Aus acht mach’ eine

Acht niederländische Zeitungen sollen zu einem einzigen Blatt vereinigt werden. von udo van lengen, amsterdam

Eine Gruppe erboster Mitarbeiter des Rotterdams Dagblad machte die Konferenz zum echten Medienereignis. Sie hielten violette Schilder hoch mit der Aufschrift: »Wieder eine Zeitung ermordet« sowie »Pfoten weg von meinem Blatt!« Der Grund des Protests war folgender: Ab Ende August sollen Journalisten von acht Zeitungen aus der Randstad, dem urbanen Westen der Niederlande, ein gemeinsames Blatt machen. Von acht Titeln soll einer übrig bleiben, der dann zur zweitgrößten Tageszeitung des Landes avancieren wird. Zumindest planen das die beiden Verlage PCM und Wegener.

An den Fusionsplänen haben die Verlage seit November gearbeitet. Einige Details drangen inzwischen nach außen. So sollen 325 Arbeitsplätze wegfallen, 800 sollen erhalten bleiben. Die Kartellbehörde und die Redaktionsräte müssen der Fusion noch zustimmen. Die Pläne seien keine Basis für »guten Regionaljournalismus«, meinen die Redaktionsräte. Sie forderten die Verleger auf, alternative Pläne, u.a. von der Redaktion des Rotterdams Dagblad, zu prüfen. Einigen Journalisten fiel es sichtlich schwer, während der Pressekonferenz die ungewohnte Doppelrolle als Berichtende und Betroffene zu bewältigen. Den zukünftigen Namen der Zeitung präsentierten PCM und Wegener dort noch nicht. Sie haben sich bis jetzt nicht einigen können. Die Redaktion des Algemeen Dagblad glaubt jedoch, dass ihr Name das Rennen machen wird. Sie ist schließlich der größte Fusionspartner.

Mit der Fusion des Algemeen Dagblad mit sieben weiteren Regionalzeitungen aus der südlichen und östlichen Randstad ist die Neuordnung der niederländischen Tageszeitungen vorerst abgeschlossen. Drei der vier großen Städte des Landes verlieren ihre regionale Zeitung. Vor gut zehn Jahren tauchte ein ähnlicher Plan schon einmal auf. Damals erwogen die Redaktionen sämtlicher Zeitungen aus der Randstad, aus journalistischen Gründen zu fusionieren. Eine einzige große Zeitung für den Westen, das war damals die Idee der Redakteure. Doch eine Fusion birgt Risiken. Die Journalisten fürchteten, dass zehntausende Leser ihr Abonnement kündigen würden. Dieses Risiko wollen nun die Herausgeber eingehen. Die jetzt angekündigte Fusion hat nichts mehr mit journalistischen Ambitionen zu tun. Leser und Lokalpolitiker, die sich mit Solidaritätsadressen an ihre geliebte Regionalzeitung wenden, haben einen schweren Stand, wenn die Verleger ihre Statistiken präsentieren. Innerhalb von zehn Jahren sank die Auflage der acht Zeitungen von knapp 900 000 Stück auf 643 000. Und noch deutet nichts darauf hin, dass der Rückgang gestoppt werden könnte.

Zudem brach der Anzeigenmarkt in den vergangenen vier Jahren ein. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Die Herausgeber versuchten, mit Einsparungen, Fusionen und Arbeitsplatzabbau in der Gewinnzone zu bleiben. Doch weiterhin kündigen selbst langjährige Leser ihr Abonnement. Journalisten wie Herausgeber überlegen, warum ihr Produkt nicht mehr ankommt; an Gründen scheint es nicht zu mangeln: Die Zeitungen der großen Städte verlören Leser, weil dort immer mehr (eingebürgerte) Migranten lebten, die sich von den niederländischen Zeitungen nicht angesprochen fühlten. Treue Leser verließen wiederum die Städte und nähmen ihre Tageszeitung nicht mit. Die Journalisten seien nicht nah genug am Leser und brächten Berichte, die niemanden interessieren. Und der Leser habe keine Zeit mehr, eine Zeitung zu lesen. Ein Schlagwort beherrscht die Diskussion: ontlezing – Entlesung. Immer weniger Menschen lesen Bücher und Zeitungen. Vor allem die Jüngeren befriedigen ihr Informationsbedürfnis via Fernsehen und Internet. Umfragen zeigen, dass sie Tageszeitungen langweilig, grau und unhandlich finden.

So vielfältig die Erklärungsversuche auch sein mögen, so einfältig ist das bisherige Konzept der Verleger, den Trend zu stoppen. Ein beliebtes Rezept besteht darin, auf das kleinere Tabloid-Format umzusteigen, das sich in Großbritannien, Spanien, Belgien und Deutschland bereits durchgesetzt hat. Nachdem die britische Tageszeitung The Independent und die belgische Tageszeitung De Morgen auf das kleinere Format umgestiegen waren, gingen die Abonnementszahlen wieder hoch. Eine Kur, die auch in den Niederlanden Erfolg versprechend schien. Bis vor einem Jahr erschienen alle niederländischen Tageszeitungen im Broadsheet-Format, das nur wenig größer ist als das Hamburger Format, in dem die Zeit gedruckt wird. Als erste Amsterdamer Tageszeitung halbierte Het Parool im März 2004 ihr Format und verdoppelte zugleich die Seitenzahl. Prompt gewann das Blatt einen Preis für ihr innovatives Design. Im Februar 2005 folgte Trouw und führte das Tabloid ein. Auch das für August angekündigte neue Blatt wird eine Tabloidzeitung werden. Kritiker sprechen mittlerweile vom »Kompaktfieber« und prognostizieren, dass lediglich die Zeitungen, die als erste auf das neue Format umstellen, Leser gewinnen werden.

Dass ihr neues Produkt mehr bieten muss als ein kompaktes Format, wissen auch PCM und Wegener. Das Tabloid soll nur eine von vielen Neuerungen werden. Auch die Art der Berichterstattung soll sich ändern. Die Zeitung soll sich den Bedürfnissen der Leser unterordnen, damit sie ihr Abonnement nicht kündigen und neue Leser sich angezogen fühlen. Oder wie es der Projektleiter und Chefredakteur des Algemeen Dagblad, Jan Bonjer, formulierte: »In der Vergangenheit schossen zu viele Berichte über den Horizont der Leser hinaus. Die Leser vermissten den persönlichen oder praktischen Wert.« Jan Houwert, Vorstandsvorsitzender von Wegener, hat genaue Vorstellungen von den zukünftigen Lesern. Die neue Zeitung richte sich an etwa 35 Jahre alte Leser mit Familie. Dass die übergroße Mehrheit der Leser deutlich älter ist, stört ihn nicht. »Jeder Leser ist wichtig. Aber wenn man alle Wünsche erfüllen will, läuft das auf einen Spagat hinaus. Darum finde ich es nicht so schlimm, wenn alte Leser kündigen. Ich muss auf die Zukunft schauen.«

Im August wird sich zeigen, ob das Konzept aufgeht. Der neue Titel am Kiosk soll den Verlust an regionaler Vielfalt vergessen machen. Erst dann verliert er den Makel des »aus der Not Geborenen«, der der Fusion anhaftet. Das war auch auf der Pressekonferenz spürbar. Auf den Fotos sieht man das gequälte Lächeln der Herausgeber und die Sorgenfalten der Journalisten. Nur die Gesichter der Fotografen sieht man nicht. Sie werden entlassen. Ihnen bleibt vielleicht ein Vertrag über freie Mitarbeit.