Knast für Ketzer

Die britische Regierung will ein umstrittenes Gesetz gegen religiöse Diskriminierung durchsetzen. von udo wolter

Hätte es in Holland bereits ein solches Gesetz gegeben, könnte Theo van Gogh möglicherweise noch leben – im Gefängnis, wo er zusammen mit seiner Drehbuchautorin Ayaan Hirsi Ali wegen der ihrem Film »Submission« unterstellten »Anstachelung zu religiösem Hass« einsitzen würde. Die Rede ist von einem Gesetzesvorhaben der britischen Regierung, das, seit es im Juli 2004 vom damaligen Innenminister, David Blunkett, vorgelegt wurde, von heftigen Debatten begleitet wird. Die Gesetzesvorlage liegt nun beim Oberhaus, der letzten Instanz. Dort soll in den nächsten Tagen darüber entschieden werden.

Wenn die Vorlage angenommen wird, kann in Zukunft »Aufstachelung zum Hass gegen Gruppen aufgrund ihres religiösen Glaubens oder wegen fehlenden religiösen Glaubens« durch beleidigende oder verletzende Äußerungen mit sieben Jahren Gefängnis bestraft werden. Damit soll eine angebliche Gesetzeslücke in den bereits existierenden Bestimmungen zur Verfolgung rassistischer Hetze geschlossen werden, die nach dem Ausbruch »islamophoben« Hasses nach dem 11. September 2001 offenbar geworden sei. Rassistische Organisationen wie die British National Party (BNP) hätten in Kenntnis bestehender Gesetze gegen rassistische Hasspropaganda einfach den Begriff »Muslime« anstelle ihres üblichen rassistischen Vokabulars benutzt, lautet die Argumentation derjenigen, die die Gesetzesänderung befürworten.

Vor allem Vertreter islamischer Verbände wie Iqbal Sacranie vom Muslim Council of Britain argumentieren, die geltenden strafrechtlichen Bestimmungen gegen Rassismus würden sich nur auf »mono-ethnische« religiöse Gruppen wie Sikhs oder Juden beziehen und »multi-ethnische Glaubensgemeinschaften« wie die Muslime und Christen außer Acht lassen.

Gegen die Existenz einer Gesetzeslücke spricht allerdings nicht nur die Tatsache, dass die Strafbestimmungen bereits in Hinblick auf religiöse Verunglimpfung ergänzt wurden. So konnte ein Aktivist der BNP, weil er nach dem 11. September ein Transparent mit der Aufschrift »Islam raus aus Großbritannien« aus dem Fenster hängte, problemlos verurteilt werden. Was von der Regierung als Gesetz zur Wahrung religiöser Freiheiten verkauft wird, erweist sich als Anti-Islamophobie-Gesetz mit bedrohlichen Folgen für die Redefreiheit.

Gegner der Gesetzesvorlage sind nicht nur rechte Konservative und evangelikale Christen, sondern auch Prominente wie der Komiker Rowan Atkinson (»Mr. Bean«) und der britische Pen-Club. Die linksliberale Journalistin Polly Toynbee räsonierte im Guardian angesichts der »seltsamen Bettgenossen« in der Kampagne gegen das Gesetz: »Die natürlichen Verbündeten der Rationalisten haben sich verdrückt. Die Linke umarmt den Islam wegen seines Antiamerikanismus. Liberale und Progressive haben eine kollektive Hirnerweichung erlitten und weiche Knie bekommen.«

Im Innenministerium wird zwar beteuert, das Gesetz diene nur dem Schutz vor der Hasspropaganda der Neonazis und Islamisten und ziele keineswegs darauf ab, Satire über Religionen oder Kritik an Glaubensvorstellungen zu verbieten. Gegner des Gesetzes befürchten dennoch, dass religiöser Intoleranz und der Zensur von Religionskritik Tür und Tor geöffnet werde. Der Schriftsteller Salman Rushdie mutmaßt, dass er wegen der »Satanischen Verse« erneut und diesmal juristisch verfolgt werden könnte. Bei der Anhörung zu der Gesetzesvorlage im Unterhaus am 7. Februar hat sich der Labour-Abgeordnete Khalil Mahmoud bereits dahin gehend geäußert. Rushdies Roman enthalte »bewusst beleidigende Schimpfwörter« gegen den Islam, und die Beurteilung des Buches »obliege den Gerichten«, falls das Gesetz angenommen werde.

Der liberale Publizist und Moderator Kenan Malik schreibt in einem Essay über den »Mythos Islamophobie«, dass alle Vertreter muslimischer Verbände, mit denen er gesprochen habe, mit dem geplanten Gesetz gegen die »Satanischen Verse« vorgehen wollten. Das Ausmaß islamophober Ressentiments sei Malik zufolge bewusst übertrieben worden. Zugleich habe man bei vielen Muslimen überzogene Erwartungen an das Gesetz geweckt. Die durch die ständige Beschwörung einer angeblich allgegenwärtigen Islamphobie verbreitete Belagerungsmentalität unter der muslimischen Bevölkerung würde noch weiter verfestigt.

Die Bedrohung der Meinungsfreiheit geht jedoch keineswegs nur von islamistischen Eiferern aus. Wie angespannt das Klima bereits ist, zeigt ein Vorfall in Birmingham. Im Dezember musste am dortigen Theater das Drama »Behzti« (Schande) der jungen Autorin Gurpreet Kaur Bhatti nach Ausschreitungen aufgebrachter Sikhs abgesetzt werden. In dem Theaterstück wird patriarchale Gewalt in der Sikh-Community durch die Darstellung von Vergewaltigung und Mord in einem Tempel angeprangert. Die Regierung habe nichts unternommen, um dem kriminellen Treiben ein Ende zu setzen und der künstlerischen Freiheit zu ihrem Recht zu verhelfen, klagte Salman Rushdie nach der Absetzung.

Auch evangelikale Christen haben Blut geleckt und ziehen mit mittlerweile fast 50 000 Beschwerden gegen die von der BBC geplante Ausstrahlung des Musicals »Jerry Springer – the Opera« zu Felde, weil darin angeblich gotteslästerlich und obszön geflucht wird und ein lächerlicher Jesus in Windeln zu sehen ist.

Auf der Seite der Gesetzesgegner finden sich ebenfalls Evangelikale und neuerdings sogar einige muslimische Verbände. Ihr Herz für das Recht auf Gotteslästerung haben sie jedoch keineswegs entdeckt. Sie befürchten vielmehr, dass mit dem Gesetz gegen wechselseitige Missionierungsversuche vorgegangen werden könnte. Ein ähnliches Gesetz hat in Australien zu zahlreichen Klagen von Evangelikalen und Islamisten wegen gegenseitiger Bekehrungsaktionen geführt.

Die Gesetzesvorlage wurde nach kleinen Veränderungen zur Beschwichtigung der Kritiker im Unterhaus angenommen. Das sture Festhalten von New Labour an einem derart heftig kritisierten Gesetzesentwurf erklärt sich mit dem Wunsch, kurz vor den Parlamentswahlen im Mai die Stimmen von Muslimen zurückzugewinnen. Viele von ihnen haben die von Premierminister Tony Blair forcierte Beteiligung am Irak-Krieg als »Verrat« empfunden.

Nick Cohen schreibt in der linksliberalen Zeitschrift New Statesman, dass »die Redefreiheit als Kollateralschaden im Krieg gegen Saddam Hussein abgeschrieben wurde«. Er kritisiert, dass Regierungsmitglieder wie Mike O’Brien nicht einmal davor zurückschreckten, antisemitische Ressentiments britischer Muslime und ihrer Verbände zu bedienen. In einem Artikel für die Zeitschrift Muslim Weekly hat O’Brien sowohl den konservativen Oppositionsführer Michael Howard als auch den liberaldemokratischen Abgeordneten Evan Harris wegen ihres Widerstands gegen das Gesetz angegriffen. Harris ist im Parlament zwar nur ein Hinterbänkler, aber bekanntermaßen genauso jüdischer Herkunft wie der von muslimischen Verbänden wegen seiner Sympathie mit Israel regelmäßig als »Zionist« geschmähte Howard.

Salman Rushdie hat wohl Recht, wenn er »den fortgesetzten Kollaps liberaler, demokratischer, säkularer und humanistischer Prinzipien« in Großbritannien geißelt und fordert, den Kampf um die Aufklärung in Europa von neuem zu führen.