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Werbung als Religionsersatz in der postmodernen Gesellschaft. von gottfried oy

Wer sich heute noch darüber aufregt, dass Werber, ohne rot zu werden, von einer »Philosophie« eines bestimmten Produktes oder einer Marke sprechen, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. War es vor Jahrzehnten vielleicht einmal legitim, den Begriff der Philosophie retten zu wollen, so sind heute Markenimages sozusagen lebenspraktische Umsetzung konstruktivistischer Theorie: Die Marke stellt Subjektivitäten – die der Käufer und die der vielen Angestellten der globalen Big Brands – überhaupt erst her. Insofern ist sozusagen die Macht der Marken der Kitt der postmodernen Gesellschaft in fragilen, immateriellen Zeiten.

Während in kritischen Analysen in der Regel die Krisenhaftigkeit postmoderner Produktionsweisen in den Vordergrund gestellt wird, betont Martin Baltes, Herausgeber eines Bandes über »Marken – Labels – Brands«, hingegen deren Stabilität – dank der Macht der Marken. Diese Macht stehe beispielhaft für die Auswirkungen der Immaterialität. Die materiellen Produkte sind letztlich austauschbar: Ob nun mit swoosh oder den drei Streifen, produziert wird unter den gleichen miserablen Bedingungen und mit denselben, möglichst billigen Materialien. Eine funktionierende Markenpolitik zeichne sich indes dadurch aus, dass sie »als Ersatz für das Produkt eine Community aufbaut, mit Werten, Ansichten, Gefühlen, Bilderwelten«. Und die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft kann man sich über den Kauf der Produkte sichern, so einfach ist das Erfolgsrezept.

Grundlagentexte von Karl Marx über Max Horkheimer und Theodor W. Adorno bis Vance Packard, Roland Barthes, Jean Baudrillard oder Klaus Theweleit, aber auch Texte von Werbern und PR-Strategen zeichnen die Entwicklung von PR, Werbung und Kulturindustrie hin zum Branding, der modernen Markenpolitik, nach. Immer wieder kommen dabei die »religiösen Aspekte der Warenwirtschaft«, wie der Markenberater Alexander Schubert sie nennt, zur Sprache. Schon Marx erkannte, dass die Ware »metaphysische Spitzfindigkeiten und theologische Mucken« entwickle, wie es im berühmten Fetischkapitel des »Kapitals« heißt.

Im Übergang von der Ware zur Marke etabliere sich, so Schubert, ein Bedeutungssystem mit Parallelen zu »mythischen bzw. religiösen Diskursen«: So wie Kreuz, Davidstern und Halbmond Identifikationsangebote waren und sind, so werden der goldene McDonald’s-Bogen, der Mercedesstern und andere Symbole der Markenmacht in religiöser Ehrfurcht verehrt.

Wobei es eine zentrale Bedeutungsänderung gegeben hat: Wesentliche Funktion der Markenbotschaft ist heute die Motivation der eigenen Belegschaft. Hier ist die Schnittstelle zwischen Konsumtions- und Produktionssphäre, insofern ist heute eine Analyse dieser beiden Bereiche auch nicht mehr zu trennen. Inzwischen geht die Macht der Marke sogar so weit, dass sie sich »ihre Antithese einverleibt«, wie Schubert das nennt: So genannte No-Name-Produkte oder Billigmarken sind so erfolgreich, weil sie das Erfolgsrezept der Community-Bildung weitertreiben, auch Gehirnwäsche-Parolen wie »Geiz ist geil« wirken identitätsstiftend.

Mit Paolo Landi, Werbedirektor bei Benetton, kommt schließlich auch noch ein Apologet der neuen Werbung zu Wort: »Durch den Schritt in die Welt der Werte befreit die Marke das Produkt aus dem Kontext von Ware und Fertigung und macht es zu einem eigenständigen sozialen Wesen.« Wenn die Identität einer Marke sich etabliert hat, wird das Produkt selbst zu einem Attribut der Marke; es muss in der Werbung nicht mehr gezeigt werden. Selbst die heile Welt der Werbung ist nicht mehr notwendig, und auch Konflikte werden zu Werbezwecken darstellbar. Nur der letzte radikale Schritt – nämlich gar keine Werbung mehr zu machen – ist für Landi nicht denkbar, würde er sich damit doch nur selbst wegrationalisieren.

Inzwischen, so Baltes, sei allerdings eine weitere Entwicklungsstufe erreicht, das Branding so intelligent, dass es sich seiner Kritik bediene: »Seither ist Selbstironie so korrumpiert, dass man sich davor hüten muss«, wird Naomi Klein, Wegbereiterin der »No Logo«-Anti-Markenbewegung, zitiert. Baltes schließt mit einem Aufruf zu einer Art zweiter Aufklärung, obwohl oder vielleicht weil die Situation so ausweglos erscheint: »Letztlich ist die Marke wie Gott. Sie besteht nur aus unserem Glauben an sie. Ist der zerstört, ist alles vorbei.«

Und das lässt doch wieder hoffen – um im religiösen Jargon zu bleiben.

Martin Baltes (Hg.): Marken – Labels – Brands. Orange Press, Freiburg 2004, 223 S., 15 Euro