Die höheren Sphären der Literatur

raucherecke

Im Vergleich zur ihrem Frankfurter Pendant will die Leipziger Buchmesse die Messe für jedermann sein. Deshalb muss man auch damit rechnen, dass man nicht in den Hauptbahnhof hineinkommt, weil dort gerade eine Lesung stattfindet. Doch auch das Messegelände ist verstopft. Von Schulklassen. Aber es hilft ja nichts. Meine Zeit ist knapp und ich habe ein volles Programm. Ich muss da durch. Die Redaktion hat mir schließlich einen wichtigen Auftrag aufgebürdet. Ich soll Christian Anders besuchen, den »Burg-König« von Pro7, den Schlagerstar längst vergangener Tage, den Autor von Büchern wie »Der Rub€l muss rollen – Das zinsfreie umlaufgesicherte Währungssystem«. Der Druck ist groß: Die Redaktion will Skandale.

Zum Warmwerden gehe ich erst mal zu seiner Autogrammstunde. Ich komme spät, doch ich bin der Einzige. Sein quietschgelbes Sakko verbrennt mir fast die Netzhaut. Später, als wir uns noch mal im Gang begegnen, zwinkert er mir lässig zu. Glaubt er jetzt, dass wir Freunde sind? Nur weil ich als Einziger ein Autogramm wollte? Hauptsache, er kennt mich morgen nicht mehr.

»Was frage ich nur den Christian bei seiner Pressekonferenz?« überlege ich am nächsten Morgen beim Kaffee im Pressezentrum. Ich bin nervös, die Redaktion erwartet Großes, Investigatives. Neben mir sitzt Fernsehpfarrer Jürgen Fliege. Er schaut auch nicht glücklich drein.

Also auf zum Christian! Er wäscht zunächst Dieter Bohlens schmutzige Wäsche und stellt zwei seiner Bücher vor. Ich gähne. Er soll mal endlich was Krasses sagen. So was wie: »Der Zins ist das Krebsgeschwür unserer Gesellschaft«, oder so. Macht er nicht. Dann muss ich ihn eben aus der Reserve locken. Ich melde mich und frage: »Kürzlich wurden bei Pro7 und dem SWR bereits angekündigte Fernsehauftritte wieder abgesagt. Wie lauteten die Begründungen?« Er habe auf seiner Homepage Bush mit Hitler verglichen. Gut, das nehme er zurück. Bei seiner Kritik an Bush bleibe er jedoch, denn der habe einen »angeblichen Diktator angegriffen«. Da sei so ein Journalist namens Broder gekommen und habe das bei Spiegel-Online veröffentlicht. »Der Herr Broder diffamiert ja Leute auf unterster Ebene, Politiker und andere.« Ob ich ihn noch fragen soll, ob er uns eine Kostprobe seines Songs »Der Hai« über die »Protokolle der Weisen von Zion« vorsingen kann?

Ich komme nicht mehr dazu. Gleich fährt mein Zug, nicht nach nirgendwo, sondern nach Berlin, wo ich die Story abliefern muss. Zum Glück ist der Bahnhof gerade literaturfrei.

stefan rudnick