Dosto ist in einer Baracke auf dem Hinterhof des Kulturhauses untergebracht. »Dass Nazis sich auf den Kulturhof in die direkte Nähe des Dostos trauen, ist schon etwas Neues. Das war bisher eine Art Tabu für die«, erzählt Katrin, eine der Sozialarbeiterinnen aus dem seit 1994 bestehenden Dosto. »Das Dosto ist ein nicht-rechter Jugendklub. Es gibt auch viele politisch desinteressierte Jugendliche, aber zum Beispiel bei Gegenaktionen zu Aufmärschen oder bei Veranstaltungen wie dem Antifaweekend sind sich alle Jugendlichen einig«, sagt Dana, ebenfalls Sozialarbeiterin. Jetzt vermuten alle, dass Neonazis den Sprengkörper ablegten.

Knut-Sören Steinkopf vom Dosto erzählt, dass es am 2. Februar ein Treffen mit VertreterInnen der Stadt, dem Jugendklub und dem örtlichen Netzwerk für Toleranz und Weltoffenheit geben soll. Der Sozialarbeiter sagt, dass es »an der Zeit ist, mal grundsätzlich über ein Vorgehen gegen Rechtsextremismus zu reden«. Und das müsse gemeinsam geschehen. In der Vergangenheit hatte es Streit zwischen dem Dosto und der Stadt gegeben. Eva Maria Rebs, eine parteilose Mitarbeiterin der Stadtverwaltung und Vorsitzende des Netzwerks, habe die roten Fahnen der Jugendantifa auf einer Antifaveranstaltung mit dem Rot der Hakenkreuzfahnen verglichen, hieß es in einer Presseerklärung der Ajab. Zudem habe sie bei den BesucherInnen des Dosto »mangelnde Vernunft angeprangert«.

Ein Problem sieht Steinkopf darin, dass ein Jugendklub, der sich deutlich gegen Rechtsextremismus äußert, öffentlich von VertreterInnen der Stadt dafür kritisiert wird. Sicherlich benutze die Ajab als Jugendinitiative eine provokante Sprache und pflege einen eigenen Stil. Dennoch stehe fest, dass »die Jugendlichen nun mal die ersten und entschiedensten waren, die sich offen gegen Rechtsextremismus wandten«, und dass es nicht weiterführe, »wenn die Stadt, auch wenn sie mit den Formen nicht einverstanden ist, beleidigt reagiert«. Nun gehe es jedoch darum, »die Risse zu kitten und die Scherben zusammenzukehren, damit alle an einem Strang gegen Rechts ziehen«, sagt Steinkopf.

Alles in allem kümmert sich die Stadt um die Jugendlichen. Dana erzählt, dass es in Bernau eine Stadtjugendpflege gibt: »Da sitzen zwei Frauen, die ziemlich fit sind.« Das Dosto sei auch nicht der einzige Jugendklub in Bernau, jedoch »der einzige mit einem derartigen Konzept von Bildungsarbeit«.

Und die Bürger und Bürgerinnen von Bernau? Der Mitarbeiter eines Elektroladens sagt, er habe über den Anschlag in der Zeitung gelesen. »Es ist wohl im Zuge dieser Demonstration dazu gekommen.« Auf die Frage, ob Bernau ein Problem mit Rechtsextremisten habe, sagt er: »So extrem ist das nicht, aber eine kleine Gruppe hat sich wohl etabliert. Man sieht ja, wenn die mit einem Bierkasten auf die Demo gehen, die haben nichts in der Birne.«

Deutlicher werden zwei Gäste des Restaurants Toscana. Ein etwa 40jähriger Mann sagte: »Die Jugend soll ja gefördert werden, aber politisiert? Da krieg ich schon so einen Hals, wenn ich das höre. Warum muss man sich da reinhängen? Da ist es ja kein Wunder, dass die einen Böller vor die Tür kriegen.« Und weiter erläutert er: »Das Problem sind nicht die Rechten, sondern die Politik. Die Ausländer sollen ja ruhig kommen, aber die sollen auch arbeiten und in einem Crashkurs Deutsch lernen, und wenn die die Sprache innerhalb von fünf Monaten nicht können, müssen sie halt wieder weg.« Eine Verkäuferin sagt: »Ich habe nichts gegen die Türken und die Fidschis, das ist jetzt nicht böse gemeint, aber die Ausländer sahnen doch ab, da kann ich den Hass verstehen. Und die Nassauer, die hierherkommen und sagen: ›Ich werde verfolgt.‹ Ich kann ja auch nicht nach Ungarn gehen und sagen, ich werde verfolgt, jetzt zahlt mal. Was meinen Sie, was da für Meinungen entstehen? Ich kann verstehen, wenn da Leute rechts werden.« Auf die Frage, ob es in Bernau ein Problem mit Rechten gäbe, antwortet ein anderer Gast des Restaurants ironisch: »Da hat doch der Herr Müller für Ordnung gesorgt.«

Andreas Müller ist ein Richter am Bernauer Amtsgericht, der Ende der neunziger Jahre für Furore sorgte, weil er mit unkonventionellen Auflagen wie etwa dem Stiefelverbot gegen rechte Schläger vorging. Im ARD-Magazin Kontraste hieß es im Jahr 2000: »Er hat die Szene verunsichert, die rechte Gewalt in Bernau in den Griff bekommen.« Müller sagt zur derzeitigen Situation in Bernau: »Es ist nicht mehr wie früher. Das große Problem sind nicht mehr die Überfälle auf Migranten oder Passanten, ist nicht mehr die tägliche Gewalt. Die wirklich Gefährlichen sitzen in den Parlamenten. Wenn der Staat die Erinnerung nicht wach hält, dann werden wir bald noch mehr Probleme mit der NPD, der DVU und so weiter haben. Das ist vor allem eine Sache der Bildung, der Aufklärung und der Konfrontation.«

Katrin vom Dosto sieht in dem Anschlag »einen Anlass, weiter aktiv zu bleiben«. Viele der Jugendlichen, die an dem Samstag, als der Sprengsatz explodierte, auf einer Geburtstagsfeier im Dosto waren, seien nun sensibilisiert, sagt sie. Große Angst vor weiteren Aktionen der Neonazis hätten sie jedoch nicht. »Es ist eher ein unbehagliches Gefühl. Und das auch, weil nun die Polizei oft im Haus ist«, erzählt sie weiter. »Das Dosto steht jetzt auf Sicherheitsstufe zwei. Das bedeutet eine höhere Gefährdung und auch Bewachung eines Objektes.«

Die Verkäuferin hingegen hat ganz andere Probleme: »Wir sind Provinz und sind Ruhe und Gemächlichkeit gewöhnt. Wir hier bewerten das anders als die von Berlin. Wir wollen unsere Ruhe.«