Folter ohne Grenzen

Die Regierung der USA hat Gefangene an Staaten übergeben, in denen sie gefoltert wurden. Präsident Bush soll diese Praxis genehmigt haben. von william hiscott

Die Regierung George W. Bushs muss immer weiter entfernte Orte für die Unterbringung der Gefangenen des »Kriegs gegen den Terror« aussuchen, um sie dem Zugriff der US-amerikanischen Justiz zu entziehen. Das Gefangenenlager im kubanischen Guantánamo war eingerichtet worden, weil es nicht auf dem Territorium der USA und nach Ansicht der Regierung auch außerhalb des Geltungsbereichs der Justiz liegt. Das Oberste Gericht sah das anders und sprach den Inhaftierten das Recht zu, Gerichte in den USA anzurufen.

Nun soll mehr als die Hälfte der derzeit etwa 540 Gefangenen verlegt werden, neue Internierungslager sind in Saudi-Arabien, Afghanistan und im Jemen vorgesehen. Der New York Times erklärten Mitarbeiter des Pentagon, dass »nachteilige Gerichtsurteile zu ihrer Entscheidung beigetragen« hätten.

Eine unabhängige Kontrolle der Haftbedingungen in Guantánamo gab es nie. Doch jede Untersuchung verhindern konnte die Regierung nicht. Da die Veröffentlichung der Haftbedingungen durch den Freedom of Information Act juristisch erzwungen werden kann, wurde bekannt, dass eine Kommission des FBI sich über die Anwendung von »Foltertechniken« bei den Verhören beschwert hatte. An den Haftbedingungen hat das zwar nichts geändert, doch solche Enthüllungen sind unbequem für Bush.

In Ländern wie Saudi-Arabien geht es diskreter zu. Und dort können auch keine Journalisten recherchieren und der Regierung Probleme bereiten.

Die detailliertesten Enthüllungen über Folterpraktiken im »Krieg gegen den Terror« erscheinen in der Wochenzeitschrift The New Yorker, dem Blatt der liberalen Ostküstenelite. Dort erschien im Frühjahr 2004 die Recherche Seymour Hershs, der den Folterskandal im irakischen Abu Ghraib aufdeckte, später präsentierte er Indizien dafür, dass die Folter von der Regierung genehmigt und angeordnet worden war.

Anfang Februar berichtete Jane Mayer ebenfalls im New Yorker über eine weitere Methode der Informationsgewinnung. Der US-amerikanische Geheimdienst CIA bringt im »Krieg gegen den Terror« verhaftete Verdächtigte in ausländische Staaten, um sie dort verhören zu lassen. Diese Gefangenen seien in mehreren Fällen psychisch und körperlich gefoltert worden. Mayer beschreibt sexuelle Erniedrigungen, Schikanen und Schläge, ähnliche Praktiken wie in Abu Ghraib, und nennt drei Personen, die gefoltert wurden. Eine von ihnen wurde inzwischen freigelassen und strebt einen Gerichtsprozess an. Amnesty International dokumentiert einen weiteren Fall.

Die Zahl der Gefolterten dürfte jedoch wesentlich größer sein. Bereits unter Präsident Bill Clinton wurde die rendition (Übergabe) von Gefangenen an Staaten praktiziert, in denen Folter eine übliche Verhörmethode ist. Gestützt auf Aussagen von ehemaligen und noch aktiven Regierungsbeamten und CIA-Funktionären urteilt Mayer, das Programm sei nach dem 11. September 2001 »aus den Fugen geraten«. Es sollen dutzende, wenn nicht hunderte Menschen an Staaten wie Syrien, Marokko, Jordanien und Ägypten ausgeliefert worden sein, um dort verhört zu werden. Es handelt sich hierbei um Länder, denen das US-amerikanische Außenministerium eigentlich Menschenrechtsverletzungen und Folter vorwirft.

Berichte über geheime Gefängnisse der CIA und anderer Geheimdienste kursieren seit Jahren, Gerüchte über die rendition kamen bereits Ende 2001 auf. Doch erst in den vergangenen Monaten ließen sie sich durch überprüfbare Fakten erhärten. Ende Januar sah sich Bush zu einem Dementi gezwungen. »Folter ist niemals akzeptabel, und wir liefern keine Menschen aus an Länder, die foltern«, behauptete der Präsident in einem Interview mit der New York Times. Außenministerin Condoleezza Rice und Justizminister Alberto Gonzales haben sich ähnlich geäußert.

Gonzales vertrat jedoch in einem Memorandum für Bush im Januar 2002 die These, dass durch »die neuen Paradigmen (des Krieges) die strengen Genfer Beschränkungen bei der Befragung von Gefangenen überholt« seien. Das Memorandum gilt als Grundlage für die Folterpraktiken in Abu Ghraib und Guantánamo sowie für die rendition.

Nach Recherchen der New York Times, die in ihrer Ausgabe vom 5. März veröffentlicht wurden, hat George W. Bush kurz nach dem 11. September 2001 die rendition genehmigt. Mit einem Geheimdekret habe er es der CIA erlaubt, unter vollständiger Geheimhaltung ohne Kontrolle durch den Kongress oder die Regierung Gefangene an ausländische Regierungen zu übergeben. Die CIA soll das in 100 bis 150 Fällen, das Pentagon in etwa 60 Fällen getan haben.

Die CIA untersteht direkt dem Präsidenten, Bush und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wird eine direkte Verantwortung für die Folterpraktiken unterstellt. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten.

Dan Bartlett, ein Berater des Weißen Hauses, wies die Vorwürfe schlicht zurück: »In Amerika foltern wir nicht, und wir exportieren die Folter nicht«, sagte er dem Nachrichtenkanal CNN. »Das wäre inakzeptabel für den Präsidenten. Es ist etwas, was wir nicht tolerieren.«

Justizminister Gonzales bestätigte die rendition und ihre Billigung durch das Weiße Haus, die er im Januar noch bestritten hatte. Gleichzeitig ließ er wissen: »Unsere Verfahrensweise ist, dass wir Menschen nicht an Länder übergeben, wenn wir glauben oder wissen, dass sie dort gefoltert werden.« Allerdings gab er zu, dass »wir nicht vollständig kontrollieren können, was ein solches Land tun könnte«.

Die wiederholten Versuche einiger demokratischer Kongressabgeordneter, diese Vorwürfe offiziell zu untersuchen, wurden bislang von der republikanischen Mehrheit strikt blockiert. Ohnehin haben sich bislang nur wenige Kongressmitglieder zu den Foltervorwürfen geäußert. Einer der wenigen Befürworter einer Untersuchung, der demokratische Kongressabgeordnete Edward Markey, fordert die Veröffentlichung und Aufhebung von Bushs Geheimdekret zur rendition, »damit die Amerikaner sicher sein können, dass wir weder selbst foltern noch Folter in andere Länder outsourcen«.

Bislang haben die Foltervorwürfe der Regierung kaum geschadet, außerhalb der liberalen Medien und der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung hält sich die Empörung in Grenzen. Doch es gibt ständig neue Enthüllungen: In der vorigen Woche veröffentlichte Dokumente des Pentagon belegen ein Abkommen zwischen dem Militär und der CIA, irakische Gefangene aus der Buchführung herauszuhalten, um ihre Existenz vor dem Roten Kreuz zu verbergen. Es mehren sich auch die Belege für eine direkte Verantwortung des Präsidenten und des Pentagon für die Folterpraktiken.

Manche Politiker wie der republikanische Senator Jim Talent finden die Folterdebatte befremdlich: »Wenn unsere Jungs jemandem gegen die Brust stoßen wollen, um den Namen eines Bombenbauers zu erfahren und damit das Leben von Amerikanern zu retten, bin ich dafür.« Eine Untersuchung über die »systematische Anwendung inhumaner Taktiken« sei überflüssig, da »unsere Jungs und Mädels so etwas nicht tun würden«.