»Große Koalitionen bedeuten vor allem Stillstand«

Dirk Niebel
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Dirk Niebel gilt als der neue Big Man der FDP. Beobachter sind sich sicher, dass Guido Westerwelle ihn im April als Generalsekretär vorschlagen wird. Der 42jährige ehemalige Fallschirmjäger ist seit 1998 Mitglied des Bundestags und dort arbeitsmarktpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Vorher arbeitete er als Arbeitsvermittler beim Arbeitsamt Heidelberg. Niebel ist Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Mit dem FDP-Politiker sprach Ivo Bozic.

Die FDP war nicht zum Job-Gipfel eingeladen. Wären Sie gerne dabei gewesen?

Nein. Ich war auch schon vorher der Ansicht, dass bei einer schwarz-rot-grünen-Koalition nur ein sehr kleiner gemeinsamer Nenner herauskommen kann. Und die Ergebnisse zeigen ja auch, dass es sich eher um einen Maulwurfshügel als um einen Gipfel gehandelt hat.

Aber die Richtung lautet: Steuersenkungen für Unternehmen, Abspecken des Staates. Das müsste Ihnen doch schmecken.

Die Punkte, die vereinbart wurden, sind zu einem guten Teil vernünftig. Aber die Umsetzung ist völlig unklar. Aus dem Masterplan des Wirtschaftsministers zum Bürokratieabbau ist ja auch nicht viel geworden, und ein elektronisches Handels- und Unternehmensregister ist ein positives Ziel, aber auch eine Selbstverständlichkeit, weil es die EU vorgibt. Es ist nur kleines Karo geworden, und ich bin froh, dass wir das nicht nach außen mit vertreten müssen. Für die Union ist das schwerer, weil sie nun mit im Boot sitzt.

Halten sie die Arbeitslosigkeit wirklich für das Hauptproblem? Ist Vollbeschäftigung nicht längst eine Illusion?

Das größte innenpolitische Problem in Deutschland ist die Arbeitslosigkeit. Sie ist die größte Freiheitsberaubung in einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Es muss unser Ziel sein, möglichst viele Menschen zu befähigen, ihren Lebensunterhalt wenigstens teilweise durch eigene Arbeit erwirtschaften zu können. Es geht nicht nur ums Geldverdienen, sondern auch um Teilhabemöglichkeiten, Selbstwertgefühl und mehr. Erwachsene Menschen wollen sich nicht alimentieren lassen, sondern frei entscheiden können, wie sie ihr Leben gestalten. Für mich ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ein wichtiges Freiheitsthema.

Die rotgrüne Bundesregierung ist in einer schweren Krise, die Union versucht alles, sie zu Fall zu bringen. Von der FDP hört man erstaunlich wenig. Käme Ihnen ein vorzeitiger Machtwechsel ungelegen?

Die Regierung ist in vielen Bereichen in der Krise. Und das zeigt sich nicht nur an dem Abstimmungsergebnis für Heide Simonis in Schleswig-Holstein. Das war hochnotpeinlich und verheerend, nicht nur für die SPD, sondern insgesamt für das System. Ich denke in der Tat: Je früher wir wählen können, desto besser, auch im Sinne der FDP. Wenn jetzt gewählt würde, bekämen wir einen Regierungswechsel hin.

Schreckt Sie nicht das Gespenst der großen Koalition? Schon beim Job-Gipfel hat man die FDP als entbehrlich angesehen.

Dieser Job-Gipfel zeigt doch, dass große Koalitionen nicht viel bringen. Ich denke zwar, in Schleswig-Holstein wäre eine große Koalition immer noch besser als Rotgrün, aber Sie kennen das doch aus Berlin. Da hat eine große Koalition das Land prächtig vor die Wand gefahren. Auch in Baden-Württemberg habe ich erleben dürfen, dass eine große Koalition vor allem Stillstand bedeutet.

Sie werden als Nachfolger der Generalsekretärin Cornelia Pieper gehandelt. Wieso serviert man sie ab, hatte sie als Frau aus dem Osten überhaupt eine Chance?

Für die Neubesetzung hat allein der Bundesvorsitzende das Vorschlagsrecht, und er führt jetzt Gespräche mit den Landesvorsitzenden, um am 4. April dem Bundesvorstand ein Gesamtpersonaltableau vorstellen zu können. Alles andere ist Spekulation. Cornelia Pieper hat ihren Job sehr gut gemacht. Sie hat die FDP wieder zu einer gesamtdeutschen Partei gemacht, was man von der PDS und den Grünen nicht sagen kann. Sie hat genau die Aufgabe erfüllt, die der Bundesvorsitzende Guido Westerwelle ihr übertragen hat. Das sieht man auch an den Wahlergebnissen, die wir in Ostdeutschland hatten, wo wir aus einer ganz, ganz tiefen Talsohle herausgekommen sind, wenn wir es auch nicht überall ins Parlament geschafft haben.

Sie sind Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Bisher war die FDP eher für ihre Connections zu arabischen Staaten bekannt. Denken wir an Kinkel, Rexrodt, Möllemann. Wird Ihr neues Gewicht in der Partei daran etwas ändern?

Die Beziehungen der FDP zu Israel waren immer gut und intensiv. Klaus Kinkel hat einen israelischen Schwiegersohn, seine Tochter wohnt in Haifa. Mein Vorgänger bei der Deutsch-Israelischen Gesellschaft war Burkhard Hirsch, also auch jemand nicht ganz ohne politisches Gewicht. Ich finde es eine gute Tradition, dass die Deutsch-Israelische Gesellschaft jede im Bundestag vertretene Fraktion bittet, einen Vizepräsidenten zu entsenden, und ich freue mich sehr, dass ich in dieser Funktion auch meinem »Hobby« frönen kann. Denn ich habe Israel sehr schätzen und lieben gelernt, als ich dort 1982/83 als freiwilliger Helfer in einem Kibbuz gearbeitet habe.

Hildegard Hamm-Brücher ist aus der FDP ausgetreten, weil sie den Umgang Ihrer Partei mit den antisemitischen Äußerungen Jürgen Möllemanns inakzeptabel fand. Hat die FDP damals versagt?

Die FDP-Führung hat zu lange gezögert. Da hat auch mein öffentliches Auftreten nichts genützt. Dabei hatten wir einen ganz klaren Bundesparteitagsbeschluss gegen Antisemitismus, der auch besagte, dass die Beziehungen zu Israel neben den transatlantischen Beziehungen der Grundpfeiler deutscher Außenpolitik sein müssen. Aber man hätte intensiver und früher reagieren müssen. Das wirft sich der Bundesvorsitzende jetzt auch vor. Nur, bedenken Sie, er war damals gerade neu im Amt, und Jürgen Möllemann war Vorsitzender des größten Landesverbands. Westerwelle musste sich erst einmal seiner innerparteilichen Macht versichern, und das hat leider zu lange gedauert. Dann aber hat er Möllemann ein Ultimatum gestellt, und das hat der sofort akzeptiert, weil er wusste, dass er eine Grenze überschritten hatte.

Herausragendes Politikfeld der FDP war in der Vergangenheit die Außenpolitik. Sie hat immerhin von 1969 bis 1998 das Außenministerium bestellt. Seit Sie in der Opposition sind, hat sich die FDP anscheinend völlig aus der Außenpolitik verabschiedet. Das wirkt fast wie geplant: Der ehemalige Außenminister Kinkel wurde zum sportpolitischen Sprecher Ihrer Fraktion.

Als wir abgewählt wurden, hat Klaus Kinkel aus Gründen des politischen Stils gesagt, es könnte seine ehemaligen Mitarbeiter im Ministerium in einen Loyalitätskonflikt bringen, wenn er in den auswärtigen Ausschuss ginge. Ich finde das einen vorbildlichen Stil. Wir haben mit Werner Hoyer und Wolfgang Gerhardt profilierte und kompetente Außenpolitiker.

Und mit welchen Themen werden Sie in den Wahlkampf 2006 gehen?

Die wichtigste politische Frage ist eindeutig die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ein zweiter Bereich ist der der Rechtsstaatlichkeit. Freiheitsrechte und der Datenschutz werden immer mehr eingeschränkt, und alle entsprechenden Gesetze sind von Schwarz, Grün und Rot gebilligt worden.