Im falschen Film

In Marokko wurden fünf Gewerkschafter unter fragwürdigen Umständen zu hohen Haftstrafen verurteilt. von bernhard schmid, paris

Schon lange hat kein politischer Konflikt in Marokko so viel Staub aufgewirbelt wie die außergewöhnlich harte Verurteilung von sechs Gewerkschaftern. Mitte Januar wurden fünf von ihnen im südmarokkanischen Ouarzazate zu zehn Jahren Haft verurteilt, ein sechster Aktivist erhielt eine Bewährungsstrafe.

Die Betroffenen kommen aus der Bergarbeiterstadt Imini im Süden des Atlasgebirges. Dort wird Mangan abgebaut, ein Rohstoff, der unter anderem zur Veredelung von Stahl benutzt wird. Im Oktober 2002 konnte die dort tätige Minengesellschaft, die zu 43 Prozent dem marokkanischen Staat gehört, mittels Androhung von Massenentlassungen eine Lohnsenkung um glatte 50 Prozent durchsetzen.

Doch der Protest gegen diese Erpressung dauerte die folgenden anderthalb Jahre über fort. Im April 2004 organisierten die örtlichen Behörden ein Rollkommando gegen den Sitzprotest, der vor dem Bergwerk weiterging. Rund 120 Arbeitslose und Tagelöhner wurden unter dem Vorwand, an den Drehort eines Films verfrachtet zu werden, dorthin gefahren. Der Streikbrechertrupp fiel prügelnd über die Protestierenden her, es gab zahlreiche Verletzte, überwiegend unter den Protestierenden. Aber auch einer der Angreifer wurde unter bisher ungeklärten Umständen verletzt und starb am folgenden Tag in einer Klinik. Die Krankenhausakten widersprechen aber der offiziellen Darstellung, wonach er einer Kopfverletzung erlegen sei.

Damit hatten die Behörden einen hervorragenden Vorwand. Mehr als ein Dutzend Gewerkschafter wurde wegen Mordverdachts und Landsfriedensbruchs verhaftet. Darunter befand sich der örtliche Gewerkschaftsvorsitzende, Mohammed Khouya, der am fraglichen Tag überhaupt nicht in der Stadt war. Nach den Verhaftungen setzte sich der Protest in Imini zwar fort, beschränkt sich seither aber weitgehend auf einen Kampf gegen die Repression.

Von Ende Dezember bis in den Februar führte Khouya einen sechswöchigen Hungerstreik durch. Das konnte nicht verhindern, dass er und fünf seiner Kollegen Mitte Januar in erster Instanz verurteilt wurden, wobei sich das Gericht wenig an einer Wahrheitsfindung jenseits der behördlichen Version interessiert zeigte.

Allerdings stieß der Prozess auf Widerstand. Kurz vor dem Berufungsprozess, der am Dienstag vergangener Woche begonnen hat, fuhr aus der Hauptstadt Rabat und aus der Wirtschaftsmetropole Casablanca eine Reihe von Bussen nach Ouarzazate, wo zwei Tage lang Protestaktionen stattfanden. Unterstützung kam auch aus dem Ausland. Aus Nord-Pas de Calais schickte eine Vereinigung marokkanischstämmiger ehemaliger Bergarbeiter und ihrer Familien eine Beobachterdelegation zum Prozess, französische Organisationen wie die linksalternative Eisenbahnergewerkschaft Sud Rail versandten Solidaritätsbotschaften.

Marokko zählt zu jenen Staaten, die der US-amerikanische Präsident George W. Bush Anfang Februar in seiner Rede zur Lage der Nation als Modellfall für die derzeit angeblich mit Hilfe der USA stattfindende Demokratisierung in der arabischen Welt nannte. Doch die Entwicklung geht in die entgegengesetzte Richtung, das Regime wird wieder autoritärer. Der alternde Monarch Hassan II. hatte in den neunziger Jahren eine innenpolitische Öffnung eingeleitet, um die bis dahin oppositionellen Sozialdemokraten zu integrieren. Von seinem Sohn Mohammed VI., der 1999 den Thron bestieg, erhoffte man sich anfänglich Reformen.

Frankreich gehört ebenso wie die USA zu den engsten Verbündeten der nach wie vor repressiven Monarchie. Der amerikanische Fernsehsender CBS berichtete Anfang vergangener Woche, dass Marokko zu jenen Folterstaaten gehört, in denen US-amerikanische Behörden Gefangene verhören lassen.