Stottern als Chance

Mitglieder der Manoa Free University, der Freien Klasse und der Informellen Universität in Gründung beim Brainstorming

Jackie Inhalt (Informelle Universität in Gründung, Berlin); Eva Egermann (Manoa Free University, Wien); Philipp Haupt (Manoa Free University, Wien); Ralo Mayer (Manoa Free University, Wien); Jan Molzberger (Freie Klasse Berlin)

Jan: Was definiert überhaupt eine richtige und reguläre Universität? Was ist anders, wenn wir es selber machen? Was bedeutet Selbstorganisation? Was bedeutet es, eine Alternative aufzubauen? Was bedeutet es, reguläre Strukturen abzulehnen? Das sind die Fragen, die uns durch unseren ganzen Arbeitsprozess begleiten.

Eva: Dem Wissen wird an einer Universität Autorität verliehen, und es bekommt einen universellen Charakter, u. a. in Publikationen wie Wörterbüchern, Enzyklopädien etc. Wir wollen dieser institutionellen Struktur etwas entgegensetzen und uns selbst ermächtigen, indem wir sagen: Wir gründen eine eigene, freie Universität und arbeiten mit Wissen. Es ist ein Versuch, die Wissensökonomie mittels selbst geschaffenen Strukturen ins Wanken zu bringen.

Ralo: In erster Linie geht es auf jeden Fall um einen Sprechakt. Sobald man sagt, man macht eine Universität selbst, beginnt ein Prozess der Auseinandersetzung. Durch dieses Statement beginnt man darüber nachzudenken, wie so etwas aussehen könnte und was man von einer Universität erwartet. Was bedeutet der Begriff im Kontext der Kommerzialisierung des Bildungsbereiches heute? Wir sind im Zuge des Bologna-Prozesses mit der Entwicklung der neoliberalen Postmodernisierung konfrontiert, wollen aber die bestehenden verkrusteten hierarchischen Strukturen nicht verteidigen. Es geht um einen anderen Weg. Historisch betrachtet, beziehen wir uns damit natürlich auf die Bewegungen in den sechziger Jahren, konkret auf jene der »Antiuniversitäten« und »Freien Unis«.

Eva: Aber es geht heute um mehr. Im Zuge des neoliberalen Bildungsumbaus, den wir ja gerade miterleben, wird studentische Mitbestimmung tendenziell unmöglich gemacht. Es ist daher wichtig, über Alternativen außerhalb der Institutionen nachzudenken. In einer künstlerischen Produktion passieren Recherche und Wissensproduktion automatisch. Diese immaterielle Arbeit wird in den individualisierten Arbeitsverhältnissen, die im jetzigen postfordistischen Zeitalter Verbreitung finden, immer mehr verwertbar gemacht. Mit diesem Phänomen wollen wir uns auseinandersetzen und die verschiedenen Ebenen mit unserer persönlichen Arbeitssituation in Verbindung bringen.

Philipp: Wir haben für verschiedene künstlerische Projekte recherchiert und uns gefragt: Was passiert mit der ganzen Recherche? Wir wollten das Hintergrundmaterial anderen Leuten zur Verfügung stellen. Wir begannen dann vor ca. einem Jahr, einen ein- bis zweiwöchentlichen Studienkreis zu organisieren. Das Ziel war, sich diesem unscharfen Begriff des Wissens zu nähern, ausgehend von unseren privaten Lebensrealitäten. Wir haben hierfür auch keinen Raum zur Verfügung, sondern treffen uns abwechselnd in diversen Hinterzimmern von Wiener Kaffeehäusern.

In der jetzt stattfindenden gemeinsamen Ausstellung »W…WirWissen« in der Wiener Kunsthalle Exnergasse geht es nun auch um die Frage der Verwertung dieses Wissens. Wir wollen hier einen Prozess darstellen und genau diese Recherche in den Vordergrund stellen. Das passiert gleichzeitig mit der Entwicklung, in der es scheinbar keine Endprodukte mehr gibt. In einer Ausstellung wird das aber zum Problemfall, weil man ja doch wieder etwas präsentieren will. Wie dokumentiert man also einen informellen Prozess, ohne ihn gleichzeitig zu zerstören oder zu verändern?

Jackie: Es ist die Frage, ob wir es weiterhin als »Ausstellung« bezeichnen wollen. Ich habe das Gefühl, dass es eher um die Prozesshaftigkeit des Ganzen geht. Es gibt auch keine Ausstellungsstücke und keine Vernissage, deshalb trifft die Bezeichnung Ausstellung nur eingeschränkt zu.

Philipp: Eine herkömmliche Ausstellung funktioniert ja grundsätzlich immer als Endprodukt eines unsichtbar bleibenden Prozesses. Aber das Eigentliche passiert innerhalb des Austausches zwischen den Leuten. Es gab recht früh die Entscheidung, dass wir keine einzelnen Arbeiten dort zeigen wollen. Stattdessen nehmen wir das Modell einer Theaterproduktion, die sich über den Zeitraum der Ausstellung erstreckt. Die Ausstellung ist sozusagen eine Art Probebühne mit den verschiedensten Elementen, Bühne, Backstage, Kantine, etc. Während dieser Zeit wird es ein Programm geben, ein so genanntes Rechercheprogramm oder einen »Probenplan«, womit wir uns diesem unscharfen Zentrum des Wissens aus verschiedenen Perspektiven nähern wollen.

Eva: Wir bedienen uns dieser Figur des »Theaters«, um sozusagen diese verschiedenen Ebenen der Repräsentation, des Organisatorischen und des Sozialen wieder einzubeziehen und sichtbar zu machen. Diese Ebenen werden in unseren persönlichen Lebens- und Arbeitsrealitäten immer mehr aufgelöst oder verschwimmen, obwohl die Grenzen bzw. Hierarchien zwischen Arbeit, Freizeit und politischer Organisierung noch da sind. Indem wir diese Ebenen in einem Ausstellungskontext wieder einbeziehen, können wir sie brechen, sichtbar machen und dekonstruieren.

Ralo: Marx beschreibt immaterielle und affektive Arbeit am Beispiel von darstellenden KünstlerInnen: Das, was sie tun, und ihre Arbeit ist selbst das Produkt. Dieses Phänomen als ein Hauptmodell einer postfordistischen Arbeitsökonomie zu begreifen ist das Motiv, den Ausstellungsraum in ein »Theater« umzuwandeln und diesen Begriff des Performativen wieder in den Vordergrund zu rücken.

Eva: Bei dieser Figur des »Theaters« geht es weniger um das Theater, die Bühne oder die Aufführung an sich, sondern um die soziale Konstruktion des Theaters mit den verschiedenen Räumen. Andererseits ist dieser Erarbeitungsprozess und Probendurchlauf sehr wichtig, den wir während der Ausstellung versuchen in Gang zu bringen. Der Probenplan dient uns als Rechercheprogramm, indem wir diese verschiedenen Begriffe, die sich um den Wissensbegriff gruppieren, klären und zu erarbeiten versuchen. Man kann sich das so vorstellen, dass es innerhalb des Zeitraums der Ausstellung verschiedene Zyklen gibt, in denen bestimmte Themen verhandelt werden. Es wird verschiedene Inputs, Diskussionen u.a. geben, und am Ende der Woche versuchen wir in Form eines Probedurchlaufs Inhalte zu verschränken, Synthesen zu schaffen, Aufführungen zu reinszenieren. Dabei kommt es aber nie zu einer endgültigen Ausformulierung oder Aufführung.

Ralo: Ein Ausstellungsraum ist ja von vornherein schon als repräsentativer Raum codiert. Es ist immer eine Inszenierung.

In erster Linie darf man sich das Theater aber nicht als Bühne vorstellen. Es geht eher um das Theateruniversum und die Institution – und darum, wie sie sich verhält. Eigentlich ist das, was auf der Bühne passiert, ein permanentes Scheitern. Wir machen zwar Aufführungen und treffen Aussagen und Formulierungen, die aber immer wiederum ein Stottern beinhalten. So wie in dem Titel »W…WirWissen«, dessen Aussage durch das Stottern wiederum in Frage gestellt wird.

Eva: Einerseits eignen wir uns die Sprache des Theaters und der Universität an, andererseits versuchen wir mit dem Stottern diese definitive Aussage zu hinterfragen, zu kritisieren und sichtbar zu machen.

Jackie: In diesem Zusammenhang ist der Begriff der »Verhandlung« zentral, weil er einerseits die Beziehung zwischen diesen Produktionsmodi, der Repräsentation und den Sichtbarkeitsökonomien und gleichzeitig zwischen den einzelnen Gruppen und Arbeitsweisen bedeutet. Die Gruppen verfolgen eigentlich alle einen ähnlichen Ansatz, aber in ihren lokalen Kontexten haben sie ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Das Konzept der Ausstellung trägt dem ziemlich weit Rechnung. Die Gruppen können sich in ihrer Unterschiedlichkeit dort einbringen, und dadurch entstehen Reibungen.

Ralo: Das ist ja gerade das Spannende: herauszufinden, wo der gemeinsame Nenner ist. Weil die Gruppen ja auch unterschiedlich funktionieren und in lokalen Kontexten eingebunden sind. Ein gemeinsamer Nenner ist, dass alle freien Unis eine Reaktion auf das Ende des Künstlergruppen-Booms darstellen bzw. einen Gegenentwurf. In einem größeren Rahmen gesehen, erleben wir gerade wieder einen Backlash in Richtung formales Arbeiten, beispielsweise mit der großen Wiederkehr der Malerei. Es geht uns stark darum herauszufinden, was wir von diesen Neunziger-Jahre-Modellen weiter verwenden können. Es geht um eine Re-Evaluierung von Formaten und darum herauszufinden, was wir daraus lernen können und was wir anders machen müssen.

Jan: Ein Aspekt unserer Wissensproduktion könnte sein, diese als alternativ gesehenen Begriffe der Arbeits- und Organisationsformen zu kompostieren und wieder zu verwerten. Vielleicht müssen wir diese Begriffe wie »Selbstorganisation« etc. wegschmeißen und anfangen, neue zu entwickeln.

interview: amon brandt