Reise nach Den Haag

Der bisherige Premierminister des Kosovo, Ramush Haradinaj, stellt sich dem UN-Tribunal. Er ist der erste hochrangige UCK-Kämpfer, der in Den Haag angeklagt wird. von boris kanzleiter, belgrad

Am Montag vergangener Woche lief Ramush Haradinaj noch einmal zur Hochform auf. Bei einer Gedenkfeier für den im März 1998 von serbischen Sicherheitskräften erschossenen UCK-Kommandanten Adem Jasari hielt er seine letzte Rede als Premierminister des Kosovo. Bei der Enthüllung eines Denkmals für den als Gründungsvater der UCK verehrten Jasari machte er seinem Publikum in der Ortschaft Malisevo Mut. Es bedürfe nur einer letzten Kraftanstrengung, um das große Ziel der Kosovo-Albaner zu erreichen. Die Unabhängigkeit und Souveränität des Kosovo sei nah.

Mittlerweile muss Haradinaj vor allem sich selbst Mut machen. Schließlich wirft ihm das UN-Tribunal in Den Haag Kriegsverbrechen und Verbrechen an der Menschheit vor. Unmittelbar nachdem am Dienstag der vergangenen Woche in Den Haag die Anklage gegen ihn erhoben wurde, trat Haradinaj von seinem Posten als Premierminister zurück und reiste nach Den Haag, um sich dem Tribunal zu stellen. Es blieb kaum etwas anderes übrig. Wenn er sich geweigert hätte, wäre die Kfor dazu verpflichtet gewesen, ihn zu verhaften. Mit seinem freiwilligen Gang nach Den Haag aber kann er Kooperationsbereitschaft demonstrieren, die serbische Generäle, die sich nicht stellen wollen, vermissen lassen. Schließlich erhöhen sich so die Chancen, dass er bis zur Urteilsverkündigung aus der Untersuchungshaft wieder entlassen wird.

Mit der Anklageerhebung beendete die Chefanklägerin Carla del Ponte eine lange Zitterpartie. Noch bevor Haradinaj im Dezember Premierminister wurde, kursierten Gerüche, dass in Den Haag eine Anklage gegen den ehemaligen UCK-Kämpfer vorbereitet werde.

Brisant wurden diese Mutmaßungen seit Beginn des Jahres, als Den Haag ankündigte, dass eine Reihe von Anklagen gegen Kosovo-Albaner erhoben werde. Als schließlich die International Crisis Group im Januar vor Unruhen warnte, falls Haradinaj angeklagt werden sollten und zugleich für März ein Nato-Manöver im Kosovo angekündigt wurde, konkretisierten sich die Gerüchte.

Mittlerweile steht die Anklageschrift auf der Website des Kriegsverbrechertribunals. Was darin geschildert ist, gibt einen Eindruck von den blutigen Geschehen im Kosovo vor dem Nato-Bombardement. Haradinaj und zwei weiteren Angeklagten werden in 17 Fällen Verbrechen an der Menschheit und in 20 Fällen Kriegsverbrechen vorgeworfen. Opfer der von Haradinaj kommandierten UCK-Einheiten in der Region Dukagjin im westlichen Kosovo waren serbische Zivilisten, Roma und Kosovo-Albaner, die sich nicht der UCK unterordnen wollten. Haradinaj und seine Mittäter sollen mit ihren UCK-Einheiten die serbische Bevölkerung aus ihrem Einflussbereich vertrieben haben und dabei mit Morden, Entführungen und Folter vorgegangen sein. Haradinajs Anwalt bezeichnete die Vorwürfe als »Lügen«, die von serbischen Behörden zusammengestellt worden seien.

Die Anklage gegen Haradinaj hat weitreichende politische Dimensionen. Zwar bemängelt Nebojsa Covic, der Koordinator der Kosovo-Politik bei der serbischen Regierung, dass sich die Anklagepunkte auf das Jahr 1998 beschränken und die Massenvertreibungen der serbischen Bevölkerungen nach dem Nato-Bombardement von 1999 nicht umfassen. Dennoch steht mit Haradinaj erstmals ein hochrangiger UCK-Kämpfer vor Gericht. Das ist eine deutliche Botschaft an die kosovo-albanische Öffentlichkeit, in der Kriegsverbrechen der UCK bisher konsequent geleugnet werden.

Eine Klärung des umstrittenen Status der zu Serbien-Montenegro gehörenden Provinz zeichnet sich wegen dieser Entwicklungen freilich nicht ab. Im Gegenteil, die Anklage könnte zu Ausschreitungen enttäuschter Anhänger Haradinajs führen, welche die politische Situation weiter polarisieren könnten.