Aktion Orange

Jung, poppig, liberal, lautete das Erfolgsrezept der Jugendorganisationen Otpor in Serbien und Pora in der Ukraine. Auch in Russland hat sich eine Gruppe namens Pora gebildet, die wie ihre Vorbilder die Regierung stürzen will. von ute weinmann

An einem späten Abend Anfang Februar bricht eine kleine Gruppe junger Leute zu einer Aktion auf, die für Moskau recht ungewöhnlich ist. Sie fährt durch die Stadt und hinterlässt vor den Büros der regierungsnahen Partei Jedinaja Rossija (Einiges Russland) jeweils eine in orangefarbenes Tuch und hellblaues Band eingewickelte Puppe mit dem Antlitz des russischen Präsidenten Wladimir Putin. »Nehmt euer Findelkind wieder zurück!«, lautet die Botschaft. »Es ist nicht Sache einer Puppe, anderen vorzuschreiben, wie man richtig zu leben hat, wer schuld ist und was es zu tun gibt«.

Stolz berichten tags darauf in einem Moskauer Café vier junge Männer von der Aktion. Sie sind Mitglieder der Jugendbewegung Pora, was im Russischen wie im Ukrainischen bedeutet: »Es wird Zeit.« Die Parallele kommt nicht von ungefähr, versuchen die russischen Aktivisten von Pora doch, ihr gleichnamiges ukrainisches Vorbild nachzuahmen. Bei den Protesten gegen die Unregelmäßigkeiten bei der ukrainischen Präsidentschaftswahl im vergangenen Spätherbst spielte Pora eine wichtige Rolle und unterstützte die Aktionen für den jetzigen Präsidenten, Viktor Juschtschenko, und gegen den Kandidaten Moskaus, Viktor Janukowitsch.

Finanzielle und logistische Unterstützung erhielt Pora von ukrainischen Oligarchen, aber auch aus westlichen Quellen, etwa von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Wie hoch die Summen waren, ist unbekannt. Die Vorgehensweise von Pora orientierte sich an der Studentenorganisationen Otpor und Kmara, die beim Sturz der serbischen Regierung im Jahr 2000 bzw. der georgischen Anfang 2004 eine wichtige Rolle einnahmen. Auch die russische Pora will nicht weniger, als die Führung im Kreml zu stürzen.

Doch ist Pora nicht gleich Pora. Bevor sich in der Ukraine vor knapp einem Jahr die dort mittlerweile allgegenwärtige Gruppe bildete, die wegen ihrer Symbolik – eine Uhr im »O« im Namenszug vor einem leuchtend gelben Hintergrund – als »gelbe Pora« gilt, entstand aus den Überbleibseln der »Bewegung Ukraine ohne Kutschma« und ehemaligen studentischen Gruppen, die zu Beginn der neunziger Jahre für eine unabhängige Ukraine demonstrierten, die »schwarze Pora«. Die »schwarze Pora« ist politisch profilierter, finanziell aber viel schlechter ausgestattet.

Zwar kämpften beide Gruppen für den Sturz des autoritären Kutschma-Regimes. Doch die Vorstellungen von den künftigen Aktivitäten gehen weit auseinander. Die »schwarze Pora« erweckt eher den Eindruck einer unabhängig agierenden Bewegung ohne machtpolitische Ambitionen und sieht ihre Aufgabe in einer Art Bürgerkontrolle, die über die Gesetzesprojekte der neuen Regierung wachen soll. Die »gelbe Pora« hingegen ist bereits dabei, eine eigene Partei zu gründen.

Das Erfolgsmodell Pora scheint auch weiter östlich Attraktivität zu besitzen. Gerüchten zufolge sollen in Russland auch eine »rote«, eine »braune« und die »russische Pora« existieren. Letztgenannte bevorzugt ein freundliches Orange, wenngleich ihre Sympathie, wie die Aktivisten beteuern, angeblich der »schwarzen Pora« gilt.

In Russland seien sie völlig unbekannt, erzählen die jungen Männer. Die russischen Medien ignorierten sie, dennoch sei es ihnen dank ausgiebiger Werbung in der Ukraine gelungen, in letzter Zeit einen Zulauf zu verzeichnen. Auf einer Internetseite kann man sein Interesse an einer Mitarbeit anmelden. 200 Interessierte sollen es allein in Moskau sein, zudem kämen aus den Regionen noch etwa 400 hinzu. Doch der aktive Kern scheint überschaubar. Um nicht zu sagen: Es existiert vermutlich gar keine Bewegung im eigentlichen Sinne, sondern lediglich ein PR-Projekt mit überzogen optimistischer Ausstrahlung.

Stanislaw, eine Art Pressesprecher der Gruppe, schwärmt selbstzufrieden davon, dass Pora in Russland ein positives Markenzeichen mit hohem Erkennungswert sei. Wer es aber riskiert, sich ein paar Tage lang mit orangefarbenen Attributen durch Moskau zu bewegen, merkt schnell, dass mit dieser Farbe keine auch nur halbwegs wohlwollende Reaktion zu gewinnen ist. Aber die Widersprüchlichkeit ihrer Aussagen scheint die Jungs keineswegs zu irritieren. Zudem stellt sich die Frage, weshalb die Medien sich um die Berichterstattung über eine kleine Gruppe ambitionierter junger Funktionäre reißen sollten, nur weil sie sich ein bekanntes Label angeeignet hat. Ein paar Puppen hier und ein paar orangefarbene Bändchen dort reichen dafür jedenfalls nicht aus.

»Es braucht neue Methoden«, erläutert Stanislaw, »um mit Putin und seiner Politik endlich Schluss zu machen.« Vor allem mittelständische Unternehmen und kleine Firmen hätten unter den derzeitigen politischen und ökonomischen Bedingungen zu leiden, was zu einer zunehmenden Emigrationsbereitschaft bei jungen und gut ausgebildeten Leuten führe. Dagegen will die russische Pora mit einem Bündnis junger Menschen vorgehen, vorzugsweise Studierender, die politisch nicht festgelegt, aber patriotisch ausgerichtet sind.

Was sie mit Patriotismus meinen? Eine eindeutige Definition fällt den Aktivisten schwer, ihre Versuche zu erklären, warum Patriotismus notwendig sein soll, sind äußerst phrasenhaft und wenig überzeugend. Schließlich gibt sich in Russland fast jeder patriotisch, auch der größere Teil des politischen Establishments. Was freilich niemanden daran hindert, Kapital ins Ausland zu transferieren oder sich an einer Politik zu beteiligen, die es erlaubt, dass selbst traditionsreiche Betriebe die Löhne erst Monate verspätet oder überhaupt nicht auszahlen.

Der soziale Bereich sei natürlich ein Problem, sagen die Pora-Aktivisten. An den derzeitigen Protesten gegen die Streichung bzw. Kürzung von Sozialleistungen beteiligen sie sich aber nicht. Schließlich habe sie bislang niemand dazu aufgefordert, und sie wollten sich niemandem aufdrängen. Sie rechnen damit, dass sich junge Menschen von selbst politisieren und engagieren. Etwa gegen die anstehende Wehrdienstreform, mit der die bislang mögliche Rückstellung von Studierenden und anderen aufgehoben oder zumindest stark einschränkt werden soll. Tatsächlich machen immer mehr politisch aktive Jugendgruppen durch eigene Aktionen oder ihre Teilnahme an Protestkundgebungen auf sich aufmerksam, beispielsweise die in Abgrenzung zur so genannten Putin-Jugend agierende »iduschtschije bez Putina« (»Die ohne Putin gehen«).

Finanzielle Hilfe erhält die russische Pora bislang nicht, betonen die vier immer wieder rechtfertigend. Ohne Geld sei an große Events nicht zu denken. Aber sie stünden ja erst am Anfang ihrer Tätigkeit. Andrej, der am meisten Energie und Zuversicht ausstrahlt, berichtet lachend von seiner Bekanntschaft mit dem exilierten so genannten Oligarchen Boris Beresowskij, für dessen Partei Liberales Russland er selbst tätig war. Dass er gegenwärtig den Posten eines hochrangigen Funktionärs in der Union der demokratischen Kräfte, der neuen Parteischöpfung von Boris Abramowitsch, einnimmt, ist Andrej keine Erwähnung wert. Dabei ist auf der Homepage zu lesen: »Hinter unserer Bewegung stehen keine voll gefressenen Oligarchen, vom Volk losgelöste Beamte oder allen verhasste Politiker.« Pora sei etwas ganz anderes, keine Partei wie all die anderen, sondern ein Sammelbecken für alle Regimegegner. Es gebe auch keine Führungspersonen wie in anderen russischen Parteien, stattdessen sollen wichtige Posten nach dem Rotationsprinzip besetzt werden.

Mit Parteipolitik kennt sich auch Viktor gut aus. Er wirkt nicht wie ein dynamischer Aktivist einer Bewegung neuen Typs, sondern erinnert in seiner ernsten, finsteren Art an einen jungen Apparatschik sowjetischer Prägung. Tatsächlich entspricht seine politische Biografie diesem Erscheinungsbild: Studium an der Moskauer Eliteuniversität für internationale Beziehungen, anschließend Tätigkeit im Apparat der Kommunistischen Partei von Gennadij Sjuganow und im kommunistischen Jugendverband. Zwar teilt er die parteikritischen Bemerkungen seiner Freunde, nimmt aber eine vehemente Verteidigungshaltung ein, sobald die Rede auf die Nachfolgepartei der KPdSU kommt. Auf die lässt er nichts kommen. Wäre er seiner alten politischen Heimat treu geblieben, hätte er dort vielleicht noch Großes vollbringen können.

Großes hat auch Pora vor. Im Manifest der Gruppe ist zu lesen: »Wir werden unsere gesetzlich garantierten Rechte verteidigen, indem wir einander helfen und versuchen, einen Dialog mit der Staatsmacht zu führen, aber nicht aus der Position einer fügsamen Kreatur, sondern aus der Position der zukünftigen Herren im Land.«

Also existiert doch ein gar nicht so versteckter politischer Führungsanspruch in der ansonsten überaus schwammigen Selbstdarstellung. Wenn alles gut läuft, soll der Weg direkt in den Kreml führen, daran besteht kein Zweifel. Nur wer der Anführer ist, wird nicht verraten. Auch was man machen will, wenn das Ziel erst erreicht ist, bleibt vorerst ein Geheimnis. Ein Programm im klassischen Sinne existiert nicht, aber das erscheint den Aktivisten vermutlich zu altmodisch und schlichtweg überflüssig. Bei Pora ist man davon überzeugt, dass junge Leute keine langwierigen programmatischen Erklärungen über sich ergehen lassen wollen. Was zählt, ist Entschlossenheit. »Wir selbst schaffen eine Staatsmacht, die auf uns hört, Politiker, die unseren Interessen ihre Aufmerksamkeit widmen. Wir selbst werden Politiker sein und Staatsmacht. Die Zeit ist reif für uns«, heißt es im Manifest.

In jedem Fall sollen sich die Aktivitäten im Rahmen der gültigen Rechtsnormen bewegen. »Wenn wir 30 000 wären oder zumindest 10 000, würden wir auch eine Blockade organisieren, dann wären wir im Recht«, sagt Andrej. Das wiederum klingt weit weniger entschlossen als die Aussagen im Manifest, ja fast ein wenig zaghaft für ein solch ambitioniertes Projekt. Mit der Nationalbolschewistischen Partei (NBP) des Eduard Limonow, die bei jungen Menschen in Russland eine wachsende Popularität genießt, wollen sich die Pora-Leute nicht vergleichen lassen. Schließlich lehnt man auch deren illegale Taktik ab.

Sieben Anhänger der NBP wurden vor kurzem zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie aus Protest gegen die im vergangenen Sommer verabschiedeten Sozialreformen die Arbeitsräume des Gesundheitsministers Michail Zurabow besetzt hatten. Dabei wurden mehrere Computer beschädigt. Weiteren 39 nationalbolschewistischen Aktivistinnen und Aktivisten soll demnächst der Prozess wegen der Teilnahme an Massenunruhen gemacht werden. Die ursprüngliche Anklage lautete gar auf »versuchte Machtergreifung«.

In Wirklichkeit war der vermeintliche Putschversuch lediglich eine Protestkundgebung gegen die Politik des Kremls in öffentlich zugänglichen Räumen der Präsidialadministration.

Bei aller notwendigen Kritik an der faschistoiden Ausrichtung der Partei stehen die Anklagepunkte in keinem Verhältnis zu den Ausmaßen der Protestaktionen. Die NBP profitiert allerdings immens von ihren politischen Häftlingen und gewinnt an Popularität sogar unter Leuten, die sich unlängst noch heftig von ihr distanziert haben. Von derlei Erfolgen kann die russische Pora nur träumen. Im Moment zählt die Nationalbolschewistische Partei nach eigenen Angaben 15 000 Mitglieder; es müssen nach dem neuen Parteiengesetz jedoch mindestens 50 000 werden, um an den kommenden Parlamentswahlen teilnehmen zu können. Die Beitrittskampagne läuft auf Hochtouren, seitdem die Heldentaten der NBP in aller Munde sind. Unter den neu geworbenen Mitgliedern befinden sich neben jugendlichen Anhängern auch besonders viele Menschen im Rentenalter.

Den Nationalbolschewisten kommt nicht nur das Mitgefühl mit den »Maltschiki« und »Dewotschki« zugute, den »Jungs« und »Mädels«, die im Gefängnis sitzen. Sie bedienen auch Ressentiments gegen »die Schwarzen«, sprich: Kaukasier, Tadschiken und sonstige dunkelhäutige »Fremde«, gegen die die Partei offen hetzt.

Über eine mögliche politische Verfolgung machen sich hingegen die Pora-Mitglieder keine Gedanken. Sie reden lieber allgemein über das Scheitern der großen Parteien und über ihre eigenen Vorstellungen von politischem Engagement, als sich über mögliche künftige Probleme mit der Staatsmacht oder über die Konkurrenz innerhalb der wachsenden Zahl oppositioneller Gruppierungen zu sorgen.

Die ukrainischen Verhältnisse, von denen sie träumen, dürften in Russland aber schwer zu realisieren sein. Nicht allein deshalb, weil es den unterschiedlichen oppositionellen Kräften bislang an einer Alternative zu Putin mangelt, sondern auch, weil das politische Klima in Russland wesentlich rauer ist als beim Nachbarn. Den Kampf um die Nachfolge des Präsidenten dürften rivalisierende Eliten im Machtapparat untereinander ausfechten, anstatt das Feld anderen zu überlassen.

Aber die Aktivisten von Pora sind sich sicher, dass sie eines Tages gebraucht werden. Und sollte ihr Projekt wider Erwarten weder Geld noch Prestige bringen, gibt es für sie bestimmt auch anderswo Verwendung. Zum Beispiel bei der Putin-Jugend. Die Kontakte, so Stanislaw, werden bei regelmäßigen Kneipenbesuchen gepflegt.