Am weißen Faden

Für viele Länder der Dritten Welt ist Baumwolle ein wichtiges Exportgut. Doch die Weltmarktpreise sind niedrig und die konventionellen Anbaumethoden giftig. knut henkel hat im westafrikanischen Benin Bauern besucht, die auf Biobaumwolle umgestiegen sind

Benin ist einer der größten Baumwollproduzenten Westafrikas. Für viele Bauern wird angesichts steigender Kosten für Agrarinputs wie Düngemittel und niedriger Weltmarktpreise der Stoff zum Fluch. Zahlreiche Vergiftungsfälle durch den unsachgemäßen Umgang mit Pestiziden und die Überschuldung haben Einwohner mehrerer Dörfer zur Umkehr bewogen: Sie bauen die Baumwollpflanze ökologisch an.

Gabriel Prolouteur bückt sich zu einem der Baumwollsträucher, nimmt eine Blüte in die Hand und untersucht sie aufmerksam nach Anzeichen von Schädlingsbefall. Fehlanzeige. Erleichtert geht der Baumwollbauer zur nächsten Pflanze. Dort sind die ersten Kapseln aufgebrochen und lassen die feinen weißen Fasern zum Vorschein kommen. Die wird Gabriel in einigen Wochen ernten. Drei Hektar hat er bestellt, rund die Hälfte davon mit Baumwollbüschen. Baumwolle ist das wichtigste und für die meisten Bauern in Benin einzige »Cash-Crop«, also das für den Export bestimmte und deshalb lukrative landwirtschaftliche Produkt. Zwischen 800 Kilogramm und einer Tonne der weißen Fasern hofft der kleine, drahtige Bauer pro Hektar zu ernten.

Weitaus weniger als Nicolà Abigoumout, dessen Felder ganz in der Nähe liegen. Nicolà ist der Dorfvorsteher von Matasar, das rund 30 Kilometer von der Provinzhauptstadt Abomey entfernt ist. Nicolà hat als erster in Matasar die Konsequenzen aus sinkenden Erträgen, sinkenden Weltmarktpreisen und steigenden Kosten für Pestizide und Düngemittel gezogen. Im Jahr 1996 schwor er dem konventionellen Anbau ab und stellte auf biologischen Landbau um.

Seinem Beispiel sind viele Bauern von Matasar gefolgt, auch Gabriel. 77 Bauern, darunter 30 Frauen, bauen auf 69 Hektar Biobaumwolle an, berichtet Nicolà. Er hat sich beraten lassen, gelernt, wie der Fruchtwechsel funktioniert und wie man mit biologischen Mitteln den Schädlingsbefall in Grenzen hält. Er vertraut auf einen Sud aus den Samen des Niembaums, vermengt mit weiteren Zutaten wie Chilischoten, etwas Seife und Knoblauch. Die Niemsamen, zerstoßen und einige Tage in Wasser eingeweicht, sind Agrarspezialisten zufolge hochwirksam gegen den gefährlichsten Schädling: den Baumwollkapselwurm. Nicolàs Rezept funktioniert ganz gut. Er rechnet mit einem Ertrag von 1,2 Tonnen pro Hektar. Andere Bauern aus dem Dorf haben bereits Erträge von 1,5 Tonnen pro Hektar erzielt – nicht viel weniger als die Menge, die in Benin bei konventionellem Anbau üblich ist.

Den Bauern in Matasar geht es besser als ihren Kollegen in den benachbarten Dörfern. Die bauen konventionell an, düngen chemisch und rücken dem Baumwollkapselwurm mit Pestiziden zu Leibe. »Früher konnte ich drei Tage nicht arbeiten, wenn ich Pestizide gesprüht hatte. Dann mussten die Kinder aufs Feld. Heute kann ich mir die Schulgebühren für meine acht Kinder leisten«, sagt Nicolà und fährt sich durch den schütteren Bart. Geholfen bei der Umstellung zum organischen Anbau hat ihm und dem ganzen Dorf Simplice Davo Vodouhe. Der Agrarspezialist ist Direktor der »Organisation für die Förderung des Bioanbaus in Benin«. Rund 800 Bauern in fünf Dörfern beteiligen sich an dem Programm der Nichtregierungsorganisation, die die Abnahme der Biobaumwolle garantiert und 20 Prozent über dem Weltmarktpreis zahlt. Zusätzliche Einnahmen und stark reduzierte Ausgaben bringen den Bauern bessere ökonomische Perspektiven. »Es gibt immer mehr Farmer, die unserem Beispiel nacheifern, obwohl sie nicht im Programm sind«, sagt Vodouhe.

Die positiven Erfahrungen sprechen sich herum. Und die Anfragen bei der in Cotonou, der größten Stadt Benins, ansässigen Organisation nehmen immer dann zu, wenn wieder ein Vergiftungsfall für Schlagzeilen gesorgt hat. Pestizidvergiftungen sind in Benin keine Seltenheit. Allein während der Erntesaison 1999/2000 starben Zeitungsberichten zufolge 70 Bauern, weil sie mit Endosulfan nicht vertraut waren.

»Das hochgiftige Pestizid war kurzfristig in den Handel gebracht worden, nachdem sich in den USA der Baumwollkapselwurm in einigen Fällen resistent gegen andere Pestizide gezeigt hatte«, erklärt Vodouhe. Die Regierung in Porto Novo, der Landeshauptstadt, reagierte und importierte Endosulfan – mit verheerenden Folgen. Wie viele Vergiftungsfälle es in Benin gegeben hat, weiß niemand genau. Auch in den folgenden Jahren kam es immer wieder zu Pestizidunfällen. »So wurde im Department Alibori das Grundwasser vergiftet, weil ein Pestiziddepot undicht war. 35 Menschen starben im Jahr 2002«, berichtet Vodouhe.

Auch außerhalb Benins sind Vergiftungsfälle im Baumwollanbau keine Seltenheit. Baumwolle ist die Nutzpflanze, die weltweit am intensivsten mit Pestiziden, Düngemitteln, Wuchsstoffen und Entlaubungsmitteln behandelt wird. 24 Prozent der hochgiftigen Pflanzenschutzmittel entfallen auf die Baumwollbranche, die gerade 2,4 Prozent der Anbaufläche weltweit nutzt. Kaum eine andere im monokulturellen Anbau genutzte Kulturpflanze ist für Schädlinge so anfällig wie der Baumwollbusch. Der liefert über 40 Prozent der Fasern, die in der Textilbranche verarbeitet werden.

»Der Großteil der Fasern kommt aus Entwicklungsländern, wo die Bauern oft ohne die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen mit den hochtoxischen Chemikalien hantieren«, erklärt Alexandra Baier von der deutschen Sektion der Organisation Pestizid-Aktion-Netzwerk. Nicht ausreichende Kennzeichnung ist dafür ebenso verantwortlich wie fehlende Schutzkleidung oder Analphabetismus.

Die Folgen sind katastrophal. Weltweit kommt es der Weltgesundheitsbehörde zufolge jährlich zu etwa drei Millionen Vergiftungsfällen mit Pestiziden, 220 000 davon enden tödlich. Baiers Organisation unterstützt deshalb die Umstellung auf organischen Baumwollanbau und wirbt für eine bessere Kennzeichnung der hochtoxischen Schädlingsbekämpfungsmittel sowie einen transparenten Handel. Ziele, die auch Vodouhe teilt, weshalb er empfiehlt, auf den biologischen Anbau umzusteigen. »Ich bin überzeugt, dass der biologische Landbau lebensfähig ist und eine echte Alternative darstellt.«

Er ist auch eine Alternative, um der Schuldenfalle zu entkommen, in der viele Baumwollbauern sitzen. »Viele Bauern bekommen, wenn sie ihre Ware bei den weiterverarbeitenden Fabriken abliefern, kaum etwas ausbezahlt, weil die Darlehen für Pestizide und Düngemittel gleich abgezogen werden«, sagt der Präsident der Baumwollbauern Benins, Charles G. Nouatin. Der Preisverfall auf dem internationalen Markt, unter anderem wegen der US-amerikanischen Subventionspolitik, sei ein Grund für die Schuldenfalle, betont der schwergewichtige Baumwolllobbyist. Zwischen den Erntesaisons 1997/98 und 2001/02 stiegen die Subventionen, die die 25 000 US-Baumwollfarmer erhielten, von 0,6 Milliarden US-Dollar auf 3,7 Milliarden. Die Subventionen der EU, rund 700 Millionen US-Dollar für die griechischen und spanischen Baumwollbauern, nehmen sich dagegen fast bescheiden aus.

Die Subventionen haben dazu beigetragen, dass der Weltmarktpreis für die weißen Fasern rückläufig ist. Allein in den vergangenen drei Jahren ging er um rund 40 Prozent zurück. Verantwortlich ist die Überproduktion, aber auch der Konkurrenzdruck durch Substitutionsprodukte wie synthetische Textilprodukte sowie die Subventionierung. Nach Angaben des Center for International Economics in Australien würde der Weltmarktpreis um immerhin elf Prozent steigen, wenn die Subventionen über Nacht eingestellt würden. Danach sieht es nicht aus, auch wenn Bewegung in die Fronten gekommen ist, nachdem die westafrikanischen Staaten ihre Baumwollinitiative im Vorfeld der WTO-Ministerkonferenz in Cancún im vergangenen Jahr starteten.

Benin, Burkina Faso, Tschad und Mali prangerten ihre systematische Benachteiligung auf dem internationalen Markt an. »In der Praxis erhält ein Bauer in Benin rund 40 US-Cent für ein Kilogramm handgepflückter Baumwolle, ein Kilogramm aus US-Produktion wird hingegen mit 50 US-Cent subventioniert, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein«, schimpft Nouatin. Über zwei Millionen Kleinbauern leben in Benin mehr schlecht als recht vom Baumwollanbau. Rund 80 Prozent der Exporte entfallen auf Rohbaumwolle, die über Cotonou, den wichtigsten Hafen des Landes, exportiert werden. 40 Prozent des Bruttoinlandprodukts stammen aus dem Baumwollanbau. Neue Perspektiven sieht der Ökonom Nouatin in der Weiterverarbeitung des Rohstoffes im Land selbst. Der Anbau allein bietet längst keine Perspektive mehr.

Das liegt nicht nur an den Bedingungen des Weltmarktes, sondern auch an der rückläufigen Bodenqualität. Die lässt sich über den Bioanbau verbessern – auch ein Grund, weshalb Nouatin den organischen Anbau nicht mehr ablehnt. Das war lange anders, denn den Anbau von Baumwolle ohne den Einsatz von Pestiziden gegen Schädlingsbefall konnte sich der in traditionelle Stoffe gewandete Baumwollexperte nicht vorstellen. Nouatin hat dazugelernt, denn immer mehr Bauern klagen über ausgelaugte Böden und einen immer höheren Bedarf an Kunstdünger. Auch in der Nachbarschaft von Matasar, wie Nicolà bestätigt.

Längst ist er vom Feld zurück auf dem zentralen Platz des Dorfes und tauscht sich mit einigen Bauern über Erfahrungen mit dem Anbau und über den Düngemittelbedarf aus. Der ist beim ökologischen Anbau immens. »Zehn Tonnen Kompost pro Hektar sind optimal«, sagt Saro Gerd Ratter. Der deutsche Agraringenieur hat vielfältige Erfahrungen im Biobaumwollanbau, nicht nur in Afrika. Ökolandbau bedeutet wesentlich mehr Arbeit für die Bauern, aber die zahlt sich auch schnell in besserer Bodenqualität und gesünderen Produkten aus. Die Verfügbarkeit von ausreichend organischem Material ist für Ratter ebenso eine Voraussetzung für ein erfolgreiches Umstellungsprojekt wie der garantierte Absatz des Endprodukts.

Doch den Wechsel zum organischen Anbau gibt es nicht umsonst. Der kostet Zeit und Geld. Drei Jahre dauert er mindestens, und die Fachleute, die den Prozess begleiten, kontrollieren und die Anbaufläche letztlich zertifizieren, wollen auch bezahlt sein. Ohne Zertifizierung ist der Export der Baumwolle nach Europa, Japan oder in die USA, die potenziellen Absatzmärkte, undenkbar. Wovon die Bauern in der Umstellungsphase leben sollen, muss geklärt sein, gibt Ratter, der ein schweizerisches Biobaumwollprojekt in Tansania berät, zu bedenken. »Ideal ist es, wenn ein Abnehmer bereit steht, der sowohl die konventionelle als auch die ökologisch produzierte und zertifizierte Ware abnimmt und obendrein noch für die Zertifizierungskosten aufkommt.« Das aber ist selten.

Doch einige wenige Beispiele gibt es. So hat das Hamburger Otto-Versandhaus die Umstellung von konventionellem zu ökologischem Anbau in einem Gebiet in der Türkei finanziert, die gesamte Verarbeitungskette optimiert und ein eigenes Öko-Baumwolllabel auf den Markt gebracht: »Pure Wear«. Rund 600 Tonnen Biobaumwolle werden derzeit verarbeitet, die Tendenz ist steigend.

In der Schweiz steht die Remei AG für die Erfolgsgeschichte von Biotextilien, die in den rund 1 100 Coop-Supermärkten angeboten werden.

»Bisher ist es ausgesprochen schwierig, Biobaumwolle an den Kunden zu bringen«, klagt Peter Ton. Der niederländische Agrartechniker der Beratungsagentur Agro Eco arbeitet mit der »Organisation für die Förderung des Bioanbaus in Benin« zusammen. Aus den Niederlanden kommen auch die Gelder für die Finanzierung der Umstellung und Zertifizierung der Felder von Nicolà, Gabriel und den anderen. »In der Erntesaison 2002/03 wurden 185 Tonnen Öko-Baumwolle auf rund 400 Hektar Fläche geerntet, im vergangenen Jahr waren es wegen klimatischen Problemen rund 130 Tonnen, und während der noch laufenden Ernte sollen es erstmals über 200 Tonnen sein«, sagt Vodouhe. Auch bei Nicolà, Gabriel und den anderen Bauern des aus Lehmhütten bestehenden Dorfes herrscht große Zuversicht. Sie wissen allerdings nicht, dass die Ernte des Vorjahres noch nicht verkauft, sondern in Lagerhallen in Cotonou verstaut ist. Der niederländische Partner, der sich um den Absatz kümmern sollte, hat das versäumt. Derzeit suchen die Beniner Biobauern und Peter Ton händeringend nach Interessenten.

Auch das ist ein Grund für den Besuch der ausländischen Delegation in Matasar. Die besteht nicht nur aus Agrarfachleuten wie Peter Ton und Saro Gerd Ratter oder Pestizidspezialisten wie Alexandra Baier, sondern auch aus Marketingexperten, Designern und Textilherstellern aus Westafrika wie Europa. Einen Eindruck der Produktionsbedingungen vor Ort sollen sie erhalten, und dazu gehört auch der Trip nach Lokassa in die Spinnerei.

Staunend steht Nicolà Abigoumout vor den großen Maschinen, in denen die Baumwolle gereinigt, die Fasern geordnet und zum Spinnen vorbereitet werden. Der Bauer besucht zum ersten Mal eine moderne Baumwollspinnerei und ist überrascht, dass die surrenden Maschinen bis zu 20 Tonnen der weißen Fasern täglich verarbeiten können. Das hätte er nicht erwartet. Rund 4 000 Tonnen Baumwollfasern kann die Fabrik aus chinesischer Produktion im Jahr verarbeiten. Hergestellt werden vor allem Stoffe für den regionalen Markt, der Export steht nicht im Vordergrund. Das ist für den Baumwollrepräsentanten Nouatin die zentrale Herausforderung. »Erst durch die Weiterverarbeitung werden neue Arbeitsplätze geschaffen und mehr Geld verdient«, argumentiert er.

Für Vodouhe ist dies aber erst der übernächste Schritt. Er hat mit dem Spinnereiunternehmen über die Verarbeitung der eigenen Baumwolle verhandelt. Eine Option, um den Lagerbestand zu verarbeiten und Platz für die neue Ernte zu schaffen. Die andere Option soll sich in den nächsten Wochen konkretisieren: Ein französischer Textildesigner hat Interesse am Biobaumwollprojekt gezeigt und will einige Tonnen vor Ort weiterverarbeiten lassen. Vodouhe hofft, dass aus dem Deal etwas wird, denn schließlich steht die Ernte vor der Tür. Und bezahlen kann er seine Bauern erst, wenn er zumindest einen Teil der Lagerbestände verkauft.